Süddeutsche Zeitung

Neubaupläne der Dachauer Stadtbau GmbH:Angst vor dem Rausschmiss

Lesezeit: 3 min

Die Häuser an der Fünfkirchner Straße sollen abgerissen werden. Darüber hat die Stadtbau GmbH die 66 Mieter bereits informiert. In einem offenen Brief wehren sie sich gegen das Vorhaben. OB Hartmann beruhigt.

Von Thomas Altvater, Dachau

Ungefähr vier Wochen dürfte es jetzt her sein, so erinnert sich Thomas Heckenstaller, dass er vom Verlust seiner Wohnung erfahren hat. Er lebt in einem der insgesamt drei Wohnblöcke an der Fünfkirchner Straße, die der gemeinnützigen Stadtbau GmbH gehören und die "dem Erdboden gleichgemacht" werden sollen, wie er sagt. So stand es in einem Infobrief, den Heckenstaller zur gleichen Zeit mit den übrigen Mietern der 65 weiteren Sozialwohnungen zugestellt bekommen hat. "Ich und viele der Mieter sind da aus allen Wolken gefallen", sagt er am Telefon. Sie seien vor "vollendete Tatsachen" gestellt worden, "und das geht doch nicht". Heckenstaller will sich gegen den Abriss wehren und hat deshalb einen offenen Brief an die Stadtbau GmbH sowie die Stadt Dachau geschickt.

"Nur rumzusitzen, das ist nicht meine Art", sagt Heckenstaller am Telefon. Der 85-Jährige war einst Mitglied des Dachauer Stadtrats, gründete den Dachauer Mieterverein und ist heute dessen Ehrenvorsitzender. Jahrelang setzte er sich für die Belange der Dachauer Mieter ein, doch diesmal ist er selbst betroffen. "Seit 1994 wohne ich hier", sagt er. Viele seiner Nachbarn hätten ihn gebeten, sich der Sache anzunehmen. "Darum wollte ich das selbst in die Hand nehmen."

Das Bauvorhaben, um das es hier geht, haben die Stadträte in der Sitzung des Ferienausschusses Ende Februar auf Antrag der Stadtbau GmbH einstimmig beschlossen. Ausgedruckt auf insgesamt 24 Seiten erklärte die GmbH ihr komplexes Vorhaben: So sollen zunächst die Garagenhäuser auf dem Vorplatz verschwinden, an deren Stelle rückt eine Tiefgarage sowie drei fünfstöckige Punkthäuser, die neuen Wohnraum schaffen sollen. Sind diese fertiggestellt, ziehen die Mieter des ersten Wohnhauses dort ein, während das leer gewordene Haus abgerissen und als vierstöckiger Block neu hochgezogen wird. Insgesamt vier Bauabschnitte sind vorgesehen, um die drei alten Wohnhäuser aus den 1960er-Jahren abzureißen und neu aufzubauen. So will die Stadtbau GmbH aus insgesamt 66 ungefähr 120 barrierefreie Sozialwohnungen schaffen.

Thomas Heckenstaller ist empört über dieses Vorhaben. "Der Wahnsinn nimmt seinen Lauf", schreibt er im letzten Satz seines offenen Briefs, dem sich mehr als Dreiviertel der Mieter angeschlossen hätten, wie er sagt. Er kritisiert vor allem, dass noch zu viele Fragen offen seien, die Stadt und die Stadtbau GmbH bisher zu wenig mit den Mietern gesprochen hätten. "Es ist alles nicht geklärt", sagt er. "Wir brauchen Sicherheit, die Mieter wollen einfach wissen, wo es lang geht."

Die große Frage, die ihn umtreibt, ist, ob alle bisherigen Mieter in den Neubauten unterkommen können. So müsse die Stadtbau GmbH zunächst einmal allen kündigen, sagt Heckenstaller. "Und dann müssen wir erneut einen Antrag auf eine Wohnung stellen, dabei ist es überhaupt nicht sicher, ob wir wieder einen Anspruch auf eine Sozialwohnung haben." Auch befürchtet er, dass die Mieten wegen des teuren Bauvorhabens erheblich steigen könnten.

Ein weiteres zentrales Problem ist für Heckenstaller das hohe Alter vieler Bewohner. Wer solle sich denn um die Umzüge in die neuen Wohnungen kümmern, "und wer bezahlt die Umzüge?", fragt er. "Dass man 80- bis 90-Jährige versetzen will, die da seit einem halben Jahrhundert wohnen, das versteht keiner." Dennoch betont der Ehrenvorsitzende des Mietervereins, dass er nicht gegen den sozialen Wohnungsbau an sich sei. Er fordert stattdessen eine andere, für ihn verträglicher erscheinende Lösung: die Aufstockung der bestehenden Wohnblöcke.

Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD), an den der offene Brief adressiert war, antwortete Heckenstaller inzwischen. Auf zwei DIN-A4-Seiten versucht der OB, das Vorhaben zu erklären und stellt zunächst klar: "Ihre Befürchtung, dass die Miete sich erheblich erhöhen wird, kann ich Ihnen nehmen." Er gehe sogar vom Gegenteil aus: Im Einzelfall könne es für die Mieter sogar günstiger werden, schreibt er. Zudem könnten ältere Leute in den barrierefreien Wohnungen länger wohnen bleiben, als dies jetzt ohne Aufzüge der Fall sei. Ein Aufbau, wie Heckenstaller ihn fordert, sei aus brandschutztechnischen Gründen nicht umsetzbar und wäre zudem genauso teuer wie ein Neubau, erklärt Hartmann.

Auch der Befürchtung Heckenstallers, dass viele Mieter ihre Wohnungen verlieren könnten, tritt er entgegen: "Ich kann Ihnen versichern, dass jeder der 66 Parteien in den drei Gebäuden ein adäquates Angebot von uns erhalten wird - und zwar in der unmittelbaren Nachbarschaft in der gewohnten Umgebung." Und durch die vielen zusätzlichen Wohnungen könne man auch Bürgern ein günstiges Mietangebot machen, die hierauf "teilweise schon seit Jahren" warten.

Für die Stadtbau GmbH und deren Geschäftsführer Hendrik Röttgermann dürfte das Bauvorhaben ein Glücksfall sein. Als "einzigartig" bezeichnet er die Situation, denn der Stadt gehört das Grundstück. Zudem ermöglichten die umliegenden Freiflächen eine Aufstockung der Gebäude. "Auch sind die Grünflächen außen herum sehr wertvoll und sollen weitgehend erhalten bleiben", sagt er. Dass durch die vielen neuen Wohnungen auf der gleichen Fläche der Wohnfrieden gestört werden wird, das sieht Röttgermann nicht. "Hier ist es noch maßvoll", sagt er.

Doch bis die ersten Bagger anrollen und die ersten Mieter umsiedeln müssen, wird noch einige Zeit vergehen. Erst müsse eine Änderung des Bebauungsplans vom Stadtrat beschlossen werden, sagt Röttgermann. Das werde mit Sicherheit bis zu zwei Jahre dauern.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5309738
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 02.06.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.