Diskussionsrunde in Dachau:Von Feinden zu Freunden

Bei einem Abend im Max-Mannheimer-Haus diskutieren rund 70 Menschen über das Verhältnis zwischen Polen und Deutschland. Dabei geht es auch um die Frage, wie gegenseitigen Vorurteilen der Nährboden entzogen werden kann

Von Angela Kreß

Es ist ein lauer Herbstabend in Dachau. Die Türen in einem der Seminarräume des Max-Mannheimer-Hauses sind weit geöffnet, um genug Luft hereinzulassen für eine "engagierte Diskussion", wie der Dachauer Landrat Stefan Löwl (CSU) später auf seiner Facebookseite schreiben wird. Er hat an diesem Abend gemeinsam mit Andrzej Osiak, dem polnischen Generalkonsul in München zu einem Vortrag über die gegenseitige Wahrnehmung von Deutschen und Polen vor dem Zweiten Weltkrieg geladen. Rund 70 Gäste sind gekommen. Es geht um die Erinnerung an den Einmarsch Deutschlands in Polen 1939, den Beginn des Zweiten Weltkriegs. Aber auch darum zu diskutieren, wie sich das Verhältnis zwischen den Nationen sich in den Jahren vor dem Krieg entwickelt hatte. Soviel vorweg: Zumindest in der Öffentlichkeit schienen sich die beiden Nationen damals anzunähern. Doch wie konnte es dann dazu kommen, dass die Nazis Polen angriffen?

Als Experten treten an diesem Abend Arkadiusz Stempin und Volker Zimmermann auf. Stempin ist polnischer Historiker und Sachbuchautor, Zimmermann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Collegium Carolinum in München. Nach dem Ersten Weltkrieg sei das Verhältnis in vielen Fällen nicht besonders gut gewesen, sagt Stempin. Da habe jeder so seine Vorstellungen über die jeweils andere Nation gehabt. Das verwundere nicht und sei völlig normal. So hätte die polnische Seite die Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg teilweise als stark und rücksichtlos angesehen, umgekehrt hätten die Polen in Deutschland zur Zeit der Weimarer Republik als Erzfeind gegolten, erklärt Stempin. Das habe nicht zuletzt am Versailler Vertrag gelegen, durch den Polen gestärkt werden sollte. Doch in der Zwischenkriegszeit habe sich das Verhältnis später verbessert - zumindest in der Öffentlichkeit. Deutschland unterschrieb 1934 einen Nichtangriffspakt mit Polen, der wurde durch ein Presseabkommen ergänzt. Die NS-Propaganda gegen Polen sollte eingestellt werden. Polen sei zu dieser Zeit im Rahmen der Nazi-Politik zu einer Art "idealem Volk" stilisiert worden. Jozef Pilsudski, der Polen bis zu seinem Tod 1936 autoritär führte, sei in der deutschen Regierung sehr hoch geschätzt worden.

Gesprächsabend

Der polnische Generalkonsul Andrzej Osiak (im Bild) und der Historiker Arkadius Stempin sprechen im Max-Mannheimer-Haus über das deutsch-polnische Verhältnis.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Auf den Vortrag folgt an diesem Abend eine rege Diskussion. Aus dem Publikum kommt die Frage, ob das denn nicht eine Politik des Täuschens und Tarnens gewesen sei. Ob die Politik der Dreißigerjahre nicht überbewertet werde und der Wechsel von der angeblichen Annäherung hin zum Angriff am 1. September 1939 nicht ein bisschen schnell gegangen sei. Die Vermutung liege nahe, bestätigt Zimmermann. Hitler habe seine Idee vom "Lebensraum im Osten" nie aufgegeben, allerdings sei gerade die Politik zu Zeiten der Kriegsführung auch sehr flexibel gewesen und habe sich immer wieder geändert.

Als Grund für das Scheitern der Annäherung der beiden Länder sieht Stempin auch die Art und Weise, wie diese versucht wurde. "Eine von oben angeordnete Freundschaft zusammen mit einer Zensur bewirkt das Gegenteil", sagt der Historiker. Auch hier hakt das Publikum später ein. Seit 2016 habe man manchmal das Gefühl, der Nationalismus könnte wieder aufleben, meint ein Zuhörer. Man frage sich schon, ob es dafür überhaupt autoritäre Regime brauche, oder ob auch negative Entwicklungen schon reichen würden. Die Diskussion an diesem Abend zeigt unter anderem an dieser Stelle, dass das Thema auch über den Jahrestag des Kriegsbeginns hinaus noch aktuelle Bedeutung hat.

Gesprächsabend

"Eine von oben angeordnete Freundschaft zusammen mit einer Zensur bewirkt das Gegenteil", sagt der Historiker Arkadius Stempin.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Stempin betont in einer kurzen Diskussion mit Zimmermann, dass die Versöhnung zwischen Polen und Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich gewesen sei. Ein Zeichen dafür sei auch die Diskussion im Max-Mannheimer-Haus. Seit den Sechzigerjahren habe es einen Annäherungsprozess gegeben, der auch nicht immer einfach gewesen sei. Er sagt, dass dazu auch die Europäische Union (EU) mit ihren offenen Gesellschaften beigetragen habe. Auf eine Frage aus dem Publikum ergänzt er noch, dass auch in der EU nicht alle immer mit eingebunden würden und dass es dann sekundär sei, ob ein Staat liberal oder autoritär handle. Denn Verständigung könne nur funktionieren, wenn alle eingebunden würden.

Die Mechanismen, die Menschen auseinanderbringen können, gebe es auch heute noch, auch in Deutschland, sagt dann auch Landrat Löwl. Da müsse man schon in der Regionalpolitik anfangen, Verantwortung zu übernehmen und aus der Geschichte zu lernen. Internationale Kontakte seien wichtig, genauso wie Meinungsverschiedenheiten offen zu diskutieren. Dafür sei so ein Abend ein Element. Dass persönliche Kontakte helfen können, gegen Stimmungsmache vorzugehen, betont auch Zimmermann. Gleichzeitig müsse man aufpassen, dass Negativ-Stereotype nicht wieder aktiviert werden. "Es geht manchmal ganz schnell", sagt er. Dann könne es passieren, dass die Gutwilligen wieder ausgeschaltet werden. Damit so etwas nicht passiere, brauche es Kontakte und eine kulturelle Zusammenarbeit zwischen den Nationen.

Gesprächsabend

Rund 70 Menschen hören den Genralkonsul und den Hisztoriker zu.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Generalkonsul Osiak betont, dass der direkte Kontakt zwischen Polen und Deutschland zeigen würde, dass die Verständigung bereits weit fortgeschritten und besser sei, als sie manchmal dargestellt werde. Trotzdem würde er sich für die Zukunft vor allem wünschen, dass das Interesse auf beiden Seiten noch steige. "Denn wenn man Interesse hat, wird man auch lernen und verstehen, wie der andere tickt. Das brauchen wir."

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