Eindringlicher Appell:Dachauer Manifest für die Demokratie

81 Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kultur, Kirchen, Wirtschaft, Medizin, Verbänden und der Sozialarbeit im Landkreis warnen zwei Wochen vor der Landtagswahl vor einem Rechtsruck, der die liberale Gesellschaft in Bayern zerstören würde

Von Helmut Zeller, Dachau

Zwei Wochen vor der Landtagswahl wächst unter Dachauer Bürgern die Furcht vor einem Rechtsruck in Bayern. Die CSU ist Umfragen zufolge auf 34 Prozent abgestürzt, die SPD sackt auf elf Prozent ab und die rechtspopulistische AfD könnte mit 14 Prozent als drittstärkste Kraft hinter den Grünen (17 Prozent) ins Maximilianeum einziehen. Die Wahl am 14. Oktober entscheidet nicht nur über eine Kräfteverschiebung zwischen Parteien - sie entscheidet über die Rückkehr der Menschenfeindlichkeit in die politische Debatte. Das treibt Bürger im Dachauer Land um. "In großer Sorge um unsere demokratische und solidarische Gesellschaft" haben sich 81 Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Kultur, Kirchen, Medizin und der Sozialarbeit auf einen ungewöhnlichen Schritt verständigt. In einem offenen Brief warnen sie eindringlich davor, dass die liberale und demokratische Gesellschaft in Bayern in Gefahr ist.

"Die Verrohung der politischen Sprache und die Relativierung des nationalsozialistischen Unrechtsstaates sind sensible und entlarvende Seismografen für diese Erosion des Humanen", heißt es in dem offenen Brief. Das zielt auf rechtsextreme Gruppierungen und auf die AfD, deren Vertreter den Nationalsozialismus als "Vogelschiss" in der deutschen Geschichte abtun (Alexander Gauland) oder das Holocaust-Mahnmal in Berlin zum "Denkmal der Schande" erklären (Björn Höcke). Oder die Angriffe auf Menschen, wenn etwa die AfD-Fraktionschefin Alice Weidel im Bundestag von "Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierten Messermännern und sonstigen Taugenichtsen" spricht.

Das Manifest ist bewusst parteiunabhängig gehalten. "Um den Brief aus dem aktuellen Wahlkampf herauszuhalten, haben Politiker nicht an der Aktion teilgenommen, obwohl viele von ihnen den Text mit Überzeugung unterzeichnet hätten", erklärt der Sprecher Franz Baur. Die Liste der Unterzeichner des Briefes liest sich wie das Who's Who im Landkreis Dachau: Künstler wie Johannes Karl, Heinz Eder, Felix Plahl oder der Intendant des Hoftheaters Bergkirchen, Herbert Müller, sind darunter. Historiker wie Jürgen Zarusky vom Institut für Zeitgeschichte in München oder Sybille Steinbacher, Leiterin des Fritz Bauer Instituts in Frankfurt am Main und Projektleiterin des Dachauer Symposiums zur Zeitgeschichte oder Wilhelm Liebhart haben unterschrieben. Annerose Stangl-mayr, Geschäftsführerin, und Anton Jais, Vorsitzender des Dachauer Forums, drücken ihre Sorge ebenso aus wie eine ganze Reihe von Pfarrern und Diakonen, darunter Pfarrer Wolfgang Borm vom Pfarrverband St. Jakob oder Landvolkpfarrer Josef Mayer vom Petersberg, sowie Ärzte wie Jürgen Schreiner oder Carola Wagner-Manslau oder auch Schulleiter wie Gabriele Oswald-Kammerer von der Greta-Fischer-Schule. Wirtschaftsvertreter wie Christian Hofer, Vorstand der HUK Coburg, Reinhard Jahn, Allianz Versicherung, oder Thomas Müller, Cyclo Sumitomo, sind dem Aufruf gefolgt, auch weil sie wissen, dass eine Zunahme rechtspopulistischer Kräfte den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährdet. Die ganze Liste der Unterzeichner, die noch veröffentlicht wird, repräsentiert eine breite Palette von strukturkonservativen bis progressiven Positionen.

