Rechtsberatung für Flüchtlinge:Anwältin der Verlorenen

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Bei der Refugee Law Clinic helfen Jurastudenten Flüchtlingen ehrenamtlich durch den Paragrafendschungel deutscher Asylverfahren.

Von Anna-Sophia Lang, Dachau/München

Für Mareike Zeisel und ihre Kollegen ist es ein Erfolgserlebnis, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge antwortet. Sonderlich häufig kommt das nicht vor. Allzu oft lässt das Amt auf sich warten. Warten ist ein Wort, das die junge Frau oft zu ihren Klienten sagen muss. Ihre Klienten sind Flüchtlinge, Menschen, die Unvorstellbares hinter sich haben. In Deutschland werden sie hineingeworfen in ein Rechtssystem, das sie nicht kennen, in eine Sprache, die sie nicht sprechen, und ein Asylverfahren, auf das sie sich kaum vorbereiten können. "Diese Leute sind verloren", sagt Mareike Zeisel.

Manchmal fragt sie sich, was sie tun würde, wenn sie plötzlich in Syrien wäre, ohne die Sprache zu sprechen, ohne Freunde und Familie, ohne Netz, das sie auffängt. Deshalb will sie helfen. Zeisel studiert Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). In ihrer Freizeit berät sie in der Refugee Law Clinic ehrenamtlich Asylbewerber zu juristischen Fragen. Einmal im Monat auch in Dachau.

Amerikanisches Konzept

Das Konzept studentischer Rechtsberatungen für sozial Benachteiligte stammt aus den USA. In Deutschland konzentrieren sie sich auf die Arbeit mit Flüchtlingen. Neben München gibt es sie auch in Berlin, Hamburg, Köln, Gießen, Leipzig, Regensburg und Erlangen. Meist werden sie von der jeweiligen Universität getragen.

Die Refugee Law Clinic München gibt es seit November 2013, sie ist ein gemeinnütziger Verein. Unterstützung bekommt er von einer wachsenden Anzahl von Kanzleien. Wer in der Münchner Law Clinic Beratung machen will, muss allerdings erst einmal eine Ausbildung durchlaufen. Dazu gehört eine Klausur zum Asylrecht, ein Beratungsworkshop bei einer Kanzlei und eine Übung im Protokollieren; im Jurastudium kommt Asylrecht praktisch nicht vor.

Wo der Staat in der Flüchtlingshilfe versagt, springen Ehrenamtliche ein, das gilt auch hier. Eine obligatorische Rechtsberatung für Flüchtlinge gibt es in Deutschland nämlich nicht. Aber auch die Helfer profitieren. Praxiserfahrung ist im Jurastudium kaum vorgesehen, in der Law Clinic können die Studenten sich ausprobieren. Doch die meisten sind aus Idealismus dabei. Sie wollen ihre Fähigkeiten für die einsetzen, die es am nötigsten haben. Vor den Karren von Verbänden oder politischen Parteien wollen sie sich nicht spannen lassen. Versuche habe es schon genug gegeben, sagt Mareike Zeisel.

Der Verein zählt insgesamt etwa 300 Mitglieder

Etwa 60 Aktive hat die Law Clinic inzwischen, der Verein zählt insgesamt etwa 300 Mitglieder, die Zahl der Unterstützer wächst schnell. Schneller als die der Hilfe suchenden. Inzwischen kommen Menschen aus dem ganzen Münchner Norden. Doch der ganz große Ansturm lässt noch auf sich warten. Zur Zeit sind es im Höchstfall etwa zehn Menschen, die zur Beratung in die Räume der Caritas nach Dachau kommen. Die Studenten beraten auf Englisch, Französisch oder mit einem Dolmetscher. Wie viel Zeit sie aufbringen, kommt auf das Anliegen an. Manches ist mit einem Anruf getan, für anderes muss ein Brief geschrieben werden, manchmal sogar eine Klage. Allerdings dürfen die Juristen die Flüchtlinge nur außergerichtlich vertreten. Wie groß Vertrauen oder Misstrauen der Flüchtlinge ihnen gegenüber sind, können sie kaum einschätzen. Für manchen, glaubt Zeisel, ist die Law Clinic einfach nur eine weitere Instanz.

Es gibt gute und schlecht Tage. Solche mit Lichtblicken und andere, an denen alles schief geht. Am schlimmsten ist es für Mareike Zeisel, wenn ein Bescheid über einen abgelehnten Asylantrag kommt. Auch die kleinen Rückschläge kratzen an der Moral. Zeisel erinnert sich noch gut an ihren ersten Klienten. Er hatte eine deutsche Frau kennengelernt, die beiden wollten heiraten. Doch durch die Flucht ging seine Geburtsurkunde verloren. Die deutschen Behörden lassen die Heirat nicht zu. Auch der Asylantrag des Mannes ist noch nicht bearbeitet. "Er hängt noch immer in der Luft."

Erschütternde Schicksale

Oft sind es die Schicksale, die den Studenten zu schaffen machen. Wie das eines Nigerianers, der von der Entführung seines Bruders durch die islamistische Terrororganisation Boko Haram erzählt. Oder die einer jungen Afghanin, die mit einem Talibankämpfer zwangsverheiratet wurde und während der Schwangerschaft beinahe gestorben wäre, weil ihr nicht erlaubt wurde, zum Arzt zu gehen. Zeisels Ton ist unaufgeregt, klar, die schmalen Hände hat sie auf dem Tisch gefaltet, während sie spricht. Aufgewühlt ist sie trotzdem. "Das zu hören, war die Hölle", sagt sie.

Wenn sie Glück hat, kommt der Klient danach mit einer Verwaltungssache und nicht mit der nächsten schlimmen Geschichte. Um abzuschalten, hört Zeisel Musik oder spricht mit Freunden. Man müsse trotz allem versuchen, Distanz zu wahren, sagt sie. "Wenn man alles an sich heranlässt, geht man kaputt." Doch es gibt auch lichte Momente, ein positiver Bescheid, eine nachgeholte Familie. "Danke, dass meine Frau und mein Kind in Deutschland bleiben dürfen", sagte kürzlich ein Mann zu ihr. Es war eines der schönsten Erlebnisse bei der Refugee Law Clinic. Als Mareike Zeisels davon erzählt, verschwindet die Juristin in ihr ganz. Da ist sie einfach eine lachende, junge Frau, die glücklich ist, einem Menschen geholfen zu haben.

© SZ vom 09.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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