Dachau:"Wohnst du schon, oder pendelst du noch?"

Professor Mark Michaeli plädiert für eine offene Diskussion über eine qualitätsvolle Ortsentwicklung, in die alle eingebunden sein sollten, nicht nur Senioren. Er empfiehlt, etwa die Jugend dort abzuholen, wo sie sich tummelt und miteinzubeziehen

Von Wolfgang Eitler

Seit 2010 ist Mark Michaeli Professor für Nachhaltige Entwicklung von Stadt und Land. Der 45-Jährige Architekt hat an der Technischen Universität München das Entwurfslabor gegründet, in dem er mit Experten und Studenten neue Wege der Planung aufzeigen will. Denn seiner Ansicht nach greifen die Instrumente des Baurechts nicht mehr. Es wäre wichtiger, die Menschen in einen kontinuierlichen Planungsprozess einzubinden. Dafür hat er im Gespräch mit der SZ eindrucksvolle Beispiele parat. Mark Michaeli hatte auch einen Vortrag bei den Arnbacher Gesprächen der Landesvolkshochschule am Petersberg gehalten. Die Reihe setzt Pastoralreferentin Elisabeth Simon fort und beschäftigt sich mit der Rolle der Kirche im Ballungsraum fort: Dienstag, 7. März, 19.30 Uhr, im Pfarrhaus von Arnbach.

SZ: Herr Michaeli, sind Sie ein Romantiker?

Mark Michaeli: Ich habe eine Vorstellung, wie ein Lebensumfeld aussieht, in dem ich mich wohlfühle. Also wenn romantisch bedeutet, dass man ein Wohlgefühl beim Wohnen haben will, man daher Wert auf lebenswerte und schätzenswerte Umgebungsgestaltung legt, dann bin ich ein Romantiker.

Es klingt fast romantisch, wenn Sie davon schwärmen, dass Bürger, Bürgermeister und Bevölkerung sich einer Diskussion über die Qualität des Bauens öffnen sollen und müssen. Glauben Sie wirklich an einen so offenen Dialog?

Ich glaube fest daran. Es gibt genügend Beispiele dafür. Schauen Sie nach Zwischenwasser im Vorarlberg oder Langenegg im Bregenzerwald in Österreich, an Orte in Südtirol, Luxemburg, Finnland oder in der Schweiz. Dort haben die Gemeinden darüber diskutiert, welchen Wert die sorgsame Gestaltung der Umwelt für sie hat. Da ist die Wertschätzung für Qualität langsam gewachsen. Allerdings ist das ein Prozess, den man nicht verordnen kann. Und er funktioniert schon gar nicht über irgendwelche allzu stark formalisierten Prozesse, in denen man die Bevölkerung kaum oder nur zu kleinen Teilen in ihren Anliegen erreichen kann. Der Bürgermeister von Zwischenwasser würde ihnen sagen, dass man zusammen feiern muss.

Erklären Sie doch bitte die Qualitätsfindung an einem Beispiel.

In den Gemeinden im Bregenzerwald haben sie darüber gesprochen, heimische Baumaterialien zu verwenden, mit dem Effekt, dass der wirtschaftliche Mehrwert vor Ort bleibt. Dann hat der Waldbetreiber kein Problem, sein Holz los zu werden. Der Sägewerksbesitzer und ortsansässige Handwerker haben Aufträge und sichern damit Arbeitsplätze, Wissen und Fähigkeiten. Man wirkt so auf vielen Ebenen gegen eine "Verarmung" des Lebensumfeldes, wie sie andernorts häufig beklagt wird. Man hat dort auch überlegt, ob es sinnvoller ist, die Infrastruktur beliebig weit in die Fläche hinaus auszudehnen oder lieber den Bus alle halbe Stunden fahren zu lassen und damit die Ortsmitten wiederzubeleben. So hat man gemeinschaftliche Ziele diskutiert und vereinbart, über deren Vor- und Nachteile. Und viele zum Mitmachen gewonnen. Und für dieses Erklären muss Offenheit und Zeit da sein.

Dachau: In Erdweg monieren viele Bürger die Verwahrlosung des Innenraums ihrer Ortschaft.

In Erdweg monieren viele Bürger die Verwahrlosung des Innenraums ihrer Ortschaft.

(Foto: Toni Heigl)

Zu den üblichen Formen und formalistischen Vorgaben einer Bürgerbeteiligung beim Leitbild "Dorf und Metropole" des Landkreises Dachau kamen immer nur dieselben Bürger, meist im Rentenalter.

Die typischen Formate der Bürgerbeteiligung sprechen ältere Menschen an. Für jüngere sind sie meist nicht sexy. Die nutzen ganz andere Kommunikationsarten, obwohl sie durchaus Interesse am Thema zeigen. In Tettau in Oberfranken haben wir versucht, das Medium über provokative Sprüche und Online-Feedbacks zu ändern. Das hat funktioniert. Dort haben wir eine Studie gemacht, ob es Mietwohnungsbau für junge Leute braucht. Wir haben gefragt: "Wohnst du schon, oder pendelst du noch?" Plötzlich haben viele geantwortet, die wir sonst kaum erreichen.

Sie fordern also von der Politik, sie soll nicht warten, bis junge Leute auf sie zukommen? Sie soll zu ihnen gehen?

Ich bin sehr dafür, dass man die Leute dort anspricht, wo sie eh hingehen. Dadurch baut man Hemmschwellen und Vorurteile ab. Mit meinen Studierenden in der Schweiz haben wir in einem Projekt ein Ortsjubiläum und ein dazu gehöriges Volksfest dazu genutzt, um all die Fragen nach städteplanerischer Qualität zu stellen. Das Signal kam an: Die Entwicklung des Ortes ist ein Thema für alle.

Unabhängig davon, wie man Qualitätsfragen optimal kommuniziert, sind doch die Kriterien dafür entscheidend.

Es geht schon um das Wohlfühlen im eigenen Lebensumfeld und dessen stetiger Veränderung. Einige zentrale Fragen sind: Entsteht über die Tatsache hinaus, dass ein Investor Wohnungen baut, etwas für die Gemeinschaft? Entsteht beispielsweise im Zuge eines neuen Verwaltungsgebäudes eine Parkanlage, die Nutzbarkeit und Qualität des Umfeldes wirklich erhöht? Eine solch offene Diskussion nimmt Ängste vor der auch notwendigen Veränderung. In vielen Fällen fehlt es zudem an Wissen über die Qualität des eigenen Orts und durch welche Projekte sie wirklich erreicht wird. Man operiert viel über Vorurteile oder auch Wunschbilder, die vor Ort wenig passgenau sind. Nach dem Motto: Ich weiß doch, wie es gemacht wird, es funktioniert überall gleich. Beispiel Fußgängerzone. Keine funktioniert im ländlichen Raum. Aber wenn irgendwo zu viele Autos fahren und parken, wird eine gefordert. Ähnliches gilt für Fragen der Nahversorgung oder Effekte von Umfahrungsstraßen.

Und was sagen Fachleute wie Sie?

Das Volkswissen ist hier ein anderes, als das, was Planer raten würden. Wir können den Prozess einer Qualitätsdebatte nur vorantreiben, indem die Bevölkerung die Planer ernst nimmt, sie anhört und auch ihre Zweifel anmeldet. Und anders herum müssen die Planer auch hingehen und mit der Bevölkerung sprechen, sie einbinden, erklären. Und genau das passiert in diesen formalisierten Bürgerbeteiligungsprozessen nicht oder zu spät. Da ist der Planer oder Beauftragte der jeweiligen Kommune in seinen Möglichkeiten eng begrenzt. Einen Ausweg bieten nur selbst angeschobene, freiwillige und andauernde Prozesse, wie in Österreich beobachtet.

Mark Michaeli bei SZ Forum "Wohnen, Wachstum, Zukunft", 2011

Der Städteplaner und Experte für den ländlichen Raum, Mark Michaeli von der TU-München hätte Lösungswege parat, wie sein Entwurfslabor.

(Foto: Stephan Rumpf)

In Schwabhausen hat der Gemeinderat beschlossen, dass die Volksbank in der Ortsmitte auf 3300 Quadratmetern einen Baukörper mit 2900 Quadratmetern Wohn- und Geschäftsfläche bauen kann. Ein Teil der Bevölkerung ist dagegen. Was hätte passieren müssen?

Meine Erfahrung zeigt, dass, wenn man sich in einem solchen Fall nicht die Zeit nimmt, den Plan vorab zu erklären, jede weitere Diskussion im Planungsprozess zu spät kommt. Die Fronten verhärten sich. Die einen wollen den Plan durchziehen. Die anderen wollen erreichen, dass alles so aussieht wie schon immer.

Ist dieses Gefühl so abwegig?

