Süddeutsche Zeitung

Erinnerung an Opfer der NS-Diktatur:Ermordet, weil sie behindert waren

Die Stadt Dachau verlegt an diesem Donnerstag erstmals Stolpersteine für Opfer der Nazi-"Euthanasie"

Von Christiane Bracht, Dachau

Die Stadt Dachau erinnert an fünf weitere Opfer des Naziregimes. Zum Gedenken an sie verlegt der Künstler Gunter Demnig an diesem Donnerstag weitere Stolpersteine. Der Schwerpunkt dieser Aktion liegt bei den Opfern der "Euthanasie"-Morde. Um 14 Uhr wird der erste Stein vor dem Elternhaus von Alwine Dölfel in der Augustenfelder Straße 20 eingesetzt. Die 1931 geborene Alwine Dölfel lebte in einer katholischen Einrichtung für Menschen mit Behinderung, dem heutigen Franziskuswerk Schönbrunn. Im Alter von 13 Jahren wurde sie am 1. Oktober 1944 in der "Kinderfachabteilung" der sogenannten "Heilanstalt" Eglfing-Haar ermordet. Ihre Schwester Elfriede Ahr erinnert sich aber noch gut an sie und will im Rahmen der Gedenkfeier am Abend im Rathausfoyer von Alwine erzählen. Die Stolpersteine, die im November 2005 an drei Adressen im Stadtgebiet verlegt wurden, erinnern an jüdische Bürger, die in der Nacht des Novemberpogroms 1938 aus der Stadt vertrieben wurden.

Neben Alwine Dölfel der NS-"Euthanasie" zum Opfer gefallen sind Therese Wildmoser - sie war Dienstmädchen und wurde am 25. Februar 1941 ermordet - und Maria Linner. Die Näherin wurde im Alter von 41 Jahren in der Tötungsanstalt Hartheim bei Linz am 7. November 1940 ermordet. Der Stein für Therese Wildmoser soll um 15 Uhr in der Benediktenwandstraße 3 verlegt werden, der für Maria Linner um 16 Uhr in der Gottesackerstraße 5. Insgesamt gab es im "Dritten Reich" etwa 300 000 Opfer der Morde, die von den Nazis verschleiernd als Euthanasie bezeichnet wurden. Die drei Stolpersteine stehen auch für sie. Professor Gerrit Hohendorf vom Institut für Geschichte und Ethik der Medizin an der TU München hat sich speziell mit diesem Thema beschäftigt. Er wird am Abend die Biografien der drei Frauen vorstellen. Begleitet wird die Feier vom integrativen 25-köpfigen Chor des Franziskuswerks Schönbrunn. Außerdem wird die Generaloberin der Franziskanerinnen von Schönbrunn Schwester M. Benigna Sirl als Ehrengast erwartet. Die Ermordung der damals 13-jährigen Alwine Dölfel gehört zum dunkelsten Kapitel von Schönbrunn. 47 Kinder wurden im Juni 1944 nach Eglfing-Haar verlegt. Der damalige Direktor der Anstalt Schönbrunn, Priester Josef Steininger, wusste um das Schicksal, das ihnen dort drohte. Doch er wollte Platz schaffen für die Stadt München, die ihre Krankenhäuser wegen der Luftangriffe woanders unterbringen musste. Jahrzehnte dauerte es, bis Schönbrunn sich kritisch mit seiner Geschichte auseinandersetzte und auch den bis dahin hochgeehrten Steininger von seinem Podest herunterholte. Nach dem Krieg hatte er sich zum Widerstandskämpfer erklärt und die Geschichte der Pflegeanstalt manipuliert.

Ein weiterer Stolperstein wird um 15.30 Uhr für Johann Eisenmann in der Münchner Straße 24b eingesetzt. Der Hilfsarbeiter schloss sich dem Kreis um den Kommunisten Klein an. Am 22. März 1933 wurde er in Schutzhaft genommen. Am 3. April starb er in politischer Haft im Alter von 23 Jahren.

Der fünfte Stein ist für den jüdischen Arzt Samuel Gildes bestimmt. Er hatte eine etablierte Praxis in München, bis er Berufsverbot bekam. Im Herbst 1938 zog er nach Augustenfeld. Dort in der Sankt-Peter-Straße wird der Stein um 14.30 Uhr verlegt. Nach der Pogromnacht wurde Gildes im KZ Dachau geschunden, dann musste er Zwangsarbeit leisten, bis er am 30. Juni 1944 im Alter von 70 Jahren im Ghetto Theresienstadt ermordet wurde. Die Gedenkfeier für die fünf von den Nazis Getöteten beginnt um 18.30 Uhr im Dachauer Rathaus.

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SZ vom 04.05.2017
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