SZ-Adventskalender:"Das sind schlimme Existenzängste, wenn das Zuhause weg ist"

SZ-Adventskalender: Nur die wenigsten der von Wohnungslosigkeit betroffenen Menschen landen in einer Notunterkunft. Die Stadt Dachau nutzt dafür auch Wohngebäude am Kräutergarten der KZ-Gedenkstätte.

Nur die wenigsten der von Wohnungslosigkeit betroffenen Menschen landen in einer Notunterkunft. Die Stadt Dachau nutzt dafür auch Wohngebäude am Kräutergarten der KZ-Gedenkstätte.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

461 Menschen warten in der Stadt Dachau auf eine Sozialwohnung, 230 im Landkreis. Bezahlbare Wohnungen sind seit Jahren rar. Jetzt droht wegen der gestiegenen Baukosten sogar ein Rückgang im sozialen Wohnungsbau.

Von Alexandra Vettori, Dachau

Da ist die Frau, die nach der Trennung dringend eine günstige Wohnung braucht, da ist der Mann, der arbeitslos geworden ist und die Miete nicht mehr zahlen kann. Sandra Steinhardt von der Sozialberatung der Dachauer Caritas kennt viele solcher Fälle, Wohnen ist oft Thema bei Ratsuchenden, mindestens fünfmal im Monat, schätzt sie. Es kommen Menschen, die Räumungsklage schon in der Hand, und andere, denen gerade wegen Eigenbedarfs gekündigt worden ist. Und es kommen Rentner, denen die Miete zu hoch wird. "Ich arbeite seit 2018 in dem Bereich, und seither wurde es immer, immer schlimmer", sagt Steinhardt.

Über den Mangel an bezahlbarem Wohnraum im Großraum München wird seit Jahrzehnten geklagt. Obwohl ständig irgendwo neue Wohnblocks entstehen, bessert sich die Lage nicht. Denn die hohen Grundstückspreise sorgen dafür, dass zu viel in der falschen Preisklasse gebaut wird. Für alle mit eher unterdurchschnittlichem Einkommen bleiben die Hoffnung auf einen Glücksgriff im Altbausegment, Baugenossenschaften oder Sozialwohnungen. Bei Letzteren aber droht wegen massiv gestiegener Baukosten ein Einbruch. Laut Max Haberl, im Dachauer Rathaus Abteilungsleiter für Soziales, hat die städtische Baugesellschaft Stadtbau schon beim OB Alarm geschlagen: "Man weiß nicht, wie lange man sich bei den Preisen das Bauen noch leisten kann", sagt Haberl. Damit liegt Dachau auf einer Linie mit dem Geschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg: In einem Interview hatte er sich besorgt gezeigt, dass viele soziale Neubauprojekte wegen zu hoher Kosten auf Eis gelegt werden könnten.

Dass die Wohnungsnot zunimmt, ist statistisch belegt

Gleichzeitig steigt der Bedarf nach vergünstigtem Wohnraum, das kann Max Haberl sogar statistisch belegen. Setzt man die Einwohnerzahl in Relation zur Rate der Wohnungslosen, ergibt sich ein Wert. Der lag in Dachau vor zwölf Jahren bei 0,11 Prozent. Inzwischen sind es 0,26. Zum Vergleich nennt Haberl den Münchner Wert, der liegt bei 0,51. "Der Prozentsatz hat sich jedenfalls auch bei uns um einen geringen Wert hinter dem Komma erhöht, bei gleichzeitigem Bevölkerungswachstum. Die Tendenz geht nach oben, und das ist auch so wahrnehmbar", sagt er.

Dabei schaut es in Dachau vergleichsweise gut aus, die Stadt ist seit vielen Jahren rührig beim Bau günstiger Wohnungen. 1476 Sozialwohnungen gibt es mit verschiedenen Formen von Mietpreis- und Belegungsbindung. Gerade sind 19 neue am Amperweg dazu gekommen, errichtet von der Stadtbau. Und dennoch ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein: Aktuell stehen 461 Menschen mit Wohnberechtigungsscheinen auf der Dachauer Warteliste. Bis man zum Zug kommt, dauert es Jahre. "Je größer die Wohnung desto länger die Wartezeit", bringt es Haberl auf einen einfachen Nenner.

Im Landkreis warten 230 Haushalte auf eine Sozialwohnung

Neben der Dachauer Stadtbau gibt es seit 1981 die Wohnungsbaugesellschaft des Landkreises. Derzeit vermietet sie 492 Wohnungen in diversen Gemeinden, 316 davon sind Sozialwohnungen. Acht Wohnungen in Karlsfeld werden im Herbst 2023 bezugsfertig. Auch Stefan Reith, Geschäftsführer der Landkreis-Wohnungsbaugesellschaft, sieht ein großes Problem in den hohen Baukosten, ein noch größeres aber in den stark gestiegenen Bauzinsen. Das führe dazu, "dass wir weniger Wohnungen bauen können, als noch in 2021 geplant". Er wünscht sich zinsgünstige Darlehen der Regierung für sozialen Wohnungsbau. Denn gleichzeitig könnten immer breitere Schichten der Bevölkerung die steigenden Mieten, Neben- und Lebenshaltungskosten kaum mehr stemmen.

Berechtigt für eine Sozialwohnung ist in Bayern, wer als Alleinstehender maximal 22 600 Euro netto im Jahr verdient, als Zwei-Personen-Haushalt 34 500 Euro. Für jedes anrechenbare Kind kommen 2500 Euro im Jahr dazu. Wer noch weniger hat, genießt höhere Priorität. Für die Bewilligung der Anträge ist das Landratsamt zuständig, in der Großen Kreisstadt Dachau das Rathaus. Auch auf die Sozialwohnungen im Landkreis müssen Berechtigte jahrelang warten. Heuer sind bislang 230 Anträge gestellt worden, nur 2018 waren es mit 242 Anträgen mehr. Allerdings geht Amtssprecherin Sina Török davon aus, dass sich in Pandemiezeiten Betroffene seltener meldeten.

Die meisten von Wohnungslosigkeit Bedrohten tauchen nicht in den Notunterkünften auf, zu deren Vorhaltung die Kommunen verpflichtet sind. Man kommt bei Freunden oder Verwandten unter, eigentlich getrennte Paare leben weiter im gleichen Haushalt, Sandra Steinhardt von der Caritas kennt die unterschiedlichsten Überbrückungs-Modelle. Die psychische Belastung ist trotzdem enorm, weiß sie: "Das sind schlimme Existenzängste, wenn das Zuhause weg ist."

Gut 60 Prozent der Dachauer Notunterkünfte sind belegt

97 Plätze für wohnungslose Menschen hat Dachau, Wohnungen und Gemeinschaftsunterkünfte, ein Haus für Alleinerziehende. Laut Haberl sind momentan 60 Plätze belegt. "Wir sind sehr glücklich dass wir nicht voll sind, aber das ist ein volatiles Geschäft", sagt er, die Lage kann sich täglich ändern. In den beiden größeren Unterkünften bringe die Stadt eher Alleinstehende unter, die Familien lieber dezentral in Wohnungen. "Das fällt nicht groß auf, und so soll das auch sein, damit keine Stigmatisierung stattfindet", so Haberl.

Was nicht eben zur Entspannung der Lage beiträgt, ist die Tatsache, dass, wer einmal eine Sozialwohnung ergattert hat, dort nicht mehr ausziehen muss. Auch nicht, wenn er oder sie inzwischen mehr verdient. "Das wird nicht mehr überprüft", erklärt Max Haberl. "Früher gab es eine so genannte Fehlbeleger-Abgabe, die bei gestiegenem Verdienst gezahlt werden musste, aber die ist vor ein paar Jahren abgeschafft worden."

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