Erdweg:Schulmäßig

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Bürger in Unterweikertshofen retten eines der letzten historischen Gebäude und sanieren es. In dem Haus, das ungefähr 245 Jahre alt ist, wurde schon Räuber Kneißl als Bub unterrichtet. Der Verein arbeitet sich seit 2007 voran und ist beim Innenausbau angelangt

Von Benjamin Emonts, Erdweg

Auf dem höchsten Punkt von Unterweikertshofen thront das Alte Schulhaus der beschaulichen Ortschaft im Dachauer Hinterland. In dem geschätzt 245 Jahre alten Gebäude ging einst der berüchtigte Räuber Kneißl zur Schule. Mitten im Ort sticht es mit seiner strahlend weißen Fassade, dem historischen Mansarddach und hellgrünen Fensterläden förmlich ins Auge. Zu verdanken ist das neue Antlitz des kleinen Ortes dem Schulhausverein Unterweikertshofen, der vor vier Jahren begonnen hat, das vor sich hin bröckelnde Gebäude aufwendig zu renovieren. Er geht damit den gleichen Weg wie Bürger anderer Ortschaften im Landkreis Dachau, etwa Erdweg oder Sittenbach. Auch dort sanierten die Dorfbewohner historische Gebäude, um sie zu einem gesellschaftlichen und kulturellen Treffpunkt zu machen.

In den vergangenen zwanzig, dreißig Jahren mussten viele historische Bauten im Landkreis dem Siedlungsdruck weichen. Kaum einer, so hatte es den Anschein, schätzte noch den Wert alter Bausubstanz und ihrer Bedeutung für das Selbstverständnis einer Dorfgemeinschaft. In Sittenbach, dem Nachbarort von Unterweikertshofen, konnten Bürger nun den Abriss eines mehr als 100 Jahre alten Jugendstilgebäudes verhindern. In Erdweg, ebenfalls ein Nachbarort, restaurierten sie aufwendig das denkmalgeschützte Wirtshaus am Erdweg, das 1468 erstmals als Tafernwirtschaft urkundlich erwähnt wurde. Das Projekt erweist sich schon jetzt als großer Erfolg. Und vieles spricht dafür, dass es mit dem Alten Schulhaus in Unterweikertshofen ähnlich laufen wird.

"Es wurde ein Stück Heimat vor dem Verfall bewahrt", sagt Vereinskassier Werner Huhn, der durch das Gebäude führt. Den längst verstorbenen legendären Räuber Kneißl, der in Unterweikertshofen geboren wurde, dürfte der Erhalt des Schulhauses freuen, sofern er Unterweikertshofen vom Himmel (oder der Hölle) aus noch beobachtet. Kneißl, der als tollkühner Wilderer, Freiheitskämpfer oder gar als "bayerischer Robin Hood" posthum zu einer Art Volksheld verklärt wurde, ging hier von 1881 an drei Jahre lang zur Schule. Mit seiner Harmonika, so wurde überliefert, soll er lieber ältere Mitschüler bespaßt haben, als in Schulbüchern zu schmökern. Ein Lehrer sagte einst über den neunjährigen Kneißl, er sei "äußerst unwillig und unfügsam" gewesen. Er riet dazu, den Buben in einer Besserungsanstalt unterzubringen. Nur so gelinge es vielleicht, den Kneißl-Hias noch zu retten.

Weit vor Kneißls Zeiten gehörte das Alte Schulhaus einem gewissen Hofmarksherren namens Graf Max von Hundt, der unweit im Unterweikertshofener Schloss residierte. Das Bier aus der schlosseigenen Brauerei wurde in einem Keller unter der Anhöhe gelagert, auf der das Schulhaus steht. Das Haus wurde vermutlich 1770 erbaut und diente ursprünglich den Arbeitern der Brauerei als Wohnung.

Anfang des 19. Jahrhunderts wurde es unter Zustimmung der Dorfbewohner zu einem Schulhaus umfunktioniert. Den Schulbetrieb mussten maßgeblich die Bauern, Kleinbauern und Tagelöhner finanzieren. In der jetzigen Wirtsstube, das ist aus heutiger Sicht kaum zu glauben, wurden gleichzeitig bis zu 75 Schüler in sieben Jahrgangsstufen unterrichtet. Ihr Lehrer lebte damals im Obergeschoss des Schulhauses.

Den berüchtigten Räuber Kneißl, der 1902 durch das Schafott hingerichtet wurde, überdauerte das Gebäude. Mit einer Unterbrechung während des Zweiten Weltkriegs bestand die Schule bis 1968 fort. Sie wurde erst im Zuge der Gebietsreform im Freistaat aufgelöst, weil sich die Schule fortan in Erdweg befand.

