Dachauer Zahnärzte:Von der Politik im Stich gelassen

Zahnarztpraxis

Kritisiert eine Vernachlässigung seines Berufsstandes: Zahnarzt Christopher Höglmüller.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Zahnarztpraxen werden bei der Versorgung mit Schutzausrüstung nachrangig behandelt und auch klare Regelungen, was ein Notfall ist, fehlen den Medizinern im Landkreis. Sie fühlen sich vernachlässigt

Von Jana Rick, Dachau/Karlsfeld

"Es geht um unseren eigenen Schutz", betont Christopher Höglmüller, Zahnarzt aus Dachau, mehrmals. Er spricht vom Schutz des medizinischen Personals in Zahnarztpraxen. In Zeiten der Corona-Krise haben diese gleich mit mehreren Schwierigkeiten zu kämpfen, beginnend bei der unzureichenden Ausstattung mit Schutzmasken. Zu Beginn der Krise wurden Zahnarztpraxen bei der Versorgung von Schutzausrüstung vom Bayerischen Innenministerium als "nachrangig" eingestuft. Viele Zahnärzte konnten diese Entscheidung nicht nachvollziehen, da in ihren Praxen schließlich der Kontakt zwischen Patient und Arzt besonders eng ist - und somit die Ansteckungsgefahr sehr hoch.

Höglmüller sieht in dieser Entscheidung eine Vernachlässigung seines Berufsstandes. In den vergangenen Wochen hatte er verzweifelt versucht, für sein Praxisteam an Schutzausrüstung zu kommen und entschied sich nach vergeblicher Suche dazu, die Praxis über Ostern eine Woche lang zu schließen. "Ich habe auch eine Fürsorgepflicht für meine Mitarbeiter. Die Arbeit ohne entsprechender Schutzausrüstung wollte ich nicht verantworten", so der 58-jährige Zahnarzt und zweite Vorsitzender des Zahnärztlichen Bezirksverbandes Oberbayern. In den letzten Tagen vor der Schließung der Praxis habe er von einer Heilpraktikerin immerhin eine FFP2-Maske geschenkt bekommen. Der Terminkalender seiner Praxis lichtete sich, viele Patienten sagten ihre Behandlungstermine aus Angst vor Ansteckung ab. Höglmüller spricht von einem "unfreiwilligen" Urlaub, für den er sich mit seinem Praxisteam entschied. "Einige von uns haben Risikopatienten in der Familie, das war uns einfach zu gefährlich."

Große Schwierigkeiten an Schutzausrüstung zu kommen - dies erlebte auch der 34-jährige Zahnarzt Marcus Albrecht aus Karlsfeld in den vergangenen Wochen. Anfangs kam er nur durch private Kontakte an ausreichende Schutzmasken für sich und seine Mitarbeiter. Diese arbeiten nun im Schichtdienst in zwei Teams, damit im Fall einer Infektion trotzdem eine der beiden Gruppen weiterarbeiten kann. Albrecht Senior allerdings, der Vater von Marcus Albrecht, hält sich seit Beginn der Corona-Krise von der Praxis fern. "Nachdem er zur Risikogruppe gehört, ist das die richtige Entscheidung. Auch wenn es ihm sehr schwer fällt", so sein Sohn. Angst, sich anzustecken, hat der 34-Jährige nicht. "Ich bin vergleichsweise jung und fit. Und ich habe eine Verantwortung meinen Patienten gegenüber. Aber ich habe größtes Verständnis für ältere Kollegen, die sich derzeit zurückhalten."

Medizinisch notwendige, dringende Behandlungen dürfen Zahnärzte unter Einhaltung der geltenden Hygienevorgaben ausüben. Doch abgesehen davon, dass diese Hygienevorschriften ohne die Zulieferung von Schutzmasken in den Zahnarztpraxen nicht eingehalten werden können, stellt die Regelung ein weiteres Problem dar: Jeder Zahnarzt muss selbst entscheiden, was für ihn als notwendige Behandlung gilt. "Dass Prophylaxen normalerweise keine Notfälle sind, ist klar. Aber alles andere ist nicht klar definiert", so Albrecht Junior. Er behandelt derzeit hauptsächlich Patienten mit akuten Schmerzen. Dabei darf sich immer nur ein Patient in der Praxis aufhalten, nachdem er sich am Eingang die Hände desinfiziert hat. "Wir bieten sozusagen einen leicht erweiterten Notdienst an", erklärt der Zahnarzt aus Karlsfeld. Er ist enttäuscht von der Politik, auch, weil nicht genügend konkrete Regelungen für Praxen ausgesprochen werden: "Jeder ist im Prinzip auf sich alleine gestellt."

Auch Höglmüller aus Dachau fühlt sich von der Politik im Stich gelassen. Seit April arbeiten seine Mitarbeiter in Kurzarbeit. Die fehlenden Einnahmen beschäftigen ihn, auch wenn die Liquidität seiner Praxis im Moment gesichert ist. Doch nachdem die Zahlungen der gesetzlichen Krankenkassen, die etwa 50 Prozent des Einkommens seiner Praxis ausmachen, immer rückwirkend eingehen, könnte es dann im Herbst oder Winter zu Engpässen kommen. "Die Frage ist, ob die Hilfspakete dann noch existieren", bezweifelt Höglmüller.

Trotz aller Herausforderungen und Sorgen macht der Karlsfelder Zahnarzt Albrecht zur Zeit auch positive Erfahrungen: "Die Wertschätzung der Patienten gegenüber systemrelevanten Berufen wie dem des Zahnarztes ist gestiegen. Viele meiner Patienten sind dankbar, dass wir sie weiter behandeln." Außerdem schätzt er den Austausch und die intensive Vernetzung unter den Zahnärzten im Landkreis. Auch Höglmüller sieht die aktuellen Umstände als wertvolle Erfahrung. Er sei jetzt 30 Jahre im Beruf. Für ihn sei es erschreckend zu erfahren, dass im Prinzip nach den jetzigen Maßstäben schon immer mit unzureichender Schutzausrüstung gearbeitet worden sei. "Zumindest was unseren eigenen Schutz angeht. Natürlich gelten in Zahnarztpraxen schon immer hohe Hygienestandards, doch der Schutz des Personals wird erst jetzt stärker thematisiert", so Höglmüller. Über Ostern hat Höglmüller aus einer Apotheke in Altomünster eine größere Menge an Schutzmasken bekommen und Plexiglasschilder zum Schutz seiner Mitarbeiter in seiner Praxis aufgebaut. Das Team freut sich, nun wieder Patienten behandeln zu können. So bekommen sie ein stückweit Normalität zurück, ohne sich dabei Sorgen um die Gesundheit der Familie machen zu müssen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: