Dachauer Jazzherbst:Versonnen, ruhig, akustisch

Frei improvisierte Musik in ihrer edelsten Form: Das Sebi Tramontana Sudo 4tet lotet bei seinem Konzert in der Kulturschranne Klangfelder aus und rundet die stilistische Bandbreite des Dachauer Jazzherbstes ab

Von Andreas Pernpeintner, Dachau

Es war ein wirklich besonderer Jazzherbst, den der Jazz e.V. Dachau zu seinem 20-jährigen Bestehen in diesem Jahr präsentiert hat. Der Saxofonist David Murray war zu Gast, die Pianistin Aki Takase, das waren sicherlich die beiden berühmtesten Namen. Der grandiose Bassist Ingebrigt Håker Flaten kam sogar zweimal in der Dachauer Kulturschranne vorbei. Einmal zusammen mit Murray, einmal mit der Formation The young Mothers. Und dieses Konzert der Young Mothers umreißt zusammen mit dem die Saison nun abschließenden Konzertabend des Sebi Tramontana Sudo 4tet die ganze stilistische Bandbreite, die dieser Jazzherbst bereit hielt: Wohingegen die Young Mothers die Musik mit E-Gitarre und E-Bass, siedend heißen Bläserströmen und brachialem Growling-Gesang explodieren ließen, fügt das Sebi Tramontana Sudo 4tet dem Jazzherbst nun einen dazu maximal kontrastierenden Epilog an.

Dachauer Jazzherbst: Musik, in der man sich verliert: Joel Leandre, Sebi Tramontana und Carlos Zingaro (von links) intonieren ruhige Soundcollagen.

Musik, in der man sich verliert: Joel Leandre, Sebi Tramontana und Carlos Zingaro (von links) intonieren ruhige Soundcollagen.

(Foto: Toni Heigl)

Sehr ruhig ist dieses letzte Dachauer Jazzkonzert des Jahres, versonnen, akustisch, europäisch. Vier Musikerinnen und Musiker, vier europäische Nationalitäten: der Posaunist Sebi Tramontana aus Italien, die Kontrabassistin Joëlle Léandre aus Frankreich, der Geiger Carlos Zingaro aus Portugal und der Schlagzeuger Paul Lovens aus Deutschland. Was sie gemeinsam spielen, ist frei improvisierte Musik in ihrer edelsten Form. Schon dass nicht nur Geiger Zingaro, sondern auch die Kontrabassistin Léandre zum Bogen greift, zeigt, dass hier kein rhythmisch prägnant vorantreibendes Spiel zu erwarten ist, sondern Musik, in der man sich verliert. Und in der Tat dringt Léandre in ganz andere Ausdrucksbereiche des Kontrabasses vor, wenn sie sich mit dem Bogen und den behutsam aufgelegten Fingern der Greifhand auf die Suche nach herrlich schillernden Obertönen begibt.

Dachauer Jazzherbst: Schlagzeuger Paul Lovens gestaltet sein Spiel nicht rhythmusgebend, sondern er begreift sein Schlagwerkinstrumentarium als Klanglabor.

Schlagzeuger Paul Lovens gestaltet sein Spiel nicht rhythmusgebend, sondern er begreift sein Schlagwerkinstrumentarium als Klanglabor.

(Foto: Toni Heigl)

Das gemeinsame Ausloten von Klangfeldern ist wohl die zentrale Kategorie dieser Quartett-Darbietung. Tramontana tut es, indem er die Posaune häufig mit dem Schalldämpfer bestückt und so ihre Wucht dämpft. Geiger Zingaro ist gewiss nicht das aktivste der vier Ensemblemitglieder, prägt mit seinen manchmal wundervoll vibratoreich ausgesungenen Motiven aber besonders schöne Ausdrucksmomente. Sein Zweitbogen, den er ab und zu verwendet, ein schlaff gespannter Rundbogen, erlaubt es Zingaro zudem, alle vier Saiten gleichzeitig zu streichen und damit der Geige sogar den einen oder anderen harmonisch klaren Akkord zu entlocken. Schlagzeuger Paul Lovens schließlich gestaltet sein Spiel nicht rhythmusgebend, sondern er begreift sein Schlagwerkinstrumentarium als Klanglabor, dämpft die Trommelfelle, legt Gongs und Becken auf, lässt sie singen, schnarren, klappern, zirpen, zittern und wabern.

So erschafft dieses Quartett meistens ruhige, nur selten im Crescendo Fahrt aufnehmende oder impulsiv werdende Soundcollagen, in denen die vier Instrumente einander in feingliedriger Ereignisdichte überlagern. Ein metrischer Puls ist dabei oft allenfalls zu erahnen. Diese Musik kreist um sich - und ist darin purer Klang. Selbst dann, wenn Kontrabassistin Léandre ihre Singstimme erhebt und einen innigen Gesang anstimmt, der mit seinem gut geschulten Sitz fast klassisch anmutet, in seiner durchaus skurrilen Reihung von kehligen Konsonanten aber keine Textbotschaft transportiert, sondern zu dieser prozessualen absoluten Musik wie ein fünftes, besonders emotional gespieltes Instrument beiträgt.

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