Dachau:Worte wie Perlen

Martin Kimm, Hans Kimm, Enzo Amarotico, Herbert Schuierer und ihre "Lyrik in Dur und Moll"

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Männer und Lyrik. Zu Eichendorffs und Rilkes Zeiten war das selbstverständlich. 2016 bekommt zwar Bob Dylan den Literaturnobelpreis und Poetry Slams sind total in. Der Nachbar von nebenan äußert sich in Reimform höchstens, wenn er in einem Münchner In-Viertel gerade mit Klein-Laura-Anna-Roberta den Chinesisch-Kurs für Dreijährige besucht hat und sich nun in der ökologisch korrekt designten Küche seine Befindlichkeit in Haiku-Form von der Seele schreibt. Denkste!

Vier gestandene Herren zeigten am Freitagabend in der Dachauer Stadtbibliothek, was gereimte und ungereimte Poesie ausmachen kann: Sie gestattet einen Blick ins Innere eines ehemaligen MD-lers (Martin Kimm), ist freundlich verpackte Zeitkritik eines Internisten (Enzo Amarotico), offenbart die tiefe Liebe zur Natur eines Ingenieurs (Hans Kimm) oder die urbayerisch-deftige Lästerseele eines früheren Schulrats (Herbert Schuierer), "Lyrik in Dur und Moll" eben. Das versprach der Titel der von Bibliotheksleiter Steffen Mollnow initiierten Veranstaltung.

"Selbstverfasstes, Veröffentlichtes sowie auch die eine oder andere noch unbekannte lyrische Perle", wie es in der Ankündigung hieß, hatte das Quartett - das längst im rein beruflichen Ruhestand lebt - mitgebracht und damit viele Zuhörer angelockt. Entstanden sind die Gedichte aus ganz unterschiedlichen Beweggründen. Martin Kimm zum Beispiel sagte der SZ, er habe in einer Lebenskrise zunächst nur "von Martin für Martin" geschrieben. Erst sein Bruder Hans habe ihn überredet, seine Gedichte auch der Öffentlichkeit zu präsentieren. Inzwischen verlässt er das Haus nicht mehr ohne Block und Bleistift. "Denn die Muse küsst einen nur einmal", sagte er lachend. Hans Kimm, "der jüngere Bruder", hat die Poesie zunächst als Verseschmied für Geburtstage und Familienfeiern entdeckt. Er schreibt, so wie seine Kollegen auch, mal bayerisch, mal Schriftdeutsch und ist dem "Reim dich oder ich fress dich" längst entwachsen. Enzo Amarotico "übt" regelmäßig bei der "Gesellschaft der Niederländter". Die nur Männern vorbehaltene Organisation gibt bei ihren Treffen jeweils ein Stichwort vor, das die Mitglieder dann künstlerisch umsetzen. Die Niederländter sind übrigens kein Geheimbund, sondern eine kulturell inspirierte Alternative zu Smartphone und Fernseher.

Ob die Lyrik für Herbert Schuierer schon eine Alternative zum Schulratsdasein war, weiß man nicht so genau. Für ihn jedenfalls seien seine Gedichte das Ergebnis seiner "Beobachtung der Welt, der Neuerungen und der Moden", sagte er. So nimmt er eher amüsiert den Gesundheitswahn aufs Korn ("Wenn ma' schon net älter werden, könn' ma wenigstens gsund sterben"), oder macht sich über Männer mit Zahnschmerzen und diversen sonstigen Leiden lustig. Bitterböse wird Schuierer dagegen, wenn er in kraftstrotzendem Bayerisch über Klugscheißer herzieht.

Martin Kimm lässt so manches seiner Gedichte wie sanfte Regenperlen ins Gehirn seiner Zuhörer tröpfeln, hat wunderbare Liebeserklärungen geschrieben, fängt Winterstimmungen wie ein zartes Pastellgemälde ein - und gibt seinen Träumen zärtliche Worte. Hans Kimm bringt die Vergänglichkeit von Herbst und Leben eindrücklich in Verbindung, ohne ins Pathetische abzugleiten und beschreibt hinreißend komisch die Attraktivität von Weichsel(-kirsche) für Mensch und Weps (Wespe). Enzo Amarotico verlängert locker Joachim Ringelnatz' hintersinnige Ballade vom "Arm Kräutchen" - dem Sauerampfer, der am Bahndamm dahin vegetiert - um und findet einen fast philosophischen Schluss. Er macht aus der gereimten Version von Mozarts "Entführung aus dem Serail" eine Parabel über die inzwischen fast verdrängten friedfertigen Seiten der Religion. Und lässt - Loriot und Ringelnatz lassen grüßen - einen peniblen Beamten den frisch verliehenen Orden - selbstverständlich vergeblich - in der Toilettenschüssel suchen.

Die Sorge der dichtenden Herren, das bunte Kaleidoskop von Dialekt und Hochdeutsch, Lustigem und Nachdenklichem, Feinsinnigem und Direktem, Versformen und -maßen komme beim Publikum nicht gut an, war übrigens völlig unbegründet. Gerade diese Mixtur machte den Reiz der Veranstaltung aus und führte zu der Überlegung, wie das Quartett bei einem der gerade angesagten Poetry Slams abschneiden würde. Die vorderen Plätze wären ihm sicher.

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