Süddeutsche Zeitung

Asylbewerber:Zum Nichtstun verdammt

Alioune Sall will sich integrieren und war als Angestellter eines großen Baumarkts in Dachau geschätzt. Jetzt hat er den Job verloren, weil Flüchtlinge aus Senegal nicht mehr arbeiten dürfen.

Von Manuel Kronenberg, Dachau

An Alioune Salls Armen klebt Dreck, sein fein kariertes, olivgrünes Hemd ist verschwitzt. Er kommt gerade vom Spielplatz in Ampermoching. Nicht gespielt hat er dort, sondern gearbeitet. Zusammen mit anderen Asylbewerbern, Eltern und Gemeinderäten hat er den Spielplatz der Kinderkrippe ausgebaut. Jetzt ist es Nachmittag und Sall ist nach Deutenhofen in die Flüchtlingsunterkunft zurückgekehrt. Hier lebt der 30-jährige Senegalese seit mehr als zwei Jahren. Er ist froh über die Beschäftigung am Spielplatz, er will nicht Tag für Tag in dem ehemaligen Altenheim herumsitzen. Aber eigentlich möchte er einen richtigen Job, arbeiten, sich integrieren. Diesen Wunsch muss er sich erst einmal aus dem Kopf schlagen, obwohl er schon eine Anstellung hatte. Seine bereits erteilte Arbeitsgenehmigung wurde nicht verlängert, weil das bayerische Staatsministerium am 31. März ein Arbeitsverbot für Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsstaaten erließ. Senegal gilt als sicher.

Salls Situation steht stellvertretend für viele weitere Asylbewerber im Landkreis Dachau. Es geht vor allem um Flüchtlinge aus Senegal, 55 sind im ganzen Landkreis untergebracht. Direkt vom Arbeitsverbot betroffen sind nicht nur sie, sondern auch die Arbeitgeber. Hört man sich unter ihnen um, stößt man auf Unverständnis für das Arbeitsverbot. Im Fall von Alioune Sall war Franz Xaver Romig, Obi-Chef in Dachau, der Arbeitgeber. "Ich finde das Arbeitsverbot unmöglich, aus Sicht der Wirtschaft ist das nicht nachvollziehbar", sagt Romig. "Mir tut es wirklich leid für Herrn Sall, weil er sich integriert hat und mit Freude dabei war." Zu dem Arbeitsverhältnis kam es durch eine Absprache von Romig und dem Hebertshausener Asylhelferkreis. Romig sah darin eine gute Möglichkeit, den Senegalesen zu integrieren und ist offen dafür, auch in Zukunft wieder mit dem Asylhelferkreis zu kooperieren. Am 1. April dieses Jahres fing Sall bei Obi zu arbeiten an, kümmerte sich jeden Abend um die Bewässerung der Pflanzen im Freigelände. Er sei eine große Hilfe gewesen, sagt Obi-Marktleiter Georg Liegl. "Er hat seine Chance genutzt, war von Beginn an freundlich, und er hat sehr schnell gelernt", sagt Liegl. Genau so jemanden brauche er, deswegen habe er ihm auch über den bis Ende Juli befristeten Vertrag hinaus eine Anstellung angeboten. Aber dann kam der Brief von der Ausländerbehörde: Wegen der ministeriellen Anweisung vom 31. März dürfe Sall nicht mehr arbeiten. "Ich war sehr traurig, als ich vom Arbeitsverbot gehört habe", sagt der Senegalese in gebrochenem Deutsch.

Jens Horst ist Geschäftsleiter der Messebaufirma Deko-Tec in Markt Indersdorf, er beschäftigt zwei Senegalesen in seinem Betrieb. "Ich verstehe nicht, warum die Landesregierung so dämlich reagiert", empört er sich. "Das ist völlig kurzsichtig. Die CSU achtet sonst immer auf Wirtschaftlichkeit, aber hier handelt sie rückschrittlich." Die Sorge, dass durch Lohndumping billige Arbeitskräfte generiert werden, kann Horst nicht teilen. Die beiden Senegalesen bekommen bei ihm mehr als den Mindestlohn. Er ist sehr zufrieden mit ihnen. Issa N. sei innerhalb von zwei Monaten komplett integriert gewesen, er arbeitet in Vollzeit. Khadim D. arbeitet in Teilzeit, weil er noch Deutschkurse besucht. Er hat als Kind in der Schreinerei seines Großvaters gearbeitet. Er sei handwerklich sehr geschickt, davon seien die Kollegen begeistert gewesen, erzählt der Firmenchef. "Ich will alles unternehmen, um sie zu behalten. Ich will beide Jungs nicht verlieren. Das wäre ein Verlust", sagt Horst. Vor allem, weil eine vergleichbare Arbeitskraft mit der gleichen Qualität und dem gleichen Engagement auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht zu finden sei. Er habe zwei Jahre nach einem Schreiner gesucht. Deshalb seien die Asylbewerber eine Chance für die Wirtschaft. "Wir brauchen wirklich jeden."

