Erdweg:Silicon Valley der Geflüchteten

Asylinfo

Mohamed Allieu Jalloh (l.) und Ansumane Famah wollen mit einer Landwirtschaftskooperative in ihrem Heimatland Sierra Leone Fluchtursachen bekämpfen.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Wie Ansumane Famah und Mohamed Allieu Jalloh, zwei Asylsuchende aus Erdweg, Fluchtursachen bekämpfen und andere mit ihren Start-up-Projekten zu ähnlichen Ideen inspirieren wollen

Von Emily Holmes, Erdweg

Es ist ein ehrgeiziges Ziel, das sich Ansumane Famah und Mohamed Allieu Jalloh gesetzt haben. Sie wollen Fluchtursachen bekämpfen. Das hört sich schwer an, muss es aber gar nicht sein, wenn man klein anfängt, gut vernetzt ist und sozusagen das Beste aus beiden Welten mitbringt. Die zwei Welten sind in diesem Fall Sierra Leone in Afrika und Erdweg im Landkreis Dachau.

"Die Leute brauchen dringend Hilfe"

Seit 2014 leben Famah und Jalloh in Erdweg, haben gerade die Berufsintegrationsklasse abgeschlossen und fangen im Herbst eine Ausbildung an. Vor ihrem alten Leben in Sierra Leone sind sie geflohen, haben Familie und Freunde zurückgelassen. Aber sie haben eine Verantwortung, sagen sie, gegenüber ihren Landsleuten, die zurückgeblieben sind. In dem Ort Kukuna im Norden des Landes haben sie ein Pilotprojekt gestartet. Gemeinsam mit zehn Familien gründen sie dort eine genossenschaftliche Landwirtschaftskooperative. "Wir haben uns überlegt, was brauchen die Leute daheim am dringendsten", sagt Jalloh. Und das ist Nahrung. Elf Jahre Bürgerkrieg, Korruption und die Ebola-Epidemie schwächten den Landwirtschaftssektor erheblich, trotz günstiger ökologischer und klimatischer Voraussetzungen. Geringe Einkommen auf dem Land und hohe Lebensmittelpreise führen zu landesweiter Armut, einer hohen Belastung der Sozialsysteme und Unruhen. Wegen der massiven Landflucht vor allem junger Menschen sind die Städte überfüllt, es herrscht Mangel an Land- und Erntearbeitern.

Der Landwirtschaftssektor ist ein wichtiger Ansatzpunkt, wenn es darum geht, die Lebensqualität zu verbessern. "Die Leute brauchen dringend Hilfe", sagt Jalloh, "also haben wir beschlossen, uns auf den Anbau von Reis und Erdnüssen zu konzentrieren". Das seien Produkte, die für den täglichen Gebrauch genutzt werden und haltbar sind. "Wir haben dann Freunde aus Freetown angeschrieben und ihnen von unserer Projektidee erzählt. Die sind in die Dörfer gefahren und haben nach einem von uns aufgestellten Fragenkatalog mit den Leuten Interviews geführt, um die aktuelle Lage zu erkunden", erzählt er weiter. Da das Telefonieren nach Sierra Leone sehr teuer ist, wurden Mitschriften abfotografiert und dann über WhatsApp nach Deutschland geschickt. Die größten Hemmnisse für die Bauern sind demnach veraltete oder ungenügende Werkzeuge und Maschinen, knappe Düngemittel und Pestizide sowie fehlende Lager- und Transportmöglichkeiten. Dadurch können nur geringe Flächen bebaut werden, der Ertrag ist gering. Nur in der Erntezeit wird der Markt mit Waren überflutet, die deshalb nur zu einem sehr niedrigen Preis verkauft werden können.

