Süddeutsche Zeitung

Ehrenamtliches Engagement:Friedensengel für Dachau

Eine Amerikanerin und eine Polin leisten Freiwilligendienst

Von Annalena Sippl, Dachau

Beata Tomczyk aus Polen und Maja Lynn aus den USA sind für ein Jahr die neuen Freiwilligen der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) in der Evangelischen Versöhnungskirche. Die zwei jungen Frauen sind Anfang September aus den Millionenstädten Warschau und Philadelphia nach Dachau gezogen. Nun heißt es Altstadt-Idylle statt Hochhaus-Skyline, Beschaulichkeit statt Menschengewirr. Obwohl hier viel für die beiden neu und ungewohnt ist, haben sie zu Deutschland eine besondere Beziehung. Lynns Mutter stammt auf Bielefeld, jeden Sommer verbringt die 19-Jährige einige Zeit bei ihrer Großmutter nahe Hamburg. Auch die 25-jährige Beata Tomczyk hat schon in Deutschland Erfahrungen gesammelt: Im Rahmen ihres Kulturwissenschaftstudiums verbrachte sie durch ein Erasmus-Programm ein Semester in Tübingen.

Seit September leben die beiden nun gemeinsam in einer Wohnung in Dachau. "Die Stadt ist ganz süß und sogar größer, als ich gedacht hätte", sagt Maja Lynn lächelnd. Tomczyk erinnert die Altstadt an Tübingen, ihr gefällt, dass alles zu Fuß erreichbar ist. Die deutsche Sprache stellt für die beiden jungen Frauen keine Hürde dar. Tomczyk hat mehrere Jahre Deutsch in der Schule gelernt, Lynn, deren Mutter in den USA Deutschunterricht gibt, hat ohnehin einen Heimvorteil. "Sie sind jetzt richtige Dachauerinnen, sie sind ja auch hier gemeldet," erklärt Diakon Klaus Schultz, der den beiden als Koordinator des Projekts zur Seite steht.

Im Herbst 1965 kamen erstmals Freiwillige nach Dachau. Damals halfen 15 Personen beim Bau der Versöhnungskirche. Seit 1979 engagieren sich jährlich junge Männer und Frauen aus aller Welt; insgesamt gab es in Dachau schon etwa 80 Freiwillige. Die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste bot Lynn und Tomczyk mehrere Orte an. Bewusst haben sie sich aber für Dachau entschieden. "Die KZ-Gedenkstätte ist eine so große, bekannte Institution, ich war mir sicher, hier gibt es immer etwas zu tun," begründet Tomczyk ihre Wahl.

In den nächsten zwölf Monaten warten in der Tat etliche Aufgaben auf die beiden Freiwilligen: In der KZ-Gedenkstätte werden sie ausgebildet, um Rundgänge für Besucher leiten zu können. "Auf Deutsch", fügt Lynn lachend an. Im Dachauer Forum arbeiten sie zudem an Häftlingsbiografien für das Gedächtnisbuch. Regelmäßig helfen die beiden außerdem in der Evangelischen Versöhnungskirche mit, die Projektpartner der Aktion Sühnezeichen ist.

Das bedeutet einen vollen Terminkalender, hinzu kommen noch drei Seminare der ASF. Dabei hat die 19-jährige Amerikanerin erst vor wenigen Monaten ihre High School abgeschlossen. Ihr besonderes Interesse gilt der Geschichte und sozialer Gerechtigkeit. "Zu Beginn hatte ich etwas Angst", erzählt Lynn. "Nun bin ich nur noch neugierig und freue mich. Ich kann hier viele Erfahrungen mitnehmen." Nach dem Freiwilligendienst möchte sie Anthropologie studieren. Tomczyk hat ihr Masterstudium hingegen bereits abgeschlossen und wollte "einfach noch etwas erleben", bevor sie voll in den Berufsalltag einsteigt. "Während meines Studiums habe ich mich viel mit den Themen Holocaust und Erinnerungskultur beschäftigt. Bei ASF wusste ich, dass sie Projekte anbieten, die mich interessieren." 2014 war sie bereits mit der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste im Sommerlager.

Die junge Polin sieht in Deutschland kaum Unterschiede zu ihrem Heimatland, "nur die Mülltrennung funktioniert hier anders". Für die Amerikanerin Lynn war die Umstellung größer: "Es sieht alles ganz anders aus hier." Sie lobt aber das öffentliche Verkehrsnetz. "In Amerika fahren wir sehr viel mit dem Auto." Auch gefiel es ihr, in der Apotheke persönlich beraten zu werden, in den USA gebe es so etwas nicht, man nehme sich das Medikament einfach selbst aus dem Regal. Die beiden Freiwilligen haben sich schon gut eingelebt.

Eine Sache vermisst Maja Lynn hier dennoch: die typisch amerikanische Erdnussbutter. In ihrem Wahlort Dachau haben die beiden einen praktischen Vorteil erkannt: "Wenn wir auf der Straße oder im Café jemanden etwas fragen, dann antwortet man uns hier meist auf Deutsch statt auf Englisch." So lernt es sich natürlich schneller. Schwierig sei jedoch der bairische Dialekt. "Da verstehe ich dann wirklich gar nichts mehr", sagt Lynn und beide fangen an zu lachen.

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Quelle:
SZ vom 27.09.2017
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