Süddeutsche Zeitung

Dachauer Theatertage:Die Welt hinter der Mauer

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Das Figurentheater Pantaleon zeigt ein beeindruckendes Stück über den Zeichner Bedrich Fritta. Mit Hilfe von Bildern und Geschichten soll sein Sohn die Tristesse des Ghettos besser ertragen. Doch das wird ihm zum Verhängnis

Von Lina Brückner, Dachau

Heute steht Kindern die Welt offen: Wenn sie groß sind, können sie reisen, berühmte Sehenswürdigkeiten besuchen oder als Ingenieur Wolkenkratzer bauen. Für den kleinen Tommy dagegen bleibt dies ein Wunschtraum. Zusammen mit seinen Eltern ist er im Ghetto Theresienstadt inhaftiert. Sein Vater, Bedrich Fritta, versucht, ihn durch Bilder und spielerische Erzählungen vom grauen Alltag abzulenken. Dass Fritta zwischen zwei Welten lebt, zeigt das Stück "Wenn du einmal groß bist", das am Montag vom Figurentheater Pantaleon im Rahmen der Dachauer Theatertage aufgeführt wurde.

"Ich kenn' ein kleines Städtchen. Nicht alle dürfen hinein, es müssen Auserwählte der Als-ob-Rasse sein", singt Martina Quante, die die Aufführung am Akkordeon begleitet. Der "Auserwählte" ist der tschechische Zeichner und Karikaturist Bedrich Fritta, der von einem NS-General verhört wird. Dieser diffamiert die Bilder, auf denen die graue Wirklichkeit im Ghetto zu sehen ist, als "entartete Machwerke". Der Künstler schmuggle diese falsche Propaganda nach außen, um "uns in den Dreck zu ziehen", so der General. Was er dagegen an den Juden schätze, seien ihre nicht zu übertreffenden Witze.

Die "Stadt für die Juden" wurde das Ghetto Theresienstadt genannt. Laut NS-Propaganda herrschte dort "jüdische Selbstverwaltung", doch der "Judenälteste" war der SS unterworfen. Um eine heile Welt zu vermitteln, richteten die Aufseher in der ganzen Stadt Brunnen, Spielplätze und Straßencafés ein, als das Internationale Rote Kreuz vorbeischaute. Doch eigentlich war das ursprünglich für 5000 Bewohner konzipierte Ghetto mit 40 000 Inhaftierten maßlos überfüllt. Es diente als "Wartesaal für den Schlachthof", das Vernichtungslager Auschwitz, wie der Schauspieler Alexander Baginski nach der Vorführung erklärt. In den Verhören, die unter anderem von Adolf Eichmann, dem Leiter der Zentrale des Reichssicherheitshauptamts, durchgeführt wurden, habe man sich tatsächlich auch über Kunst unterhalten. "Das waren durchaus gebildete Menschen", so Baginski.

Als der General abtritt, erwacht der eingeschüchterte Fritta zum Leben. Sein Sohn wundert sich über die "Jacke" seines Vaters. Dieser denkt sich eine Geschichte aus, wie sie von einem Schneider gefertigt wurde, weil er den Stoff so geliebt habe. Auch für den Stern auf seinem Hemd erfindet er eine Erklärung. Für seinen Sohn baut er eine Scheinwelt auf. Dann schweift er ab und schildert die Welt, die sich "hinter der Mauer" verbirgt. Fritta erklärt, es gebe draußen "nicht nur viele, sondern viele verschiedene Menschen", zum Beispiel ganz schwarze, Inuit, "Rothäute" oder Chinesen. Das weckt bei Tommy Sehnsüchte, und so träumen die beiden vom Reisen. Zum Beispiel nach Prag, die Lieblingsstadt Frittas, wo sich die "Sonne in der Moldau spiegelt". Dabei brechen sie immer weiter aus ihrer Wirklichkeit aus. Doch Fritta erschrickt, als sein Sohn vorschlägt, mit dem Zug loszufahren: "Ja gut, freilich, kann auch schön sein", stottert er. Doch dem Kind macht er Mut: "Wenn du einmal groß bist, kannst du alles werden". Alles, außer General.

Der kann das nächste Verhör kaum erwarten. "Bedenke, dass du sterblich bist", sagt er zu einer Karikatur. Er entdeckt Karten, die Fritta für seinen Sohn entworfen hat. Sie zeigen die heile Welt, die sich außerhalb des Ghettos, abseits des Krieges verbirgt. Doch es heiße "Ri ra rutsch, wir fahren mit der Leichenkutsch'", meint der Verhörer. In den Zeichnungen sieht man die Feinde des Deutschen Reichs. "Amerikaner, Bolschewiki, die Résistance und der tschechische Widerstand", belächelt der General die Bilder. Doch er selbst hat Angst: Falls es entgegen aller Agitation nicht so gut für das Reich stehe, solle Fritta ein gutes Wort für ihn einlegen. Denn der habe seine "Fahrkarte nach Osten ja schon", so der General. Die Zeichnungen, die zeigen, wie das Deutsche Reich im Krieg unterliegt, reichen als Beweise.

Bedrich Fritta hat tatsächlich gelebt. Er war Mitglied der Malerverschwörung, wurde nach Auschwitz deportiert, sein Sohn hat überlebt. Das Stück erzählt von einem mutigen Vater, der entgegen der schrecklichen Umstände das Interesse seines Sohnes für die ganze Welt erweckt hat und ihm so Toleranz vermittelt. Zum 18. Geburtstag hat Tommy ein Buch geschenkt bekommen, das sein Vater im Ghetto verstecken konnte. Es sammelt die Werke des Künstlers und zeigt die Idylle, die sich hinter den Mauern des Ghettos abspielte. So zeugt es einerseits von zerstörten Träumen, andererseits auch von der Hoffnung, dass Menschlichkeit und Frieden wieder siegen werden.

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Quelle:
SZ vom 12.11.2019
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