Dokumentarfilm einer jungen Dachauerin:Sehnsucht nach dem Regenbogenland

Die Dachauerin Lucie Liu und ihr Film über homosexuelle Liebe - ein Lehrstück für Demokratie und Toleranz

Von Dajana Kollig, Dachau

Regenbögen, soweit das Auge reicht. Das Motiv ziert Flaggen und Shirts, Mützen und Plakate. Tausende Kämpfer für die Rechte von Homosexuellen verfolgten im Mai 2019 die Verabschiedung eines Gesetzes, welches die gleichgeschlechtliche Ehe in Taiwan legalisieren soll. Der kleine Inselstaat in Ostasien nimmt damit eine Vorreiterrolle bei der Gleichberechtigung homosexueller Paare ein. Die Regenbögen als Symbol einer offenen und toleranten Gesellschaft gingen der in Dachau aufgewachsenen Dokumentarfilmerin Lucie Liu nicht mehr aus dem Sinn. Sie drehte einen Film, der diese Stimmung im Land einfing: "Taipeilove*-The Documentary". Der Erstling der 25- jährigen Filmemacherin ist beeindruckend und hat schon vor der Premiere am heutigen Donnerstag in Berlin viel Anerkennung gefunden.

Als Mitarbeiterin für das Goethe-Institut lebte Liu in Taipei, der Hauptstadt Taiwans. Dort finden jedes Jahr die größten Gaypride-Paraden Asiens statt. Liu lernt Homosexuelle aus Korea und Japan kennen, Menschen, die jedes Jahr nur zu dieser Parade anreisen. Menschen, die nur an diesen Tagen ihre Liebe und Sexualität frei ausleben dürfen. Die Schicksale berühren Liu, lassen sie nicht mehr los. Die Studentin der Freien Universität in Berlin entscheidet sich für einen Film über diese Menschen, die wegen ihrer Liebe immer noch diskriminiert werden. Außerdem möchte sie die Vorreiterrolle Taiwans dokumentieren, das als erstes asiatisches Land den Schritt hin zu mehr Menschenrechten gegangen ist. "Ich wollte die Botschaft über ein visuelles Medium verbreiten, um auch denen, die nicht mit der asiatischen Kultur vertraut sind, einen leichten und schönen Zugang zu dem Thema zu verschaffen", sagt Liu. Sie möchte gleichermaßen ein westliches und ein asiatisches Publikum ansprechen.

Dokumentarfilm einer jungen Dachauerin: Eine Szene aus dem Film „Taipeilove", welcher in Taiwan gedreht wurde.

Eine Szene aus dem Film „Taipeilove", welcher in Taiwan gedreht wurde.

(Foto: Privat)

Zurück in Deutschland nimmt die Filmidee eine konkrete Form an. Das Projekt wird von einer deutschen Stiftung gefördert, Liu macht sich in Taipei an die Aufgabe, ihren ersten Dokumentarfilm zu drehen. "Am Schwierigsten waren die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen", erzählt sie. Ein professionelles Team ist zwar schnell gefunden, die Suche nach Protagonisten erweist sich jedoch als problematisch. Zu tief verankert ist die Angst der Menschen. Trotz des neuen Gesetzes fürchten sie Repressalien und Diskriminierung, wenn sie sich outen, denn im alltäglichen Leben sind Vorurteile und Feindseligkeit nicht verschwunden. Viele leben ihre Homosexualität nur im Geheimen aus, auch die Familie weiß nichts davon. Liu trifft sich mit bis zu 40 Menschen und erhält immer wieder Absagen. Sie würden gerne wollen, aber die Angst ist nach wie vor zu groß. Über Freunde lernt Liu schließlich Sarah kennen. Die 26-Jährige ist lesbisch und stellt Liu noch David und Kevin vor, ein homosexuelles Paar, das seit 13 Jahren zusammen ist. Die Geschichten der drei machen den Film aus, drei unterschiedliche Schicksale, die sich doch ähneln und die Situation in Taiwan spiegeln.