Ein Lagerhaus für den 7000-Seelen-Ort

Das könnte geändert werden, finden Famah und Jalloh. Zusammen mit dem Erdweger Unternehmensberater und Helferkreismitglied Franz Baur haben sie ein detailliertes Projektkonzept aufgestellt. In dem 7000-Seelen-Ort Kukuna wollen sie ein Lagerhaus bauen. "Wenn die Bauern ihre Ernte nicht mehr in ihren Häusern lagern oder auf den Feldern liegen lassen müssen, können sie ihre Produkte übers Jahr verteilt verkaufen und so höhere Preise erzielen", erläutert Mohamed Jalloh. Das Lagerhaus soll zusätzlich als Bildungs- und Organisationszentrum dienen, um die Bauern über effizientere Anbauweisen zu informieren und eine kleine, von den Bauern geleitete Kooperative zu führen. Die Bauern sollen außerdem zinsfreie Mikrokredite erhalten, damit sie in ihre landwirtschaftliche Produktion investieren können. Der Gewinn, der innerhalb der Kooperative entsteht, soll in soziale Projekte im Dorf investiert werden.

Und das sind keine leeren Versprechungen. Das Projekt wurde bereits mit dem Erdweger Jürgen Wilke besprochen, der lange als Entwicklungshelfer tätig war. In Kukuna wird das Land schon für die Lagerhalle gerodet, Stammesälteste, religiöse Führer, Bürgermeister und Bürger, alle ziehen an einem Strang. "Die Steine für das Haus werden vor Ort produziert", erzählt Franz Baur, "aber wir haben schon einen Bauunternehmer aus dem Landkreis gefunden, der mit zwei Leuten runter fahren wird, um zu helfen". Auch andere Unternehmen aus dem Landkreis haben schon finanzielle Unterstützung zugesichert oder bereits gegeben. IT-Unternehmen aus München basteln an einer Internet-Plattform für dieses Projekt. Die große Vision ist ein Netzwerk aus vielen verschiedenen Projekten von Flüchtlingen für die jeweiligen Heimatländer. Eine Art Silicon Valley der Geflüchteten. Viele bodenständige Start-up-Projekte, die am Ende etwas Großes bewirken.

"Nicht alles wird klappen"

Der Plan: Über ein Online-Netzwerk findet ein Wissens- und Ressourcenaustausch statt. Ausgewählte Asylbewerber sind die treibende Kraft in den Projekten, sie kennen die lokale Umgebung, sind vernetzt und nutzen ihre Ausbildung und Erfahrungen in Deutschland für ihr Land. Einzelpersonen, Vereine und Gemeinden übernehmen Patenschaften für Projekte - so wie Franz Baur für Kukuna.

"Es wäre doch toll, auch Städtepartnerschaften mit Orten in Afrika aufzunehmen", sagt er. Aber Baur bleibt realistisch: "Nicht alles wird klappen, aber alle werden viel dabei lernen, und es gibt zumindest die Chance auf Veränderung." Er stellt eine Rechnung auf: "Wenn einer von zehn Flüchtlingen ein Projekt mit Paten baut, das dazu führt, dass zehn andere Menschen bleiben statt zu fliehen, und das Projekt zehn Mal kopiert und in andere Ortschaften weitergetragen wird, bekommt das Wort Lawine eine positive Bedeutung." Ansumane Famah und Mohamed Allieu Jalloh wollen etwas bewegen. "Wir sind hoch motiviert", sagt Famah, "es fühlt sich an, als ob jemand etwas in mir angestoßen hätte, damit ich endlich anfange, etwas zu tun. Wir können nicht einfach Sierra Leone hinter uns lassen und jetzt hier glücklich sein, wir wollen etwas verändern".

Das haben sie schon vor dem Landwirtschaftsprojekt getan. Die beiden Flüchtlinge haben einen "Welcome Guide - from Refugees for Refugees" geschrieben. Eine Art Gebrauchsanleitung für das Leben in Deutschland, ausgehend von ihren eigenen Erfahrungen. Von der Ankunft über das Stellen des Asylantrags, den Arztbesuch und Geschlechterrollen bis hin zur Benutzung des Radwegs und Besonderheiten beim Einkauf steht alles drin. Mit ihren Ideen und Projekten sind sie bis jetzt noch ein Einzelfall. Sie hoffen aber, viele Nachahmer zu finden.

Wer Projektpate werden möchte oder sich auf andere Art einbringen will, kann sich bei Franz Baur unter franz.baur@gmail.com. melden.

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