Süddeutsche Zeitung

Eine politische Herausforderung:Geschichte für die Deutschen von morgen

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Das Dachauer Symposium fragt, wie Zuwanderer und Flüchtlinge über den Nationalsozialismus aufgeklärt werden können

Von WAlter Gierlich, Dachau

Deutschland ist ein Einwanderungsland, auch wenn die Politik das jahrzehntelang vehement bestritten hat. Millionen von Menschen aus aller Welt sind zugewandert und haben Kultur und Geschichte ihrer Herkunftsländer mitgebracht. Nun treffen sie in Deutschland auf eine ganz andere Historie, die im 20. Jahrhundert von zwei Weltkriegen sowie dem Nationalsozialismus und dem einzigartigen Menschheitsverbrechen des Holocaust geprägt war. Das Dachauer Symposium für Zeitgeschichte beschäftigt sich daher im Oktober mit der Frage: "Geschichte von gestern für Deutsche von morgen?".

Wie schon mehrmals seit sie 2012 die Projektleitung übernommen hat, schlägt die aus dem Landkreis Dachau stammende Historikerin Sybille Steinbacher auch diesmal thematisch eine Brücke aus der Zeit des Zeit des Nationalismus in die Gegenwart. Seit diesem Frühjahr lehrt sie an der Goethe-Universität in Frankfurt leitet zugleich das dortige Fritz-Bauer-Institut. Eigentlich war das Thema bereits im vergangenen Jahr geplant, doch wegen der Erkrankung des wissenschaftlichen Leiters Volkhard Knigge musste die Tagung im vorigen Herbst kurzfristig abgesagt werden. Doch nun, ein Jahr später, wird die Veranstaltung unter Leitung Knigges nachgeholt, die den etwas sperrigen Untertitel trägt: "Die Erfahrung des Nationalsozialismus und historisch-politisches Lernen in der (Post-) Migrationsgesellschaft."

Nicht erst seit in den letzten Jahren Hunderttausende Geflüchtete nach Deutschland kamen, stellt sich die Frage: "Wie kann die zunächst zwingend nationalgeschichtlich orientierte selbstkritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus über den nationalgeschichtlichen Referenzrahmen hinaus für Menschen anderer Herkunft geöffnet und relevant werden?" Und das, so fragen die Autoren im Einladungstext weiter, ohne den Zuwanderern eine historische Identität aufzunötigen und ohne dabei den Nationalsozialismus von seinem deutschen Ursprung abzukoppeln.

Knigge, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora sowie Professor für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, wird zu Beginn in die Problematik einführen, ehe es im ersten Teil des Symposiums darum gehen soll, eine Standortbestimmung vorzunehmen und zu bilanzieren, welche erziehungswissenschaftlichen und gedenkstättenpädagogischen Konzepte für die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der Einwanderergesellschaft seit den neunziger Jahren entwickelt wurden.

Vorgestellt werden an den beiden Tagen zunächst die in den letzten zwei Jahrzehnten erarbeiteten Konzepte durch Gottfried Kößler vom Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt am Main und die Pädagogin Viola B. Georgi von der Universität Hildesheim. Im zweiten Teil geht es um die Erfahrungen, die damit gemacht wurden. Elke Gryglewski (Berlin) wird über die Erfahrungen mit der Vielfalt in der pädagogischen Arbeit an Gedenkstätten berichten. Aycan Demirel, ebenfalls aus Berlin, wird über die historisch-politische Bildungsarbeit mit Jugendlichen aus Einwandererfamilien referieren. Berichte über konkrete praktische Erfahrungen runden den zweiten Teil des Symposiums ab, die Gabriele Hammermann, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, und Olive von Wrochem (Hamburg/Neuengamme) beitragen werden.

Im dritten Teil schließlich wird erörtert, ob und inwiefern historisch-politische Bildung als Medium interkultureller Verständigung und Integration dienen kann. Referenten hierzu sind Omar Kamil (Universität Leipzig), Astrid Messerschmidt (Bergische Universität Wuppertal) sowie der Grünen-Politiker Cem Özdemir. Abgeschlossen wird das Symposium traditionsgemäß mit einer von Steinbacher moderierten Diskussionsrunde über den Umgang mit dem Nationalsozialismus in der (Post-)Migrationsgesellschaft, an der Kamil, Knigge, Messerschmidt und Özdemir teilnehmen.

Das Symposium findet am Freitag/Samstag, 13./14. Oktober, im Max-Mannheimer-Haus/Studienzentrum und Internationales Jugendgästehaus an der Roßwachtstraße 15 in Dachau statt. Es beginnt am Freitag um 13 Uhr und endet am Samstag gegen 12.30 Uhr. Anmeldungen sind bis 29. September beim Max-Mannheimer-Studienzentrum in Dachau möglich.

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Quelle:
SZ vom 09.09.2017
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