Die 81 - fast alle in leitenden Positionen - sind sich aber in ihrer Einschätzung der gegenwärtigen Entwicklung einig: "Personifizierter Hass gegen einzelne Gruppen unserer Gesellschaft und verfälschte Informationen schaffen Legenden, die sich selbst verstärken und wie Wanderdünen jede realistische und differenzierte Betrachtung unter Bergen von Unwahrheiten und Gerüchten verschwinden lassen. Das macht es den Demagogen leicht und den Nachdenklichen so schwer. Wie deutlich muss es uns die Geschichte noch lehren? Nationalistischer Hass führt zur Spaltung im Inneren und zum Krieg im Äußeren."

In dem Manifest appellieren die 81 an die Volksparteien CDU und CSU: "Den Teufel treibt man nicht mit dem Beelzebub aus. Wer sich auf die Inhalte und Symbolpolitik einer AfD und ähnlicher Gruppierungen einlässt, wird irgendwann nicht mehr von ihr zu unterscheiden sein." Gerade die konservativen Parteien hätten hier eine große Verantwortung, alle Graubereiche zu vermeiden und sich klar abzugrenzen. "Jeder Ruck nach Rechts schafft keine Wählerstimmen, sondern vergrößert den Raum der Radikalen. Ein bisschen radikal in der Politik geht ebenso wenig wie ein bisschen echt bei einem Rembrandt. Sind Anstand und schützende Tabus erst einmal über Bord gegangen, holt sie keiner mehr zurück."

Der Rechtsruck in ganz Europa wird in den Blick genommen: Die Geschichte habe uns gezeigt, wie fragil und verletzlich Demokratien sind. "Schleichend aber systematisch suchen sich autoritäre Gedanken ihre Wege durch die Institutionen. Die Gegner der offenen Gesellschaft scheinen mutig und spontan zu sein, sind aber in Wirklichkeit nur skrupellos, zynisch und berechnend. Aktuell bedrängende, aber lösbare Probleme wie die Flüchtlingskrise werden von ihnen nur als Vorwand benutzt, einen anderen, einen autoritären Staat zu schaffen", heißt es in dem Brief.

Natürlich müsse auch ein liberaler und demokratischer Staat Stärke zeigen, dies habe nicht zuletzt der Untergang der Weimarer Republik gelehrt. Die Unterzeichner des Manifests sprechen sich für seine umfassende Gestaltungshoheit aus, auch wenn diese manchmal mit unpopulären Maßnahmen durchgesetzt werden müsse. "Niemals aber darf er dabei seine eigenen Grundprinzipien verletzen. Willkür und Einschränkung der bürgerlichen Rechte zerstören unsere humanitäre Gesellschaft und führen geradewegs in den Totalitarismus. Einige unserer Nachbarländer haben leider diesen unheilvollen Weg bereits beschritten. Nur unsere wirtschaftliche Stabilität hat uns bisher davor bewahrt. Sie ist aber kein dauerhaftes Schutzschild."

Das Manifest wendet sich auch direkt an die Unzufriedenen im Land und warnt davor, aus Verdruss über die bestehende Politik, so sehr er berechtigt sein mag, den eigenen Untergang zu wählen. "Jeder möge sich überlegen, ob man in einem Staat leben möchte, in dem populistische Politiker Demokratie und Rechtssicherheit, Meinungs- und Pressefreiheit als liberalen Luxus bezeichnen - allesamt Errungenschaften der Aufklärung, die sich unsere Vorfahren mit dem eigenen Leben erkämpft haben. Errungenschaften, die den wirtschaftlichen Erfolg und die Lebensqualität in unserem Land erst möglich gemacht haben."

Am Ende mündet der offene Brief in einen Appell an die Menschen in Stadt und Landkreis Dachau: "Schweigen wir nicht in unseren Freundeskreisen und Stammtischen, beziehen wir Position in unseren Gremien. Geben wir der schweigenden Mehrheit eine Stimme. Geschichte wiederholt sich zwar nicht, aber sie reimt sich, dieses Wort wird Mark Twain zugeschrieben. Er hatte wohl Recht damit." Der renommierte Soziologe Harald Welzer hat es mit Blick auf das Beispiel Weimar so ausgedrückt: Demokratien gingen nicht an zu vielen Feinden, sondern an zu wenigen Freunden und Verteidigern zugrunde.

Wer den offenen Brief unterzeichnen möchte, kann dies ab sofort unter folgender E-Mail-Adresse tun: insorge2018@gmail.com.

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