Nach den Schüssen von Dachau:Mehr Sicherheit im Gericht - aber wie?

Nach den tödlichen Schüssen auf einen Staatsanwalt in Dachau entbrennt eine Debatte über schärfere Sicherheitskontrollen in Gerichten. Denn fest installierte Zugangskontrollen gibt es in Bayern nur an drei Justizzentren. Doch Fachleute sind vorsichtig - und auch Justizministerin Merk will aus den Gerichtsgebäuden keine "Trutzburgen" machen.

Tobias Dorfer

Es war eigentlich keine große Sache, die am Mittwochnachmittag am Amtsgericht Dachau verhandelt wurde. Ein Transportunternehmer hatte nach SZ-Informationen Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 44.000 Euro nicht gezahlt. Zu einer einjährigen Haftstrafe auf Bewährung sollte der 54-Jährige verurteilt werden. Doch dann geschah das Unfassbare: Während der Urteilsverkündung feuerte der Angeklagte mit einer Pistole fünf Schüsse ab. Der 31 Jahre alte Staatsanwalt Tilman T. erlag seinen Verletzungen - und die Öffentlichkeit beschäftigt eine Frage: Müssen die Gerichtsgebäude besser gesichert werden?

Fest steht, dass der Todesschütze von Dachau seine Waffe ungehindert in den Verhandlungsraum bringen konnte. In dem kleinen Amtsgericht werden keine schweren Straftaten verhandelt, deshalb ist es dort nicht üblich, Angeklagte, Zeugen und Zuschauer auf Waffen zu durchsuchen.

Die Frage ist ohnehin, wie sicher ein Gerichtsgebäude überhaupt gemacht werden kann. Nach der Bluttat von Dachau beeilte sich Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) zu sagen, man könne nicht aus jedem Gerichtsgebäude eine "Trutzburg" machen.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann lehnt strenge Personenkontrollen in Gerichten ab. "Ich halte nichts davon, dass man Gerichte zu Hochsicherheitsburgen ungestaltet", sagte der CSU-Politiker. Dass vor jeder Verhandlung die Menschen von Kopf bis Fuß durchleuchtet werden, sei unangemessen. Richter sprächen im Namen des Volkes und das Volk müsse "ungehinderten Zugang zu den Gerichten haben", egal ob es sich um einen Zivil- oder einen Strafprozess handle.

Und auch andere Fachleute sind zurückhaltend, wenn es um mehr Sicherheit in den Justizzentren geht.

"Überzogen" sei dies, heißt es bei der Deutschen Polizeigewerkschaft. Hermann Benker, der Vorsitzende des bayerischen DPolG-Landesverbands, sagte: "Höhere Sicherheitsmaßnahmen soll es nach wie vor nur geben, wenn konkrete Anhaltspunkte für Bedrohungsszenarien bekannt sind." Nach Benkers Ansicht würden bereits weniger aufwendige Maßnahmen für mehr Sicherheit sorgen. So wäre eine Eingangskontrolle durch Ablegen von Jacken und Taschen realisierbar. Auf diese Weise könne nicht "jeder Prozessbeteiligte oder Besucher unbehelligt ein Justizgebäude betreten" und in seiner Kleidung oder in Taschen versteckte Waffen mitbringen. Für Sicherheitsschleußen auch in Amtsgerichten sprach sich unterdessen der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut, aus.

Der Münchner Generalstaatsanwalt Christoph Strötz verteidigt derweil die öffentlichen Verhandlungen. "In Geheimjustiz zu verhandeln, das wollen wir nicht, und diese Sicherheit werden wir nicht herstellen können", betonte Strötz im Bayerischen Rundfunk.

"Absolute Sicherheit gibt es nicht"

Gegen schärfere Zugangskontrollen ist auch der Rechtsexperte der Grünen, Jerzy Montag. "Es widerspricht dem Grundverständnis eines bürgerschaftlichen Rechtsstaats, insbesondere die Gerichtsgebäude wie Gefängnisse oder Polizeigebäude abzuschotten", sagte der Bundestagsabgeordnete. "Der Zugang zum Gericht, der immer auch ein Zugang zum Recht ist, muss im Prinzip barrierefrei bleiben."