Alle drei sprechen von den Schwierigkeiten, ihre Liebe im Alltag leben zu können. Sie erzählen von Unterdrückung, von Mobbing, von der Angst, die sie tagtäglich erfahren. Sarah wurde bei ihrem coming-out von ihrer Mutter geschlagen, kurz darauf versucht die Familie, sie zu einem Exorzismus zu überreden. David und Kevin tragen beide noch psychische Narben der schweren Diskriminierungen, die sie seit ihrer Schulzeit erlitten haben. Die Erzählungen sind authentisch, ihre Protagonisten öffnen sich gegenüber der sensiblen Filmemacherin. Liu nimmt den Zuschauer mit in die Welt der drei. Es wird ein Bild von der Gesellschaft in Taiwan gezeichnet, die zwar fortschrittlich ist, aber dennoch nicht vollständig bereit für die Gesetzesänderung war. "Um das zu verstehen, muss man sich die Strukturen in asiatischen Ländern ansehen", sagt Liu dazu. Der intergenerationelle Zusammenhalt ist in diesen Ländern viel ausgeprägter als etwa in Deutschland. Kinder kümmern sich um ihre Eltern, dienen als Altersvorsorge. Zu dem traditionellen Familienbild kommt eine mangelnde Aufklärung, viele Menschen sind sich nicht darüber bewusst, dass Homosexualität und ein Familienleben mit Kindern sich nicht automatisch ausschließen. Die Eltern sorgen sich, dass ihre Kinder einmal im Alter niemanden hätten, der sich um sie kümmert.

Dokumentarfilm einer jungen Dachauerin: Die Filmemacherin Lucie Liu hat einen beeindruckenden Dokumentarfilm gedreht - ihren ersten.

Die Filmemacherin Lucie Liu hat einen beeindruckenden Dokumentarfilm gedreht - ihren ersten.

(Foto: oh)

"Jede Gesellschaft ist immer in liberale und weniger liberale Gruppen gespalten", meint Liu. Bei den Dreharbeiten habe sie aber eine junge Generation kennengelernt, die offen ist, sich politisch engagiert und sich auch besser untereinander stärken kann, als es früher der Fall war. Die junge Generation ist bereits mit der Aufklärung groß geworden, die den Älteren zum Teil noch fehlt. Das wird sich jedoch in Zukunft verändern, da ist sich Liu sicher. Die Werte, die das neue Gesetz ausdrückt, werden auch die Einstellung älterer Menschen verändern - und wirkt auf andere asiatische Länder, in Japan beispielsweise werden erste Schritte hin zu mehr Menschenrechten und einer Gleichberechtigung von homosexuellen Paaren eingeleitet.

Auch Liu hofft, das Taiwan als Präzedenzfall wirkt. Warum die Bewegung ausgerechnet in dem kleinen Inselstaat ihren Anfang genommen hat, erklärt sich die Filmemacherin mit der Geschichte des Landes. In Taiwan hat sich im Gegensatz zu den meisten anderen asiatischen Ländern das Volk die Demokratie erkämpft. "Das Streben nach Gleichberechtigung und einem demokratischen System ist tief in den Menschen dort verankert", meint Liu.

Das Gesetz ist ein guter Anfang. Dennoch gibt es auf dem Weg zur Gleichberechtigung noch viel zu tun. Auch das zeigt der Film. Die in Deutschland immer wieder thematisierten Unterschiede in der Behandlung von schwulen und lesbischen Menschen spielen in Taiwan ebenfalls eine Rolle. In Taipei gibt es ein ganzes Viertel für homosexuelle Männer, Bars, Geschäfte, Partys. Die weibliche homosexuelle Szene hingegen spielt sich vor allem online ab, es gibt lediglich einen Club und ein Teehaus, in dem sich Frauen kennenlernen können. Auch die Akzeptanz von Transsexuellen muss sich in Taiwan erst noch entwickeln.

"Akzeptanz entsteht durch das, was gesehen wird", sagt Liu. Aus diesem Grund hat sie den Film gemacht. Deswegen möchte sie auch, dass nicht nur Festivals und Kinos ihre Dokumentation zeigen. Liu möchte an die Universitäten, sowohl in Deutschland, als auch in Asien. "Ich will den Studenten zeigen, dass Hoffnung und Veränderung möglich sind", sagt sie. "Things will be better", diese Hoffnung teilen auch die Protagonisten des Films.

Der Film "Taipeilove*- The Documentary" feiert an diesem Donnerstag, 27. Juni, Premiere im Delphi Lux Kino in Berlin. Weitere Informationen zu zukünftigen Spielzeiten finden sich im Internet auf facebook.com/taipeiloveTheDocumentary.

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