Süddeutsche Zeitung

Das Material geht aus:Glaser im Dauerstress

Die Schäden, die durch das Unwetter am Pfingstmontag entstanden sind, bescheren vielen Handwerkern aus Karlsfeld volle Auftragsbücher. Auch die Dachdecker sind ausgebucht

Von Christiane Bracht, Karlsfeld

Das schwere Unwetter am Pfingstmontag hat manch einem Handwerker vor allem in Karlsfeld volle Auftragsbücher beschert, einige klagen bereits über zu viel Arbeit und Überstunden. Wer sein Dach repariert haben will, neue Fenster braucht oder seine Warmwassersolaranlage wieder flott gemacht bekommen will, muss inzwischen schon Glück haben. Viele Firmen nehmen gar keine Aufträge mehr an. Und auch bei den Versicherungen ist es inzwischen schwierig, durchzukommen.

Die Versicherungskammer Bayern schätzt die Schäden in der Hagelschneise, die vom Landkreis Fürstenfeldbruck bis in den Norden von München und bis nach Karlsfeld reichte, auf etwa 30 Millionen Euro. Etwa 10 000 Hauseigentümer seien betroffen. Wer sich noch nicht gemeldet habe, soll dies sofort tun, rät die Versicherungskammer. Auch die Ergo Group in Düsseldorf berichtet von mehreren 1000 Fällen.

"Schon am Feiertag haben die Leute bei mir angerufen", berichtet Steve Schaubeck von der gleichnamigen Glaserei in Karlsfeld. Direkt nach dem großen Hagel setzte er sich ins Auto und fuhr nach Allach, um Platten zurechtzuschneiden und Fenster abzudichten, damit es nicht hereinregnet. "In Allach hat es ausgeschaut, wie nach dem Krieg", berichtet der Juniorchef. An vielen Fassaden sei der Putz abgeplatzt, als wären es Einschusslöcher und die Eternitplatten seien auch alle abgefallen. "Ich bin auf der Straße von Leuten angesprochen worden, ob ich nicht mal schnell schauen könnte", sagt Schaubeck. Und so kam der Glasermeister von Haus zu Haus. Sogar verzweifelte Leute aus Germering hätten angerufen und die Firma beauftragen wollen. Dabei ist das Unternehmen eigentlich auf Duschkabinen spezialisiert.

Schaubeck ist inzwischen so sehr ausgelastet, dass er keinen Auftrag mehr annimmt. Die ersten Tage nach dem Unwetter habe er zusammen mit seinem Vater immer fast bis Mitternacht gearbeitet, auch die Mitarbeiter mussten länger bleiben. Jetzt kann er kurz verschnaufen: "Wir haben kein Glas mehr. Am Donnerstag habe ich die letzte Scheibe eingesetzt. Ein Wagner-Fenster - einfach verglast." Einziges Problem an den Aufträgen: "Wir wissen nicht, ob die Versicherungen zahlen", sagt der Glaser.

Auch die Dachdecker sind laut Schaubeck auf zwei Monate ausgebucht. Die meisten gehen erst gar nicht mehr ans Telefon. Nur bei Knörnschilds erklärt eine Dame sehr knapp: "Keine Zeit. Wir sind ausgebucht wegen des Hagels." Und schon liegt der Hörer wieder auf der Gabel. Robert Fieler von Profiglas in Karlsfeld ist ebenfalls im Stress. Seit Dienstag setzt er neue Windschutzscheiben im Akkord ein. "Manche Kunden kommen erst jetzt aus dem Urlaub wieder, sind entsetzt und rufen an", sagt er.

Die Versicherungen hatten bereits am Dienstag und Mittwoch den heftigsten Ansturm. Bei der Allianz in Karlsfeld klingelt praktisch ununterbrochen das Telefon. Etwa 80 Kunden hätten sich bereits gemeldet, sagt der Makler. Sein Kollege in Puchheim musste sich sogar um mehr als 100 Versicherte kümmern, in Dachau war das Leben dagegen vergleichsweise entspannt.

Christian Schilling hatte bisher nur 25 Schadensfälle. Die meisten Kunden kommen aus dem Raum Allach und Untermenzing, aber einige auch aus Karlsfeld. Die meisten beklagen demolierte Autos, außerdem sind viele Rollläden kaputt, Dachziegel durchschlagen und Eternitplatten abgefallen. "Bis zu 100 000 Euro ist alles dabei", erklärt Schilling auf die Frage, wie hoch denn die Schäden in etwa seien. "Es war das erste heftige Gewitter in den vergangenen fünf Jahren."

Die Firma Hahn-Solar in Karlsfeld verweist die Kunden weiter. Die Fotovoltaikmodule hätten das Unwetter ausgehalten, aber die alten Glasröhren von Warmwassersolaranlagen nicht. Doch diese gehören nicht zum Sortiment des Betriebs. "Sie wurden früher hergenommen."

Landwirt Wolfgang Offenbeck befürchtete das Schlimmste, als er am Pfingstmontag unter einem Vordach seiner Scheune Unterschlupf fand und das Niederprasseln der Hagelkörner - groß wie ein Eurostück - auf seine Beerenfelder beobachtete. "Das war nicht lustig, eine Katastrophe", stellt er klar. "So habe ich das noch nie erlebt. Hagel gibt's bei uns selten oder nie." Der Dachauer Schlossberg gilt als Wetterscheide. "Man sagt, das Wetter zieht entweder Richtung Glonntal oder Richtung München", erklärt er. Deshalb habe er auch keine Versicherung. "Das lohnt sich nicht." Doch am Montag erwischten die Ausläufer von Sturm, Blitz und Hagel auch die Karlsfelder, am schlimmsten waren die Leute westlich der Allacher Straße betroffen.

Mit den Erdbeeren haben er noch Glück gehabt, sagt Offenbeck. Einige seien zerdrückt, viele hätten Flecken, aber das bislang trockene Wetter habe den Schaden in Grenzen gehalten. Regen hätte die Ernte verfaulen lassen, erklärt er und atmet erleichtert auf.

Die Autowerkstätten warten indes noch auf den ganz großen Ansturm. Erst wenn die Versicherungen die Schäden begutachtet haben, geht das Dellenbeseitigen los. "So in drei oder vier Wochen", sagt Johannes Huf von der KKS-Werkstatt.

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Quelle:
SZ vom 18.06.2019
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