50 Jahre Erdweg:"Heute kennt nicht mehr jeder jeden"

50 Jahre Erdweg: Die Gemeinde Erdweg ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen.

Die Gemeinde Erdweg ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Im Zuge der Gebietsreform entstand vor 50 Jahren die neue Gemeinde Erdweg. Der Zusammenhalt der Ortsteile war von Anfang an stark. So dörflich wie früher geht es dort heute allerdings nicht mehr zu. Ein Rückblick .

Von Shafia Khawaja, Erdweg

Aus den ehemals selbständigen Gemeinden Kleinberghofen, Großberghofen, Eisenhofen, Unterweikertshofen und Welshofen ist vor 50 Jahren die Gemeinde Erdweg entstanden. Hintergrund ist eine Gebietsreform, die Bayern ab 1970 anstieß. Durch diesen Zusammenschluss der kommunalen Verwaltung erhoffte sich die Staatsregierung effizientere Gemeinden und Landkreise. Haimhausen etwa wurde durch Eingemeindung gegründet. In Erdweg hingegen wurden die Altgemeinden aufgegeben und eine komplett neue Gemeinde gegründet - auf freiwilliger Basis.

Trotzdem kam es teils zu kontroversen Diskussionen: So musste Kleinberghofen entscheiden, ob es sich dem Landkreis Dachau oder dem Landkreis Aichach anschließt. Einige Gemeinden protestierten gegen die kommunalen Zwangsehen: Die ehemals eigenständige Gemeinde Tandern legte 1985 eine Popularklage ein, um den 1978 erzwungenen Zusammenschluss mit Hilgertshausen zu annullieren. In ganz Bayern reduzierte sich die Zahl der Gemeinden im Zuge der Reform von knapp 7000 auf rund 2000 im Jahr 1979.

Schon früher kamen Schüler von außerhalb nach Erdweg

In Erdweg erscheint der Zusammenschluss wie eine logische Konsequenz: Die Ortsteile waren schon zuvor kirchlich und schulisch miteinander verbunden. Bereits im September 1968 öffnete die Verbandsgrundschule. Die Schüler kamen aus den umliegenden Gemeinden nach Erdweg - die alten Schulhäuser wurden aufgelöst. Seit 1970 waren die Ortsteile auch über den Pfarrverband Erdweg organisiert: Es war der erste Verband der Erzdiözese München-Freising. Nicht jede Gemeinde konnte sich mehr ihren eigenen Pfarrer leisten: Der Nachwuchs fehlte, die Zahl der Gläubigen ging zurück - deshalb wurden die benachbarten Pfarreien zusammengeschlossen.

Heute befindet sich das Pfarrzentrum neben der Grund- und Mittelschule. Das Pfarrzentrum Erdweg ist keine klassische Kirche: ein großer Saal, eine kleine Bühne im Kirchenraum. Es gibt Büros, Versammlungsräume und eine Kapelle. Hier wird Fasching gefeiert und es werden Gottesdienste abgehalten. Einen Kirchturm gibt es nicht. Das Pfarrzentrum werde im Volksmund deshalb auch "Pfarrscheune" oder "Pfarrgarage" genannt, erzählt Dachaus Kreisheimatspflegerin Brigitta Unger-Richter.

50 Jahre Erdweg: Kirche ohne Turm: Das katholische Pfarrzentrum in Erdweg.

Kirche ohne Turm: Das katholische Pfarrzentrum in Erdweg.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Der Zusammenschluss der Gemeinde Erdweg sei der "finale Schritt" gewesen, der auf die Verbandsschule und Pfarrgemeinde folgte, erklärt Christian Blatt. Der Bürgermeister ist seit 2017 für die CSU im Amt. "Die Entscheidung der damaligen Gemeinderäte war wegweisend und in ihrer Weitsicht sehr beeindruckend". Maßgeblich am Zusammenschluss der Gemeinde beteiligt war Ludwig Ostermair. Er gilt gar als "Vater der Gemeinde Erdweg". Bevor er 1972 zum ersten Bürgermeister Erdwegs wurde, war er von 1966 an Bürgermeister von Kleinberghofen. Während seiner Amtszeit wurde Erdweg an die Kanalisation und Wasserversorgung angeschlossen sowie an das Bahnnetz des MVV. Heute ist die S2 Richtung Altomünster eine wichtige Verkehrsader.