"Mit dem Alten Schulhaus verbinden viele Unterweikertshofener noch Erinnerungen und Erlebnisse aus ihrer Schulzeit", sagt Huhn. Mit Wehmut mussten sie feststellen, dass das Haus in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend verfiel. Seit 1989 vermietete die Gemeinde Erdweg mehrere Räume in dem Gebäude als Sozialwohnungen, später aber stand es auch einige Zeit leer. Nachdem das Geburtshaus des Räubers Kneißl, der Bayerl-Wirt, bereits abgerissen worden war, musste im Jahr 2008 mit dem Fischerwirt auch das letzte im Ort verbliebene Wirtshaus einem Neubau weichen. Im Erdweger Gemeinderat zeichneten sich seinerzeit Tendenzen ab, wonach das Alte Schulhaus das gleiche Schicksal ereilen könnte. Um das zu verhindern, gründete sich im Juli 2007 der Schulhausverein von Unterweikertshofen, der inzwischen 270 Mitglieder zählt. Er nahm sich zum Ziel, das historische Gebäude zu erhalten und zu einem öffentlichen Treffpunkt zu machen. Der Verein erhielt von der Gemeinde Erdweg zunächst eine auf zwei Jahre befristete Erlaubnis, den ehemaligen Klassenraum selbst zu bewirten. Im März 2010 unterzeichnete er einen Erbbaurechtsvertrag mit der Gemeinde. Er gilt für 40 Jahre und verpflichtet, das Gebäude zu renovieren. Die Pacht beträgt symbolisch einen Euro pro Jahr.

Die Renovierungsarbeiten begannen im September 2012. Im Gegensatz zu den Projekten in Erdweg und Sittenbach trägt der Verein nahezu alle Renovierungskosten durch Mitgliedsbeiträge, Verpachtung der Wirtsstube und Spenden selbst - abgesehen von Zuschüssen durch den Denkmalschutz oder den Regionalentwicklungsverein Dachau Agil. Die Ehrenamtlichen leisteten bis dato 2000 Arbeitsstunden. Als ersten Schritt öffneten sie das Mansarddach. Bei dieser für den Barock typischen Bauform sind die Dachflächen im unteren Bereich abgeknickt und haben eine deutlich steilere Neigung als im oberen Bereich. Auf diese Weise gewann man Platz für mehr Räume unter dem Dach, die sogenannten Mansarden. Der Schulhausverein wechselte schadhafte Balken aus, dämmte das Dach und deckte es wieder ein. Die blecherne Mansarde auf der Südseite wurde durch Dachziegel ersetzt. Es folgten die Erneuerung von Fassade und Fenstern.

Der Innenausbau ist dieser Tage in vollem Gange, wie beim Rundgang mit Werner Huhn deutlich wird. An vielen Stellen bröckelt noch der Putz von den alten Wänden, es liegen Werkzeuge herum und riecht nach alter Bausubstanz. Das Gebäude steht wegen einer speziellen Bauweise seit 1997 unter Denkmalschutz. Anstatt Rohrmatten, wie später üblich, dienten im Alten Schulhaus Haselnusszweige als Putzträger. Entsprechende Deckenpassagen wurden vom Schulhausverein frei gelegt und auch so belassen. Der ursprüngliche Boden, der zwischen den Balken mit Kies aufgefüllt war, wurde entfernt und mit Kiefernholz erneuert. Drei Zimmer, wo einst sozial Bedürftige lebten, sind weitestgehend renoviert. Werner Huhn schwebt vor, die Zimmer in Nostalgieräume umzugestalten, in denen alte Lehrmaterialien und Informationswände über den Räuber Kneißl und die Geschichte des Schulhauses ausgestellt werden. Einige der Unterrichtsmaterialien hängen momentan in der Wirtsstube, die von Mittwoch bis Montag jeweils von 17 bis 24 Uhr geöffnet ist. Zu sehen sind etwa ein alter Chemiekasten, hölzerne Flugzeugmodelle oder eine Schulwandkarte des Deutschen Reiches aus dem Jahr 1900.

Während Huhn durch die Räume führt, feiert eine erste Klasse aus Erdweg ihr Schulfest in dem kleinen, gemütlichen Biergarten vor dem Schulhaus. Sie spielen an jenem Ort, wo Räuber Kneißl nur Unfug im Sinn hatte.

© SZ vom 25.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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