Englische Musik um 1700:Vom Consort zum Concerto Grosso

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"L'Estro" gibt einen sinnlichen Einblick in die Musikgeschichte

Von Renate Zauscher, Petershausen

"We are delighted to welcome this orchestra": Mit diesen Worten begrüßte Gottfried Lehmann, Leiter der Gruppe "Musik in der Kirchengemeinde Kemmoden-Petershausen", am Sonntag das Kammerorchester L'Estro bei seinem diesjährigen Adventskonzert in der Petershausener Segenskirche. Lehmann nahm mit seinem englischen Willkommensgruß Bezug auf das Thema des Konzerts: Es stand unter dem Motto "Baroque in London" und bildete als "Werkstattkonzert" die Generalprobe vor einem Auftritt tags darauf in der Hofkapelle der Residenz in München. Das Kammerorchester, dessen Namen sich von der italienischen Bezeichnung für "Inspiration" oder "Eingebung" ableitet, ist aus dem Abaco-Sinfonieorchester in München mit dem expliziten Ziel entstanden, Musik des Barock zur Aufführung zu bringen. Seit der Gründung vor neun Jahren hat sich das Orchester zu einem beeindruckenden musikalischen Klangkörper entwickelt: Seine Mitglieder musizieren auf hohem Niveau, obgleich sie sich alle gegen einen Weg als professionelle Musiker und stattdessen für einen "bürgerlichen" Beruf entschieden haben. Jeweils einmal im Jahr widmet sich das Orchester mit seinen gut einem Dutzend Mitgliedern einem besonderen, geografisch orientierten Projekt. Im vergangenen Jahr stand Barockmusik der Niederlande im Fokus, heuer ist es eine höchst spannende Periode in der englischen Musikgeschichte zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert.

Was die Konzerte von L'Estro auszeichnet, ist nicht nur die Qualität des gemeinschaftlichen Musizierens, sondern auch die Form, in der das jeweilige Programm den Zuhörern nahegebracht wird. Frank Behrendt, selber Bratschist im Orchester, stellt die vorgetragenen Werke nämlich in zeitliche und musikgeschichtliche Zusammenhänge, über die man auch noch in einem sehr schön aufgemachten Programmheft nachlesen kann. Unmittelbar sinnliches Hörvergnügen wird auf diese Weise zusätzlich vertieft und intensiviert.

In der Zusammenstellung der Stücke, die das Orchester für das diesjährige Adventskonzert ausgesucht hatte, spiegelt sich eine innerhalb der englischen Musikgeschichte höchst interessante Entwicklung: der Übergang einer noch ganz vom "English Spirit" bestimmten Musik des 16. und 17. Jahrhunderts hin zu einem gänzlich anderen, von italienischen Einflüssen geprägten Stil. So spielen in den Kompositionen eines John Dowland (1563 - 1626) noch Laute und Gambe eine wichtige Rolle, was sich um das Jahr 1700 dramatisch ändert. Behrendts Erläuterungen und der Versuch, die besondere Klangfarbe des "English Spirit" und des gemeinschaftlichen Gambenspiels in sogenannten "Consorts" hörbar zu machen, verdeutlichten diesen Übergang.

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts, im Zuge einer zunehmenden Begeisterung für die Antike und ihre Stätten, entdeckte England die italienische Musik und holte sich aus dem Süden bekannte Komponisten und Interpreten. Unter dem Einfluss von "Immigranten" wie Francesco Geminiani, Giuseppe Sammartini oder deren Schülern entstanden Werke, in denen Sonaten etwa von Arcangelo Corelli oder Domenico Scarlatti die Grundlage für ein Concerto Grosso bildeten.

Höhepunkt und Ende des "English Spirit" in der Musik bildeten die Kompositionen von Henry Purcell (1659-1695), ehe Georg Friedrich Händel (1685-1759) die englische Bühne betrat. Wie sehr sich die Menschen des 18. Jahrhunderts von dieser "neuen" Musik begeistern ließen, ist heute wie eh und je nachvollziehbar. Und so bildete auch das Harfenkonzert in B-Dur von Händel mit Johanna Schellenberger als Solistin einen der Höhepunkte des Konzerts in Petershausen: Die Harfe, bei Händel erstmals in der Rolle als Soloinstrument, füllte den Raum der Segenskirche mit machtvollen Klängen, für die das Publikum mit großem Applaus dankte.

Eigentlich sei es Philosophie des Orchesters, keine einzelnen Mitglieder als Solisten in den Mittelpunkt zu stellen, sagte Frank Behrendt. Gerade in der Barockmusik mit vielen Solopartien innerhalb der Kompositionen gebe es "immer für alle genug zu tun". Dennoch waren es zwei junge Leute, die das Publikum in Petershausen besonders beeindruckten: die Geschwister Miriam und Fabian Schulz auf der Violine. Sie musizierten mit einer solch ansteckenden Freude auf ihren Instrumenten, dass es ein Vergnügen war, ihnen zuzuschauen und zuzuhören. "Es ist ein großes Glück, so viele tolle Musiker und Musikerinnen gefunden zu haben", sagte Frank Behrendt - und hatte dabei nicht nur die Geschwister Schulz sondern alle Mitwirkenden im Orchester im Blick.

© SZ vom 11.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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