Ein-Mann-Theater  in der Kulturschranne:Parabel auf die Ich-Gesellschaft

Süskinds Kontrabass

Einen Mann, der tragisch an sich selber scheitert, verkörpert Josef Strohmeier eindrücklich im Solo-Stück "Der Kontrabass".

(Foto: Niels P. Joergensen)

Josef Strohmeier setzt Süskinds berühmtes Solo-Stück "Der Kontrabass" zeitgemäß in Szene

Von Dorothea Friedrich, Dachau

"Ein Mann, Mitte dreißig, nämlich ich" steht am Freitagabend auf der Bühne der voll besetzen Kulturschranne, sein einziges Requisit: ein Kontrabass. Das Trumm von einem Instrument ist Titelgeber des Solostücks des Münchner Autors Patrick Süskind. Den Musiker spielt Franz Josef Strohmeier, lange Jahre Ensemble-Mitglied am Staatstheater Kassel und seit kurzem "Wahl-Dachauer", wie er sagt. Er spielt den mäßig begabten Musiker auf der Hinterbank des Staatsorchesters mit Empathie und Überzeugungskraft, monologisiert mit schwarzem Humor über Musik, die Welt und seine nicht ausgelebten Triebe. Einziger Gesprächspartner des verbeamteten Musikers, der nie ein Solo gespielt hat und solo in einem schalldicht isolierten Zimmer lebt, ist der Kontrabass. Auf den projiziert er seine Gefühle, seine Wut, sein Selbstmitleid, seine wirren erotischen Fantasien ("Ich brauche immer eine Frau, die ich nicht kriegen kann").

Er hat Body, sonst nichts

Der Kontrabass mutiert in dieser Bilanz eines nicht gelebten Lebens vom "mit Abstand wichtigsten Instrument überhaupt", vom "Sisyphos, der die ganze orchestrale Sinneslast den Berg hinauf wälzt", zur Ursache eines kläglichen Scheiterns in buchstäblich allen Lebenslagen. Er steht dumm rum, wenn überhaupt einmal eine Frau ihren Weg in die Wohnung des Musikers findet, er ist wie ein voyeuristischer Zuschauer auf dem Weg zum Sex, der nie stattfindet. "Er hat Body, ansonsten hat er nichts, ansonsten ist er eine einzige Katastrophe."

Eine Katastrophe wie das Leben des Enddreißigers, der wahrscheinlich schon zwanzig Jahre lang seine Midlife-Crisis pflegt.

Natürlich sind die Eltern an der ganzen Misere schuld. Der einzige Lichtblick ist die Mezzosopranistin Sarah, doch die hält sich der Kontrabassist wohlweislich vom durchaus wohlgeformten Leib. Könnte ja sein, dass er mal die Initiative ergreifen müsste, dass er dabei ein paar brutale Wahrheiten über sich selbst erfahren müsste.

Die Festanstellungs-Psychose

Mit den Mitteln der Komödie hat der Sprachartist Süskind schon 1981 eine ganze egomanische Welt entlarvt. Denn sein Kontrabassist ist zum einen ein todlangweiliger Spießer. "Ich bin total abgesichert. Ich habe eine Festanstellungs-Psychose", sagt er. Und ist doch weder mutig noch bindungsfähig. Hadert mit der Welt und sich selbst. Auf der anderen Seite dreht er sich fast autistisch nur um sich selbst, wagt weder beruflich noch privat einen Ausbruch. Was ihm bleibt, sind Fantastereien, in denen er endlich einmal Superman sein darf.

Soll er seine Beamtenstelle kündigen, die Rheingold-Premiere schmeißen und mit aller Stimmeskraft dem Publikum ein "Sarah" entgegen schreien? Macht er natürlich nicht. Er bindet seine Frackschleife und geht zur Arbeit - ans dritte Pult, ganz weit hinten im Orchester.

Strohmeier hat den ursprünglich knapp zweistündigen "Kontrabass" auf gut eine Stunde Spielzeit eingedampft, hat klug die Längen eliminiert. So bekommen die wunderbaren musikalischen Einsprengsel (von der Sound-Anlage und am Kontrabass) einen ganz anderen Stellenwert, werden zu wichtigen dramaturgischen Highlights und setzen einen Kontrapunkt zu dem vor Selbstmitleid triefenden, egozentrischen Musiker.

Für Strohmeier ist dieser mehr als ein armes Würstchen. Sein Kontrabassist ist eine tragisch-komische Figur, einsam und bindungsunfähig - sicherer Job hin oder her. Dazu hat ihn nicht irgendein obskures Schicksal verdonnert, sondern er hat nie gelernt, Teil der Gesellschaft zu sein. So wird aus dem Süskind-Werk von 1981, das einige Kritiker schon mal als "den einzig wahren Silvesterklassiker" apostrophiert haben, eine Parabel auf die heutige Ich-Gesellschaft.

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