Eine bedeutende Künstlerin:Teuflische Coolness

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Nina Annabelle Märkl gewährt in der Altstadt einen exemplarischen Einblick in ihr Werk

Von Wolfgang Eitler, Dachau/München

An den Autoren, die über Nina Annabelle Märkl schreiben, lässt sich erkennen, dass die 37-Jährige aus Dachau zu den bedeutenden Künstlerinnen in Deutschland zählt. Ein weiteres Indiz dafür ist, dass sie von der Münchner Galerie Six Friedrich seit 2009 vertreten wird und an der Kunstakademie der Landeshauptstadt unterrichtet. Zu Six Friedrich muss man erst mal kommen.

So schreibt Florian Matzner, Professor für Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München, über Märkl, dass sie Gemälde zwischen Zeichnung und Skulptur entwickelt. Ihn fasziniert das Raffinement aus Lineaturen und dynamisierten Räumen. Schwarze Tuschelinien verlieren sich im weißen Nichts und setzen einen ortungslosen Weltenraum in Bewegung. Sämtliche Zeichnungen sind partiell in Objektkästen eingebunden, die sie begrenzen und gleichzeitig herauslösen, weil der Betrachter sich in ihnen spiegelt.

Eine Wunderkammer aus Erscheinungen

Der Berliner Galerist und Kunstkritiker Jan-Philipp Frühsorge reflektiert über Märkls Methodik des Zeichnens. Er spricht von ihren Werken als einer "Wunderkammer" aus Erscheinungen. Wie Florian Matzner beschreibt er allerdings nicht, was denn nun bei der Künstlerin tatsächlich zu sehen ist. Vielmehr bewundern beide vor allem deren handwerkliche Kompetenz und gleichzeitig imaginativ-poetische Kraft.

Kunst- und Medienexpertin Eva Wattolik vom Institut für Kunstgeschichte in München deutet zumindest an, dass Märkl eine besondere Welt aus marionettenhaften Figuren entwirft. Sie vermutet, dass solche Zeichnungen erst aus einem filmischen Sehen heraus möglich sind. Denn die Künstlerin fragmentiere menschliche Körper, die sie in irreale Räume transformiere. In Filmen erhalten solche Raumkompositionen eine erfahrbare Dimension.

Aber wer wissen will, was Nina Annabelle Märkl darstellt, sollte sich in die Altstadtsparkasse Dachau begeben und die kleine Ausstellung aus Objektkästen anschauen. Sie führen in eine Welt hinein, die Assoziationen zu Hieronymus Bosch eröffnet. Nur in einer moderneren Form, weil die Räume architektonisch puristisch designed sind. Statt Höllenvisionen des Mittelalters bevölkern stumme Gestalten, fragmentierte Körper, animalisch und teils gerade noch menschlich wirkende Figuren mit Anleihen auch an Science-Fictionfilme die weißen, in sich gefalteten Blätter.

Dazu eine Anekdote: In einer Karikatur in der New York Times führt ein Immobilienmakler ein Ehepaar durch architektonisch extrem unterschiedliche Wohnungen. Sie gelangen zu einer, die licht ist, mit riesigen Fenstern, weitem Blick - und sonst nichts. Der Makler sagt zu dem begeisterten Ehepaar: "Ich glaube, diesen Minimalismus können Sie sich nicht leisten."

Bewegte, raumschiffartige Szenerie

Teuflische Coolness auf Erden ist teuer und - folgt man der Dachauer Künstlerin mit Münchner Atelier - nicht erstrebenwert: Eine Frau schwebt über einer Fensterlandschaft, die sich im Raum verliert. Sie wirkt statisch wie eine Marionette, als wäre niemand anwesend, der an ihr zieht. Sie könnte auch tänzerisch verkrampft sein. Darauf deuten die Finger hin, die überlang und knochig sind. In einer Diagonale zeichnet Märkl somnambule Gesichter, die ihre Identität verlieren und schließlich leere Masken sind. Der Modedesigner Jean Paul Gaultier arbeitete in einer Ausstellung in der Münchner Kunsthalle mit neutralen Puppen, auf die er Mannequins filmisch ablichtete. Den Effekt visueller Täuschung der Lebendigkeit verkehrt die Künstlerin ins Gegenteil.

Aus rautenförmig angeordneten Linien schafft Märkl eine bewegte, raumschiffartige Szenerie, in der sich Menschen oder menschenähnliche Wesen beziehungslos tummeln. Am Ende der Ausstellung stiert ein Mann auf strahlend schwarze Löcher. Das Bild einer schwarz pulsierenden Herzhinterwand setzt eine Art Schlusspunkt. Schön ist an den Bildern nichts. Aber ästhetisch sind sie - in ihrer präzisen Form des Zeichnens, den klaren sauberen Linien und dem gezielten Einsatz dekorativer Elemente wie messingfarbener Stäbe, welche einen der Objektkästen schmuckartig nobilitieren und den Gegensatz zum Dargestellten verstärken.

Die Künstlerin hat für ihre Art des Sehens einen Begriff aus der Medizin gewählt: Distraktion. Im übertragenen Sinn bezeichnet er den Zustand der Zerstreuung und Vereinzelung. Nina Annabelle Märkl beschreibt ihre Figuren so: "Sie zeigen sich als beunruhigende, ständig ablenkende Einheiten, die trotz ihrer Stille die Festmachung des Blicks verweigern." Und im Betrachten wird der Betrachter selbst Teil dieser in sich gefalteten Bilder. In dem Sinne sind sie Ausdruck einer negativen Dialektik, die Ganzheit oder Kommunikation im Sinne des empathischen Begriffs der Verständigung nicht mehr imstande sind zu zeigen, sondern in seinem Gegenteil als Sehnsucht erahnen lassen. Insofern ist die Künstlerin Nina Annabelle Märkl eine Romantikerin.

Nina Annabelle Märk: "Fragmented Fiction". Ausstellung bis Mittwoch, 3. Oktober, in der Sparkasse in der Altstadt Dachau zu den üblichen Geschäftszeiten.

© SZ vom 30.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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