Dachauer Kultur:Raumverloren

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Die Ausstellung der neuen KVD-Mitglieder befasst sich mit dem Thema der Isolation, der Stille, der Abwesenheit von Kommunikation und dem Wunsch danach.

Sophie Burfeind

Ein kleiner, sorgfältig gezeichneter Löwenembryo liegt in einer Küchenschublade. Aus seinem Bauch führt eine rote Schnur, seine Nabelschnur, auf einen mit Mehl bestäubten Küchentisch. Vielleicht versuchen die Menschen, die an diesem Tisch essen, die Schublade zu schließen. Doch die Schnur wird auf dem Tisch liegen bleiben, das Tier kann nicht einfach weggesperrt werden. Die Grafikdesignerin Margot Krottenthaler zeigt "diese Nahtstelle zwischen einer hochzivilisierten Gesellschaft und ihrem immer bleibenden evolutionären Erbe, die Verwandtschaft mit den Säugetieren" in der neuen Ausstellung der Galerie der Künstlervereinigung Dachau (KVD). Am Donnerstag präsentiert der Kunstverein seine neuen Mitglieder. In diesem künstlerischen Raum will Krottenthaler erreichen, dass sich Vergangenheit und Gegenwart verschränken.

Die Haimhausener Malerin Gabriele Middelmann hat den Sprung nach Dachau gewagt und ist jetzt ebenfalls KVD-Mitglied geworden. Deshalb zeigt auch sie aktuelle Arbeiten zum gemeinsamen Thema "Stillraum". (Foto: © joergensen.com)

Die neuen KVD-Mitglieder, die SZ-Kulturpreisträgerin Agnes Jänsch, Nico Kiese, Gabriele Middelmann und das Künstlerpaar Georg Szabó und Barbara Trommeter und eben Margot Krottenthaler haben ihrer gemeinsamen Ausstellung den Titel "Stillraum" gegeben. Er könnte bedeuten, dass sie die KVD-Galerie zu einem Raum der inneren Einkehr, vielleicht der Meditation gestalten.

Der genaue Blick auf den Tisch und in die Schubladen, den Krottenthaler herausfordert, dreht die Ausstellung zunächst in diese Richtung. Aber von ihr sind außerdem zwei Stickereien und vier Zeichnungen zu sehen. Alte Stickereien hat sie mit neuen Zeichen ergänzt - eine gutbürgerliche häusliche Harmonie trifft nun auf die entfremdete Welt des Cyberspace. Ihre Zeichnungen zeigen Personen, die Deformationen aufweisen, in weitgehend leeren Räumen. Sie wirken vereinzelt und verloren. Die Deformationen sind dadurch entstanden, dass die Künstlerin als Rechtshänderin mit links gezeichnet hat. "Ich finde es spannend, ein Handicap einzubauen. Das ist ein Aspekt, den ich nicht kontrollieren kann", sagt sie.

Dieses Thema der Isolation bewegt auch das Künstlerpaar Georg Szabó und Barbara Trommeter. "Wir beschäftigen uns grundsätzlich mit dem Raum", erläutert Barbara Trommeter. "Besonders interessieren uns die Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Raum und wie der Mensch im Sinne von Heidegger vom Raum beeinflusst wird." Auf einer der beiden großen Fotografien ist ein weißer Tonraum - ein vollkommener Stillraum - zu sehen, auf der anderen, ein alter, leerer Natobunker von innen. Trommeter bezeichnet beide als Isolationsräume, die sich als erdrückend erweisen können - besonders der alte Bunker. "Ich frage mich, ob man es dort im Fall einer Gefahr wirklich aushalten würde mit so vielen Menschen." Auch einen tragbaren Raum hat das Künstlerpaar mitgebracht: eine eigens für die Ausstellung genähte Burka, die auf einer Kleiderpuppe in der Mitte des Raumes steht. Das Gitter für die Augen ist auf Brusthöhe gerutscht. "Die Burka ist ein extrem beengender, erstickender Raum", sagt die Künstlerin. Betrachte man die Burka wortwörtlich als Stillraum, so stelle sich doch die Frage, wie sich ein Kind entwickle, wenn es nur unter der dunklen Burka gestillt werde.

Nico Kieses Installation "Nach Farben graben" hat er mit seinem Künstlerkollegen Frank Balve geschaffen. In einem großen Holzschrank stehen einige kleine und ein großer Fernseher: auf den kleinen Bildschirmen läuft ein von Frank Balve verfasster poetischer Text, auf dem großen Fernseher in der Mitte ein Film. Er zeigt eine surreale, traumhafte Welt eines vergessenen Raums, den die beiden in den Katakomben der Akademie der Bildenden Künste in München aufgebaut haben. Er soll keine narrative Handlung, sondern Gefühle vermitteln. "In dem Raum ist das Vergangene stehen geblieben", sagt Kiese. Ihnen geht es um Erinnerung und verlorene Momente.

Die Malerin Gabriele Middelmann nähert sich ihren auf Naturmaterialien basierenden Kunstwerken intuitiv an. Sie lässt sich auf Spaziergängen im Dachauer Moos oder auf Reisen von geologischen und organischen Oberflächen inspirieren. In ihren Gemälden entsteht durch das Auftragen verschiedener Schichten ein räumlicher Eindruck, der auf einer zweiten Ebene durch tatsächlich gemalte Räume verstärkt wird.

Die Bildhauerin Agnes Jänsch präsentiert in ihrer Installation vier Videoporträts. Zu sehen sind auf hochkant gestellten Röhrenfernsehern vier verschiedene Personen mit hochemotionalen Gesichtsausdrücken, die sich langsam verändern. In einem aufwendigen Prozedere hat die Künstlerin die Lidschläge der Personen herausretuschiert, weshalb diese seltsam fern und distanziert wirken. "Man kann keinen echten Zugang zu ihnen finden, obwohl sie räumlich so nahe sind", erklärt Jänsch. "Jede Person hat seinen eigenen Raum, in dem Stille herrscht, sie sind ein Stück weit abgekapselt." Der Mensch wirkt tatsächlich wie in einem Aquarium. Für ihr künstlerisches Schaffen wird Agnes Jänsch Anfang Juli mit dem Tassilo-Preis der Süddeutschen Zeitung ausgezeichnet.

Sie freut sich übrigens - im Gegensatz zum Thema "Stillraum" -, dass nicht nur die Besucher der Galerie eine kohärente Ausstellung mit spannenden Einzelstücken erwartet, sondern dass auch die Künstler sich untereinander austauschen und besser kennen lernen.

Die Vernissage "Stillraum" ist an diesem Donnerstag, 9.30 Uhr. Die Ausstellung ist bis Sonntag, 8. Juli, in der KVD-Galerie zu sehen.

© SZ vom 21.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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