Erinnerung an einen mutigen Mann der Kirche:Ein Gerechter

Vor 75 Jahren starb Bernhard Lichtenberg

Domprobst Bernhard Lichtenberg prangerte die Judenverfolgung an, während seine Kirche schwieg.

(Foto: epd)

Domprobst Bernhard Lichtenberg trat für die Juden ein

Die Kirchen schwiegen, als im Novemberpogrom 1938 die Synagogen in Deutschland brannten und Juden verfolgt wurden. Nur vereinzelt kam es zu Protesten von Vertretern der evangelischen und katholischen Kirche. Der mutige Domprobst Bernhard Lichtenberg etwa, der am Abend des 9. November von der Kanzel der Hedwigskathedrale in Berlin seine Stimme erhob: "Ich bete für die Priester in den Konzentrationslagern, für die Juden, für die Nichtarier (...) Draußen brennt die Synagoge. Das ist auch ein Gotteshaus." Drei Jahre lang wiederholte Lichtenberg dieses Abendgebet für die verfolgten Juden Tag für Tag.

Im September 1941 wurden zwei Studentinnen aus dem Rheinland zufällig Ohrenzeuginnen der Fürbitte für die Juden. Empört denunzierten sie den Priester. Lichtenberg kam in Untersuchungshaft: Schikanen, Verhöhnung, Gewalt. Schließlich wurde der Häftling wegen "Kanzelmissbrauchs" zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Schwer herzkrank und gefährlich abgemagert, kam er im Oktober 1943 wieder in Freiheit - um von der Gestapo sofort in "Schutzhaft" genommen zu werden. Auf dem Weg ins Konzentrationslager Dachau starb er völlig entkräftet am 5. November 1943 in der bayerischen Stadt Hof.

Am 9. November jährt sich das Pogrom - die ersten Übergriffe auf Juden ereigneten sich bereits zwei Tage vorher - zum 80. Mal. Historiker sprechen von 1300 bis 1700 Todesopfern, wenn man auch die in den Konzentrationslager und die in den Suizid getriebenen Juden mitzählt. 30 756 jüdische Männer wurden ab dem 10. November in die Konzentrationslager Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald verschleppt. Allein nach Dachau wurden ungefähr 11 000 Häftlinge deportiert. Dachau sahen die Nazis auch für den Domprobst Lichtenberg vor - der aufrechte Priester stand schon lange auf ihrer schwarzen Liste.

Bernhard Lichtenberg, 1875 geboren, hatte 1935 im Büro des preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring gegen entsetzliche Vorkommnisse im Konzentrationslager Esterwegen und die Behandlung der Juden protestiert: "Sie müssen meistens Jauche fahren, die Klosettgruben reinigen, und das teilweise mit den Händen." Lichtenberg muss ein besessener Seelsorger gewesen sein, unkonventionell, immer präsent. Exakt 2578 Predigten hat er verfasst, die er mit gewaltiger Stimme vortrug wie ein Shakespeare-Darsteller. Als ihm ein Eisenbahner bedauernd erklärte, er könne sonntags leider nicht zur Messe gehen, sein Dienst beginne zu früh, da richtete Lichtenberg einen zusätzlichen Gottesdienst um viertel vor fünf Uhr morgens ein.

Hitlers "Mein Kampf" hatte der streitbare Priester aufmerksam gelesen und mit kritischen Randbemerkungen versehen. Bei Propagandaveranstaltungen stieg er auf das Podium und wies die Hetze gegen Juden und Jesuiten sachlich aber entschlossen zurück. Als der Friedensbund deutscher Katholiken, dem er angehörte, 1931 den Antikriegsfilm "Im Westen nichts Neues" nach dem Roman von Erich Maria Remarque zeigte, titelte der "Angriff", ein von Goebbels herausgegebenes nationalsozialistisches Kampfblatt: "Viehische Totenschändung!!! Prälat Lichtenberg verhöhnt unsere Gefallenen!!!"

Auch das beim Bischöflichen Ordinariat eingerichtete Hilfswerk, das Juden Kleider- und Lebensmittelkarten beschaffte, etliche Deportationen verhinderte, manchen das Leben rettete, indem es sie als "Hausangestellte" nach England vermittelte, auch dieses Hilfswerk arbeitete mitten in Hitlers Regierungsviertel so gut getarnt, dass es nicht aufflog. Im Jahr 1996 sprach der Papst Bernhard Lichtenberg selig, im Jahr 2004 verlieh die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ihm den Ehrentitel "Gerechter unter den Völkern". Lichtenbergs sterbliche Überreste sind in der Krypta von St. Hedwig in Berlin beigesetzt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: