Süddeutsche Zeitung

Dachauer Busverkehr:Die EU sitzt den Stadtwerken im Nacken

Die Dachauer Stadtwerke sind verunsichert: 2013 könnte der Busverkehr aufgrund einer EU-Verordnung in private Hände fallen. Doch es gibt einen Ausweg.

Melanie Staudinger

Die Stadtwerke Dachau fürchten um ihren Busbetrieb. Eine neue EU-Verordnung sieht eine europaweite Ausschreibung vor und öffnet so in Dachau von 2013 an den Markt für private Anbieter. "Als kommunaler Betrieb verlieren wir da immer", sagt Stadtwerke-Chef Ludwig Pfänder.

Aber die EU lässt einen Ausweg offen: Der Landkreis müsste die Trägerschaft für den städtischen Busverkehr an die Stadt abgeben. Dann dürften die Stadtwerke als kommunaler Eigenbetrieb ohne Ausschreibung die Buslinien weiter betreiben. Die Kosten blieben in diesem Fall an der Stadt hängen. Genau das prüft die Verwaltung gerade. Anschließend entscheiden Dachaus Kommunalpolitiker. Werkleiter Pfänder hofft auf ein schnelles positives Votum: "Wir brauchen Planungssicherheit."

Es ist die EU-Verordnung 1370, die für Verunsicherung bei kommunalen Verkehrsbetrieben sorgt. Eingeführt im Dezember 2009 soll sie nach dem Willen der EU den Wettbewerb im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in den Mitgliedsstaaten stärken. Buslinien dürfen jetzt nicht mehr direkt an ein Unternehmen vergeben, sondern müssen europaweit ausgeschrieben werden. Dadurch soll sich die Qualität des ÖPNV erhöhen, die Kosten sollen gleichzeitig aber sinken. So zumindest argumentieren die Urheber der Verordnung.

Für den Busbetrieb der Stadtwerke Dachau - sie besitzen bei 33 Vollzeitkräften derzeit zehn Solobusse, zwei Gelenkbusse und zwei Kleinbusse - könnte die EU-Verordnung 1370 zu einer Bedrohung werden. 2013 läuft ihre Konzession aus. Sollte es dann zu einer öffentlichen Ausschreibung kommen, rechnet sich der technische Werkleiter Ludwig Pfänder keine allzu großen Chancen aus. Ein kommunaler Betrieb habe alleine schon höhere Personalkosten als ein privater Unternehmer, weil es für die Fahrer unterschiedliche Tarifverträge gebe. "Preislich können wir mit den Privaten nicht mithalten", sagt Pfänder. Die Brisanz ist auch Oberbürgermeister Peter Bürgel (CSU) bekannt. "Wenn wir die Buslinien behalten wollen, müssen wir sie in eigene Trägerschaft übernehmen", erklärte er in der jüngsten Werkausschusssitzung des Stadtrats.

Genau dieses Hintertürchen lässt die EU-Verordnung 1370 offen: Busleistungen müssen nicht öffentlich ausgeschrieben werden, wenn sie an einen Eigenbetrieb vergeben werden. Derzeit ist der Landkreis Dachau der sogenannte Aufgabenträger für ÖPNV-Leistungen. Die Stadt könnte die Zuständigkeit von ihm übernehmen, und die Stadtwerke Dachau damit ihre Buslinien weiter betreiben. "Das ist eine politische Entscheidung", sagt Pfänder. Sie wird wohl auch von den Kosten abhängen. Als Busunternehmer erhalten die Stadtwerke jährlich laut Pfänder einen Zuschuss von bis zu einer halben Million Euro vom Landkreis - auf das Geld müsste die Stadt verzichten.

Für den technischen Werkleiter lohnt sich diese Investition, zumal die Stadtwerke einige Vorteile gegenüber privaten Unternehmen böten: Sie könnten bessere Tarife anbieten, stellten einen direkten Ansprechpartner für Bürger und Kommunalpolitiker dar und kümmerten sich zudem um die Infrastruktur. Pfänder verweist auf den Citybus, der anfangs privat betrieben worden sei. "Da gab es erhebliche Probleme", sagt er. Es habe an Ersatzbussen gefehlt, und auch die Qualität der Fahrzeuge sei mangelhaft gewesen. Deshalb haben die Stadtwerke die Linie 719, die die Altstadt mit dem Bahnhof verbindet, jetzt selbst übernommen.

Welche Auswirkungen die EU-Verordnung 1370 tatsächlich haben wird, lässt sich noch nicht abschätzen - dafür ist sie noch nicht lange genug in Kraft. Der Jurist Benjamin Linke von der Universität Tübingen, der seine Promotionsarbeit zum Thema "Die Gewährleistung des Daseinsvorsorgeauftrags im öffentlichen Personennahverkehr" geschrieben hat, nennt zwei Probleme der Kommunen. Zum einen würden sie die Kontrolle über ihre Buslinien verlieren, zum anderen gebe es für sie aber auch steuerliche Nachteile. Viele kommunale Verkehrsbetriebe, unter ihnen auch die Stadtwerke Dachau, subventionieren die ÖPNV-Leistungen mit ihren Einnahmen aus dem Strom- und Gasvertrieb. Fällt der defizitäre Verkehrszweig weg - die Stadtwerke machten hier 2008 ein Minus von 860000Euro - müssten die kommunalen Unternehmen mehr Steuern zahlen.

Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen außerdem, dass eine öffentliche Ausschreibung nicht immer zu den von der EU prognostizierten Einsparungen führt. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2008 kommt sogar zu dem Schluss, dass Direktvergaben an eigene Verkehrsunternehmen günstiger sein können. Die Stiftung verglich die ÖPNV-Systeme in Stuttgart und Bochum/Gelsenkirchen, die in kommunaler Hand sind, mit dem in Frankfurt, wo mehr als 50Prozent der Buslinien ausgeschrieben werden. Bei der Fahrgastentwicklung schnitt Bochum/Gelsenkirchen am besten ab, bei der wirtschaftlichen Effektivität Stuttgart.

Das vergleichsweise schlechte Resultat in Frankfurt lag laut den Forschern Lothar Kamp und Rainer Jung an drei Faktoren: Die hohen Kosten für die Ausschreibung kompensierten die Einsparungen bei Beschäftigung eines Privatunternehmers, kommunale Systeme seien zudem flexibler und verfügten über ein besseres Gleichgewicht zwischen verkehrspolitischer Steuerung und wirtschaftlicher Verantwortung.

Ein internes Gutachten der Stadtwerke Lindau bestätigt diese Ergebnisse. Die Stadt Lindau hat heuer ihre Buslinien über die neugegründete Tochtergesellschaft Stadtbus GmbH wieder in eigene Trägerschaft übernommen. "Im Vergleich zu vorher sparen wir uns 400000Euro im Jahr", sagt Alexander Muschel, kaufmännischer Leiter der Stadtwerke Lindau.

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Quelle:
SZ vom 14.06.2010
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