Erasmus-Stiftung:"Tief im Milieu der Neuen Rechten"

Erasmus-Stiftung: Desiderius Erasmus war ein niederländischer Humanist.

Desiderius Erasmus war ein niederländischer Humanist.

(Foto: imago stock&people/imago/United Archives)

Die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung könnte bald bis zu 50 Millionen Euro vom Staat bekommen. Dagegen begehrt die Lagergemeinschaft Dachau nun auf und fordert ein Einschreiten der Ampel-Parteien.

Von Helmut Zeller, Dachau

Der Widerstand gegen die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) breitet sich aus - auch in Dachau erhebt eine gewichtige Organisation ihre Stimme: Die Lagergemeinschaft Dachau, der Zusammenschluss ehemaliger KZ-Häftlinge, fordert die Ampel-Parteien auf zu verhindern, dass die Erasmus-Stiftung Steuergeld bekommt. Sie sei eine Stiftung, deren "zentrale Akteure tief im Milieu der Neuen Rechten verwurzelt" seien, heißt es in einem Brief an die Parteispitzen von SPD, Grüne und FDP. Mit dem zweiten Einzug der AfD in den Bundestag nach er Wahl im September steht der DES der bisherigen Praxis für parteinahe Stiftungen entsprechend viel Geld zu - in den kommenden vier Jahren geschätzt bis zu 50 Millionen Euro. Dagegen wenden sich auch andere Kritiker, etwa die Anne Frank-Bildungsstätte in Frankfurt am Main, die davor warnen, einen Think Tank für die Rechten wie die Erasmus-Stiftung aus dem Staatshaushalt zu fördern.

Eine große Gefahr für die Demokratie sehen darin der Holocaust-Überlebende Ernst Grube, Präsident der Lagergemeinschaft Dachau, und sein Vize Jürgen Müller-Hohagen. Sie erklären: Für Stiftungen, welche "die demokratischen Grundsätze unserer Gesellschaft untergraben, oder geeignet sind, die Würde der Menschen zu verletzen, darf es keine öffentlichen Mittel geben". Das sieht nicht nur die Lagergemeinschaft Dachau so. Mehr als 100 000 Menschen, darunter Vertreter von Organisationen wie "Omas gegen Rechts", Campact und die Bildungsstätte Anne Frank, haben eine Petition unterzeichnet, in der ein Stiftungsgesetz gefordert wird, das die bisherige Verteilungspraxis per Beschluss des Bundestages ablöst.

"Sorgen Sie dafür, dass keine Mittel für diese Stiftung in den Bundeshaushalt eingestellt werden"

Ernst Grube, der als Kind Theresienstadt überlebt hat, und Jürgen Müller-Hohagen fordern: "Sorgen Sie dafür, dass keine Mittel für diese Stiftung in den Bundeshaushalt eingestellt werden." Das sollen SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag klar festschreiben. "So wie viele Menschen, die sich große Sorgen machen um den demokratischen Zusammenhalt unserer Gesellschaft, möchten wir Sie dringend bitten: Schaffen Sie die gesetzliche Grundlage dafür, dass auch auf Dauer eine Finanzierung der Parteistiftung der AfD aus Bundesmitteln verhindert wird. Begründung: Mit großer Sorge sieht die Lagergemeinschaft Dachau, wie rechte Strömungen rund um die AfD die deutsche Geschichte umdeuten und so Geschichtsrevisionismus, Antisemitismus und Rassismus zunehmen."

Die Stiftungschefin Erika Steinbach sagte auf einer DES-Pressekonferenz am 6. Juli in Berlin: "Wir werben und wir kämpfen engagiert für Demokratie, für Rechtsstaatlichkeit, für Meinungsfreiheit. Aber auch für eine Zukunft Deutschlands als Nation. Als einzige konservative politische Stiftung wollen wir die Grundlagen für eine politische Erneuerung unseres Landes legen und gültige Maßstäbe wiedergewinnen und sie von Überlagerungen befreien... Wir wollen die kulturelle Identität unseres Landes mit seinen wertkonservativen Wurzeln durch gezielte Förderung und ein breit gefächertes Bildungsangebot in geistiger Offenheit an die nächsten Generationen weiterreichen."

Die Erasmus-Stiftung wurde 2017 gegründet. Steinbach, frühere Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, war 27 Jahre lang Bundestagsabgeordnete für die CDU. Die Politikerin stimmte gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und auch gegen das Gesetz, das Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe stellt. Im Januar 2017 trat sie unter anderem wegen der aus ihrer Sicht verfehlten Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel aus der CDU aus. Kritiker werfen Steinbach Flüchtlingshetze und Antisemitismus vor. Durch eine Förderung in Millionenhöhe könnten Stipendien und Forschungsaufträge vergeben und darüber noch intensiver rechtspopulistisches und gar rechtsextremes Gedankengut in Universitäten und andere Bildungseinrichtungen tragen und in der Gesellschaft verankern.

Auch die Otto Brenner Stiftung, die Wissenschaftsstiftung der IG Metall, warnt in einer Studie eindringlich vor dem Think Tank Erika Steinbachs. Die Erasmus-Stiftung stehe dem extrem rechten Parteienspektrum nahe. Die DES könne ein zentraler Baustein für Versuche der Neuen Rechten werden, in Deutschland Hegemonie im vorpolitischen Raum zu erlangen. Die DES könnte dauerhafte Strukturen schaffen, um menschenfeindliche Positionen der Neuen Rechten in der Gesellschaft stärker zu platzieren. Auch investigative Journalisten, so die Lagergemeinschaft, hätten die Verwurzelung von DES-Akteuren im Milieu der Neuen Rechten immer wieder nachgewiesen.

Der Brief der Lagergemeinschaft geht an Olaf Scholz (SPD), Annalena Baerbock und Robert Habeck (Grüne) sowie Christian Lindner (FDP)

Nach den Ausschreitungen in Chemnitz im August 2018 forderten Wissenschaftler, Vertreter von Opfergruppen und Leiter von KZ-Gedenkstätten die DES auf, "ihr Programm im Bereich historisch-politische Bildung, Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte und Erinnerungspolitik offenzulegen und von unabhängigen Experten prüfen zu lassen". Die Leiterin des Fritz-Bauer-Instituts, die Historikerin Sybille Steinbacher, die aus dem Landkreis Dachau kommt und die Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte leitet, unterstützte diese Forderung. Auch Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen wie der Vorsitzende des Zentralrats deutscher Sinti und Roma, Romani Rose.

Die Lagergemeinschaft betont, dass sie sich nicht gegen die Arbeit parteinaher Stiftungen in Deutschland wendet, die gegenwärtig jährlich mit 660 Millionen Euro vor allem aus dem Bundeshaushalt gefördert werden. Diese Stiftungen sind dazu da, für gesellschaftliche Vielfalt zu sorgen und den demokratischen Diskurs zu stärken. Aber wer eine eigene Ideen- und Kaderschmiede aufbauen wolle, um bestehende rechtsextreme Strukturen zu unterstützen, so die Lagergemeinschaft, dürfe im Sinne der wehrhaften Demokratie nicht gefördert werden. "Es ist unser aller Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wir wieder zu einer demokratischen, menschenwürdigen Streitkultur zurückkehren. Politische Bildung im Sinne der AfD ist dafür nicht geeignet."

Der Brief der Lagergemeinschaft geht an Olaf Scholz (SPD), Annalena Baerbock und Robert Habeck (Grüne) sowie Christian Lindner (FDP). Grube und Müller-Hohagen erwarten mit Spannung die Antwort der Spitzen der kommenden Ampelkoalition, die sich in den Sondierungsgesprächen übereinstimmend dafür ausgesprochen haben, entschlossen gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus in Deutschland vorzugehen. Die Lagergemeinschaft, die Mitglied im Comité International de Dachau ist, hofft auf Unterstützung durch die neue Bundesregierung. "Als Organisation, die nach der Befreiung vom Nationalsozialismus von deutschen Überlebenden des KZ Dachau gegründet wurde, können und wollen wir es nicht zulassen, dass wieder eine politische Bildung von Rechtsaußen etabliert wird."

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