Erinnerungskultur:Ein Projekt mit politischer Sprengkraft

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Auch eine Sonderausstellung zu den Dachauer Prozessen ist in der KZ-Gedenkstätte zu sehen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die KZ-Gedenkstätte Dachau organisiert eine Veranstaltungsreihe zu den Dachauer Prozessen. Das Projekt hat politische Sprengkraft, wird der Massencharakter des Nationalsozialismus doch seit 1945 geleugnet.

Kommentar von Helmut Zeller, Dachau

Der frühere Zeitgeschichtsreferent und SPD-Stadtrat Günter Heinritz hat einmal gesagt, neben der Beschäftigung mit der Geschichte des Konzentrationslagers Dachau müsse man auch den Umgang mit dieser Vergangenheit seit 1945 beleuchten. Vielleicht mit einer von der Stadt geförderten speziellen Forschungsarbeit. Nun fand seine Forderung in der Politik offenbar wenig Gehör, wenn man vom Dachauer Symposium zur Zeitgeschichte absieht, das immer wieder auch Fragen zur Aufarbeitung der NS-Geschichte in den Fokus rückt - ohne jedoch konkrete Forderungen an die Dachauer Politik zu stellen.

Das wäre aber auch ein Schock, was da heute noch unter der scheinbar glänzenden Oberfläche ans Tageslicht kommen könnte. Allein die komplizierte Sache mit der Umbenennung von Straßen. Auch ein erläuternder Text zu den Namensgebern, darunter in Dachau angesehene Persönlichkeiten, könnte einigen Wirbel verursachen, der politisch nicht gerade opportun erscheint. Das könnte den Kulturbetrieb, der ja schon an kolonialer Amnesie leidet, aber auch Parteien in eine gewisse Bedrängnis bringen, zum Beispiel die CSU. Führt sie, nebenbei gefragt, noch immer den 2010 verstorbenen Lungenfacharzt, der in den 1940er Jahren in der Pflegeanstalt Schönbrunn in die "Euthanasie"-Verbrechen verstrickt war, als Ehrenmitglied?

Lernort KZ-Gedenkstätte Dachau

Erinnern sich ihre Repräsentanten, die bei Gedenkfeiern tief betroffene Mienen aufziehen, überhaupt an die antisemitisch agierenden Parteimitglieder? An ihren ersten Vorsitzenden, Justizminister Josef Müller etwa, der mit seiner Kampagne den Holocaust-Überlebenden Philipp Auerbach 1952 in den Suizid getrieben hatte - oder an den Fürstenfeldbrucker Bundestagsabgeordneten Richard Jaeger, der 1951 auf einer "Protestkundgebung gegen die Unmenschlichkeit" vor der JVA Landsberg die Begnadigung aller zum Tode verurteilter NS-Verbrecher forderte. Oder an ihren Landrat, der den Abriss der KZ-Krematorien gefordert hatte? Müssen sie sich überhaupt erinnern?

Ja, weil es den Akteuren des sogenannten Lernorts Dachau nicht nur gut anstünde, sondern weil nur dann gegen den Antisemitismus und Rassismus, die die sogenannte Stunde null überlebten, vorgegangen werden kann - und das ist doch das Ziel.

Es ist beileibe nicht Dachau allein, die Stadt steht hier für die ganze deutsche Nachkriegsgeschichte. Die Suche nach den Ursprüngen der "größten Lebenslüge der Bundesrepublik" (Samuel Salzborn), nämlich dass die Vergangenheit aufgearbeitet worden sei, führt auch nach Dachau, weil hier die Militärgerichtsverfahren stattfanden. In jenen drei Jahren von 1945 bis 1948 schufen die Alliierten in Dachau die juristischen Grundlagen für eine wirkliche Abkehr vom Nationalsozialismus, wenn sie nicht an der kollektiven Abwehr gescheitert wäre, die nach 1949 in Gesellschaft, Politik - auch der Dachauer - und der bundesrepublikanischen Justiz verfestigt worden ist.

Mit ihrem Projekt erweitert die KZ-Gedenkstätte, übrigens die bedeutendste in Deutschland, nicht nur auf Dauer ihr inhaltliches Profil. Es hat auch politische Sprengkraft, wird der Massencharakter des Nationalsozialismus doch seit 1945 geleugnet. Die ganze deutsche Geschichtspolitik zielte in ihrem Mainstream darauf ab, diese Tatsache vergessen zu machen. Zumindest in Dachau scheitert dieser Versuch - am wirklichen Lernort, der KZ-Gedenkstätte.

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