An erster Stelle kommt der Ortsteil

Nach wie vor sind die Bewohner besonders stolz auf ihren eigenen Ortsteil: Der steht Brigitta Unger-Richter zufolge an erster Stelle: "Erdweg ist das Zentrum des Verbunds und die Ortsteile wie Satelliten außen rum." Das spiegelt sich auch im Gemeinderat wider: Von den verschiedenen Fraktionen und Gruppierungen lassen sich fünf den ehemaligen Altgemeinden zuordnen. Man könne aber nicht von "Rivalität" sprechen, meint Bürgermeister Christian Blatt, eher von einem "Ortsteildenken". Der Zusammenhalt innerhalb der Gemeinde sei stark ausgeprägt.

50 Jahre Erdweg: Erdwegs Bürgermeister Christian Blatt.

Erdwegs Bürgermeister Christian Blatt.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

"Erdweg ist wie eine Klammer, welche die eher dörflich gebliebenen Einheiten zusammenhält", bestätigt Unger-Richter, die selbst vor mehr als 20 Jahren nach Erdweg gezogen ist. In den vergangenen Jahren sind viele Kitas und Neubaugebiete entstanden. Der dörfliche Charakter verliere sich immer mehr, so die Kreisheimatspflegerin. Die Menschen fahren nach München zum Arbeiten und kommen zum Schlafen zurück: "Sie nehmen nicht mehr so sehr am öffentlichen Leben oder am Vereinsleben teil. Die Struktur von früher geht verloren."

Aus der Gemeinde stammen viele bekannte Personen

Überall in der Gemeinde lassen sich noch Spuren aus der Vergangenheit finden: Im Wirtshaus am Erdweg kamen bereits früher Reisende zum Rasten, Pferde konnten getauscht und Briefe verschickt werden. Heute wird hier nicht nur gespeist, sondern auch Kulturprogramm gemacht. Die Kabarettistin Monika Gruber ist bereits in Erdweg aufgetreten, aus der Gemeinde kommen viele bekannte Persönlichkeiten: Simon Hacker aus Großberghofen war Mitbegründer der Hacker-Pschorr-Brauerei, Johannes Neuhäusler aus Eisenhofen war Widerstandskämpfer und Häftling im KZ Dachau. Nach dem Krieg wurde er zum Weihbischof ernannt und kümmerte sich um den Wiederaufbau der Basilika am Petersberg. Heute ist sie das markanteste und älteste Denkmal in Erdweg.

Die Gemeinde lag früher an einer Hauptverkehrsader: Die Römerstraße führte vom oberösterreichischen Wels über die Isar südlich vorbei an Dachau nach Augsburg. Nicht nur Güter wie Salz oder Wein wurden transportiert, die Strecke wurde auch als Poststraße sowie von Reisenden zwischen München und Augsburg genutzt. Erst mit dem Aufkommen der Eisenbahn im 19. Jahrhundert verlor die ehemalige Römerstraße an Bedeutung.

50 Jahre Erdweg: Großberghofen gehört zu den kleinen Orten, die wie Satelliten um das Zentrum Erdweg liegen.

Großberghofen gehört zu den kleinen Orten, die wie Satelliten um das Zentrum Erdweg liegen.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

"Hier ist viel Geschichte verborgen", sagt die Kreisheimatspflegerin. Im 16. Jahrhundert wurde eine Quelle in Walkertshofen gefunden, die im Mittelalter als Heilbad genutzt wurde und angeblich Hautkrankheiten heilte. In den 50er Jahren gab es eine Badeanstalt, die Menschen badeten in der Glonn. "Daran würde heute niemand mehr denken", sagt sie lachend. Vieles hat sich in der Gemeinde Erdweg geändert. Die Einwohnerzahl hat sich in den vergangenen 50 Jahren mehr als verdoppelt: 1971 waren es 2800 Einwohner, im Dezember 2021 schon 6444. Das Wachstum spürt auch Bürgermeister Christian Blatt, der in der Gemeinde aufgewachsen ist: "Es ist nicht jetzt nicht mehr so, dass jeder jeden kennt."

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