Nicht nur Schreiner sind gesucht. In anderen - nicht nur handwerklichen - Branchen bietet sich das gleiche Bild. Wie Obi-Chef Romig und Deko-Tec-Vorstand Horst wollte auch Hubert Ekl Asylbewerbern helfen. Gleichzeitig brauchte aber auch er die Arbeitskraft. Ekl eröffnete am 26. März das Wirtshaus am Erdweg. "In der Gastronomie ist es sehr schwierig, Leute zu finden", sagt er. Zur Eröffnung stellte Ekl vorübergehend drei Senegalesen ein. Nach der Probezeit konnte die Arbeitserlaubnis aber nicht verlängert werden. "Ich wollte Leuten, denen es nicht so gut geht, eine Hilfestellung geben. Die drei haben gute Arbeit geleistet. Sie haben das mit so viel Engagement gemacht. Ich find's schade, dass man sie nicht lässt."

Auch in der Elektrobranche herrsche Fachkräftemangel, erklärt Verena Seischab, Mitarbeiterin der Elektroinnung München. Deshalb bietet die Innung einen Berufsvorbereitungskurs an, der zum Ziel hat, Flüchtlinge an eine Ausbildung in der Elektrobranche heranzuführen. In diesem Jahr wurden auch Asylbewerber aus dem Münchner Umland zum Eignungstest zugelassen. Astrid Perrotton vom Asylhelferkreis Schwabhausen hat zehn Flüchtlinge aus dem gesamten Landkreis zum Test begleitet. Auf ein Ergebnis warten sie noch. Ob die zwei Senegalesen, die dabei waren, trotz Arbeitsverbot eine Chance haben, ist also noch offen.

Auch der Senegalese Abdou Lahat Seck ist qualifiziert, kann sein Potenzial aber nicht einsetzen. Er hätte seit Mai die Möglichkeit, bei der Änderungsschneiderei Yondemir in Dachau zu arbeiten. Natalia Dinges, die Inhaberin, steht noch heute zu ihrem Angebot. Denn auch sie sagt: Fachleute in ihrer Branche seien gefragt. "Ich kann immer jemanden brauchen. Wir sollten uns um die Flüchtlinge kümmern, die sich hier integrieren wollen." Der 30-jährige Senegalese Alioune Sall hofft noch immer darauf, dass er wieder arbeiten darf. Wie seine Mutter und Schwester, die in Senegal leben. Salls Vater ist verstorben. In Griechenland betrat Sall das erste Mal europäischen Boden. Viereinhalb Jahre lebte er dort auf der Straße, suchte Schrott und Ersatzteile aus dem Müll, die er noch verkaufen konnte. Irgendwann zog er weiter Richtung Deutschland, im Sommer 2013 kam er hier an. Seitdem wartet er darauf, dass sein Asylantrag bearbeitet wird, er nimmt an Kursen teil und lernt Deutsch. Peter Barth vom Helferkreis in Hebertshausen setzt sich dafür ein, dass Sall doch weiterarbeiten darf. Landrat Stefan Löwl (CSU) bat er zu prüfen, ob ein begründeter Ausnahmefall vorliegt. Der Landrat habe die Möglichkeit, im Einzelfall eine Arbeitserlaubnis zu erteilen, erklärt Barth. "Wir halten uns an die Weisung aus dem Innenministerium", sagt Löwl. Eine Ausnahme hänge von den Bleibeperspektiven ab. Und für Alioune Sall sieht er nur geringe Chancen. "Nettigkeit, Motivation und gute Arbeit reichen nicht aus, um einen Ausnahmefall zu begründen."

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SZ vom 24.08.2015
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