Montags Vorschlag: Das Waffenrecht müsse verschärft werden. Dies sei "dringend notwendig, auch wenn sich hierdurch der Besitz illegaler Waffen nicht vollständig ausschließen lassen wird". Wieder einmal habe sich "tragisch bestätigt", dass Schusswaffen in privaten Händen "schwersten Straftaten Vorschub geben", sagte Montag.

Walter Groß, der Vorsitzende des Bayerischen Richtervereins, ist dagegen für bessere Sicherheitsvorkehrungen: "Nach dem Vorfall muss darüber nachgedacht werden, ob wir der Sicherheit gerecht werden, die wir den Mitarbeitern und Besuchern der Gerichte schuldig sind." Und auch die Deutsche Justizgewerkschaft fordert mehr Geld für die Sicherheit deutscher Gerichtssäle. Flächendeckende Einlasskontrollen bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften seien dringend angebracht, sagte der Vorsitzende Siegfried Rauhöft.

Fest installierte Zugangskontrollen gibt es in Bayern derzeit nur an den drei großen Justizzentren in München, Nürnberg und Würzburg, sagte ein Sprecher des Bayerischen Justizministeriums zu Süddeutsche.de. Aber auch im Regensburger Landgericht wurde in die Sicherheit investiert, in jedem Saal und jedem Büro Notrufeinrichtungen installiert. Außerdem wird jeder, der das Gebäude betritt, mit einem Metalldetektor untersucht. Gefährliche Gegenstände müssen draußen abgegeben werden.

Ansonsten sind "anlassbezogene Kontrollen" üblich. Wenn von einer höheren Gefahrenlage ausgegangen wird, könnte der Behördenleiter auch in kleineren Gerichten Kontrollen - zum Beispiel mit einem Metalldetektor - anordnen. Durchgeführt werden diese Kontrollen von Justizwachtmeistern. 860 solcher Wachtmeister gibt es an den bayerischen Gerichten, sagte der Sprecher des Justizministeriums. Diese hätten aber auch andere Aufgaben, zum Beispiel den Transport von Akten. Bei Bedarf könnten für Sicherheitskontrollen auch Polizeibeamte hinzugezogen werden.

Beate Merk, seit 2003 Justizministerin im Freistaat, kennt die Sicherheitsdebatte gut. Sie musste sie bereits im April 2009 öffentlich führen.

Damals schoss in Landshut ein 60 Jahre alter Mann seine Schwägerin auf dem Flur des Gerichts nieder. Anschließend ging er in den Sitzungssaal zu Richter und Anwalt, hielt sich die Pistole an den Kopf und tötete sich selbst. Auch damals wurde die Sicherheitsdebatte geführt - und eine Zahl ging durch die Öffentlichkeit: 42 von 98 Gerichte in Bayern verfügen weder über einen Metalldetektor noch über Videokameras am Eingang.

Nach der Schießerei in Landshut wurde das Sicherheitskonzept überarbeitet. "Jede Behörde musste ein Sicherheitskonzept für die von ihr genutzten Gebäude erstellen", sagte Merk in einer Pressekonferenz am Donnerstagnachmittag. Dazu gehörten etwa der Einsatz der Wachtmeister, die Zahl der Sicherheitskontrollgänge sowie Meldewege.

Ihr Ministerium habe außerdem ein Schulungskonzept umgesetzt für Justizwachtmeister. "Bei der Ausbildung ist die Sicherheit ein ganz grundlegendes Prinzip, das die Hälfte der gesamten Ausbildungsdauer bestimmt." Mindestens 3,6 Millionen Euro seien in vergangen drei Jahren in bauliche Sicherheitsmaßnahmen gesteckt worden, etwa in Schleusen und Videosysteme.

Doch Merk sagte bereits nach den Vorfällen in Landshut: "Ich will nicht, dass unsere Gerichte als bayerisches Alcatraz empfunden werden." Und für Walter Groß, den Vorsitzenden des Bayerischen Richtervereins, war klar: "Absolute Sicherheit gibt es nicht." Die Justiz dürfe sich nicht abschotten. "Ich kann nicht ausschließen, dass auch mir mal etwas passiert. Damit muss ich leben."

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