Süddeutsche Zeitung

Dachauer Forum:Rechtspopulismus im Seniorenstudium

Der Eröffnungsredner des neuen Semesters beim "Dachauer Forum" will dem Islam in Deutschland seine Daseinsberechtigung absprechen.

Von Renate Zauscher, Dachau

Mit einem Eklat hat die Vorlesungsreihe zum Seniorenstudium des Dachauer Forums begonnen. Geschäftsführerin Annerose Stanglmayr distanzierte sich noch am Abend der Veranstaltung im Ludwig-Thoma-Haus von den Aussagen des Redners Josef H. Reichholf. Der Evolutionsbiologe, Buchautor und Honorarprofessor an der TU München war eingeladen worden, um über Migrationsbewegungen in der Geschichte der Menschheit bis heute zu sprechen. Nach einem historischen Abriss äußerte sich der Naturforscher allerdings dezidiert politisch und gelangte zu Schlussfolgerungen, die fatal an die Argumentation rechter Populisten erinnern. Seine Thesen gipfelten in dem Vorwurf: "Die Politik hat versagt - wir haben keine Vorgaben bekommen, wie wir mit Migration umgehen sollen."

Merkels Satz "Wir schaffen das" erklärte Reichholf zu "Quatsch": Er lasse "die Faktenlage völlig außer Acht". Das Wort von der "Lügenpresse" vermied Reichholf, sprach aber davon, dass die Berichterstattung in den Medien "höchst unaufrichtig" gewesen sei. Er zweifelte daran, dass die vielen jungen Männer, die gekommen seien, "anständig" seien und wollte dem Islam in Deutschland seine Daseinsberechtigung absprechen. In die Demokratie hat Reichholf offensichtlich kein Vertrauen: "Großmigrationen zerstören die betroffenen Kulturen", postulierte er, "keine partei-demokratische Gesellschaft hat die Kraft zur Abwendung des Ansturms".

"Sie haben in ganz massiver Weise gewertet"

Mehrfach betonte Reichholf in seiner Rede, er beziehe "keine Stellung" und präsentiere nur Fakten und Zahlen. Dem wurde vom Publikum deutlich widersprochen: "Sie haben in ganz massiver Weise gewertet", erklärte ein Besucher, "wer die AfD befürwortet, darf sich von Ihnen bestärkt fühlen". Andere warfen Reichholf vor, Migrationsbewegungen, die mit gewaltsamer Landnahme verbunden waren, mit friedlichen Bewegungen gleichzusetzen und zu übersehen, wie gut die Integration der Gastarbeiter in Deutschland gelungen ist. Allerdings erhielt Reichholf von einigen Besuchern im vollbesetzten Erchana-Saal auch Zustimmung. Begonnen hatte Reichholf seinen Vortrag mit der Geschichte des Nomadentums, von diesen kam er auf spätere Wanderungsbewegungen, etwa bei den Germanen bis hin zur Auswanderung nach Amerika zu sprechen. Die heutigen Migrationsbewegungen führte er auch auf das Erbe des Kolonialismus zurück. Hunger in Afrika sei ein politisches Problem, weitgehend verursacht durch die "erdrückende landwirtschaftliche Dominanz der reichen Industrieländer" des Westens.

Deutliches Unbehagen am Vortrag

Das Seniorenstudium steht im neuen Semester unter dem Motto: "Endlich richtig leben - ökologisch, sozial, spirituell". Ein Naturforscher, der in den Siebzigerjahren die "Gruppe Ökologie", eine Keimzelle des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland mitbegründet hat, erschien dem Forum da wohl angemessen. Offenbar hätten sich die Veranstalter aber besser über Reichholfs heutige Ansichten informieren sollen. Stanglmayr zeigte deutliches Unbehagen an Reichholfs Vortrag. Sie sei mit einigen Aspekten seines Vortrags "nicht einverstanden" und sehe sich angesichts der Flüchtlinge "durchaus in einer humanen Verpflichtung". Sie sei "hoffnungsvoller" als Reichholf, was die Bewältigung anstehender Probleme angehe: "Wir müssen den Fakten zwar ins Auge sehen, dabei aber auch die Spielräume nutzen, die wir haben."

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Quelle:
SZ vom 15.09.2016
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