Süddeutsche Zeitung

Eine Vierkirchenerin in Indien:Am anderen Ende der Welt

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Das Zuhause von Emely Weich ist eigentlich Vierkirchen. Seit September ist sie aber nun als Freiwillige in einem kleinen Bergdorf in Indien und unterrichtet Englisch. Wenn sie zurückkommt, will sie Lehramt studieren

Von Lina Brückner, Vierkirchen/Indien

Ein Jahr weniger Schule, ein überstürztes Abitur, mit 17 oder 18 Jahren an die Uni und mit Anfang 20 ins Berufsleben einsteigen - das ist häufig die Folge des achtjährigen Gymnasiums. Dochviele Abiturienten zieht es nach der Schule auch erst einmal weg - von zu Hause, den Eltern, den Gewohnheiten. Viele entscheiden sich für ein Jahr Work and Travel, andere absolvieren einen Freiwilligendienst. So auch die 18-jährige Emely Weich aus Vierkirchen. Sie ist mit der Organisation Don Bosco Volunteers in einem Care Home in Indien. Bis Mitte August 2020 kümmert sie sich in dem kleinen Bergdorf Nilavaarapatti um Jungen, die mit dem HI-Virus infiziert sind.

"Mir war schon früh klar, dass ich ins Ausland möchte", sagt die Abiturientin. Bei den Besinnungstagen in der zehnten Klasse in Benediktbeuern ist sie auf die Freiwilligendienste gestoßen. Da sie in der Schule Englisch und Latein gelernt hat, kamen Auslandsaufenthalte in Lateinamerika oder dem französischsprachigen Benin, die unter anderem angeboten wurden, nicht in Frage. Nach einigen Vorbereitungsseminaren zu den Projekten, bei denen sie bereits ihre Mitvolontäre kennenlernte, ist sie deshalb im September in den südindischen Bundesstaat Tamil Nadu gereist. Der Straßenverkehr habe sie bei der Ankunft am meisten beeindruckt, erzählt Emely Weich am Telefon. "Wegen dem Linksverkehr bin ich auf der falschen Seite ins Auto gestiegen." Zudem bewundere sie den allgemeinen Umgang zwischen den Menschen. Etwa wenn sie von den Kindern liebevoll "Schwester" genannt wird.

Anders als bei den meisten Freiwilligenprojekten im Ausland muss Weich für ihren Aufenthalt finanziell nicht selbst aufkommen. Drei Viertel der Kosten werden von der Organisation "weltwärts", zu der ihr Projekt gehört, übernommen. An den restlichen Kosten kann sich jeder durch Spenden beteiligen. In Indien unterrichten Emely Weich und ihre deutsche Mitvolontärin Laura Gnann insgesamt 79 Straßenkinder im Alter zwischen sechs und 22 Jahren in Englisch. "Vormittags behandeln wir die Grundlagen: ein paar Wörter und ein bisschen Grammatik", erzählt Weich. Nachmittags gebe es eine Einheit spielerisches Englisch und abends noch einmal "Study Time". Neben dem Sprachunterricht sind Kontakt und Austausch mit den Kindern ein wichtiger Bestandteil der Projektarbeit. Zum Beispiel während der sogenannten abendlichen Recreation, wenn alle zusammen den Tag Revue passieren lassen und sich auch über ernste Themen unterhalten. Eine Wirkung habe ihr Aufenthalt auf die Kinder auf jeden Fall, ist Weich überzeugt. Denn an den Colleges finde der Unterricht nur auf Englisch statt, doch nur wenige Schüler beherrschten die Sprache, da diese im Bundesstaat Tamil Nadu nicht als Amtssprache gilt.

Neben den Kindern lernen auch die Freiwilligen viel. Zum Beispiel, "dass man Sachen wie das Reisen auch entspannter angehen kann", sagt Weich. "Es muss nicht immer alles pünktlich sein." Neben den vielen Erfahrungen, die sie während ihres fast einjährigen Aufenthalts sammle, sei ihr stets wichtig, "die Sache im Hinterkopf zu haben". Besonders gefällt der Freiwilligen der Ort ihres Auslandaufenthalts: "Wir sind das grünste Projekt von allen." Und auch die Kleidung sei entspannter als bei anderen Projekten in Indien. So müssten die zwei Volontärinnen etwa keine "rutschigen und nervigen" Schals tragen.

Ein soziales Projekt wie es Weich derzeit in Indien macht, hat nicht nur einen Einfluss auf die Zukunft der Kinder, sondern auch auf die der Volontäre. Weich erzählt, viele entschieden sich danach für ein Studium der Sozialen Arbeit oder der Psychologie. "Bevor ich nach Indien gekommen bin, wollte ich Grundschullehramt studieren." Doch sie habe gemerkt, dass Kinder durchaus anstrengend sein können. Nun will sie lieber Lehrerin für die Realschule oder das Gymnasium werden. Doch das liegt noch in weiter Ferne. Nächstes Jahr wieder nach Deutschland zu kommen, sei ein "ganz komisches Gefühl". Jedes Jahr im August und September, wenn die Volontäre vor Ort wechseln, sind die Freiwilligenstellen im Care Home frei. Dann will Emely Weich auf jeden Fall noch einmal für einen Monat zu den Kindern zurückkehren.

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Quelle:
SZ vom 04.12.2019
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