Nein. Allerdings steht ein solcher Wunsch heutzutage häufig außerhalb aller Möglichkeiten. Wir haben ja ständig sich verändernde und mehrende Anforderungen an das Umfeld. Viele davon sind auch wertvolle Errungenschaften. Im Resultat kann man Altbauzentren wie früher gar nicht mehr bauen. Das gibt das Baurecht gar nicht mehr her. Wenn es brennt, muss die Feuerwehr hinfahren können. Der Wohnraum muss bezahlbar sein. Der Lebensmittelladen soll eine große Produktauswahl bereithalten und überall sollen Parkplätze bereitgehalten werden. All diese Ansprüche bestimmen dann den Wandel der Ortsbilder. Allerdings ohne dass wir mit genügend Sorgfalt die Qualität im Wandlungsprozess eingefordert haben. Und als Reaktion hierauf geraten wir nun in eigentümliche Debatten von gestern, in volkstümliche und nostalgische Diskussionen, dass halt alles schön sein muss wie das alte Haus am Maibaum.

Jetzt zur Qualitätsdebatte.

Wenn eine Gemeinde weiß, dass sie sich in der Zukunft mittelfristig mit solchen Fragen auseinandersetzen muss, dann sollte sie sich rechtzeitig selber kennen lernen, Ideen zusammentragen und diskutieren. Die Entdeckungsreise sollte mit der Bevölkerung gemeinsam unternommen werden. Dann weiß man nachher am meisten. Das kann spielerisch laufen, wie in einer Art Kartierung: Wo sind die Potenziale, was macht unseren Ort aus?

Schwabhausen hätte beginnen müssen, mit der Bevölkerung zu reden, als der Wunsch der Volksbank erstmals vorlag.

Genau. In einem solchen Prozess, der lustigerweise auch mal schnell produktiv und kreativ wird, kann man rechtzeitig auch Varianten diskutieren. Das übliche Verfahren sieht jedoch so aus: Irgendwann überrascht jemand die Gemeinde mit einem Projekt, und dann muss es sehr schnell gehen. Für das Entdecken und Erarbeiten von Gemeinsamem bleibt da wenig Luft. Diese Vorgehensweise ist gerade im ländlichen Raum absolut unproduktiv. Und wenn die Gemeindeseite dann sagen würde, man könne mit den Bürgern außerhalb der üblichen Genehmigungsverfahren über den konkreten Fall nicht reden, dann müsste man ihr vorhalten: Ihr habt die Redekultur nicht genügend gepflegt.

Dachau: Die Bürger schauen hilflos zu und ärgern sich.

Die Bürger schauen hilflos zu und ärgern sich.

(Foto: Toni Heigl)

Wie im oberfränkischen Tettau hätte die Politik sich an die Bürger mit dem Slogan wenden sollen: Schwabhausen muss städtischer werden?

Ob man schon mit dem Angstbegriff kommen muss, dass Schwabhausen städtischer werden muss, ist fraglich. Man muss die Menschen bei ihren alltäglichen Befindlichkeiten packen. Und dann in einer ersten Diskussion offen besprechen, dass die Vermutung besteht, dass Schwabhausen städtischer werden müsste. Wenn man einen solchen Slogan auf ein Plakat schreiben würde, entsteht in einer öffentlichen Veranstaltung gerne eine dieser seltsamen Diskussionen, die aus sich selbst bestätigenden Teilöffentlichkeiten besteht.

Die Frage wäre also: Wie stellen wir uns die Ortsmitte in Schwabhausen vor?

Ja, genau. Was ist unsere Vorstellung von einem guten Leben in Schwabhausen? Oder: Wir entwerfen unser gutes Leben! Auch: Lasst uns ein gutes Leben machen! Und dann müssten alle Seiten offen sein für einen Moderator, der Erfahrung hat. Denn es kommen gute Ideen, aber auch abwegige. Das gehört zu diesem Findungsprozess. Es sollte niemand ausgebuht werden, wenn er eine abwegige Idee hat. Manchmal muss man ganz neue Wege gehen. In Wallersdorf in Niederbayern, wo sich BMW angesiedelt hat, haben wir Grundschüler in die Abschlussausstellung eingeladen. Die Kinder haben ihre Idee gemalt, wie sie sich ihren Ort vorstellen.

Aber was bringt das?

Diese Kinder haben sich mit solchen Fragen überhaupt schon mal auseinander gesetzt. Das zündet vielleicht in x Jahren. Kommunalpolitik muss sich von der Logik wegbewegen, dass alles immer eine sofortige Wirkung haben muss. Diese Erwartung ist in der Kommunalpolitik extrem, wegen der Besorgnis der Mandatsträger: Wenn ich jetzt nicht irgendwas auf die Wiese setze, dann werde ich nicht wiedergewählt. Es geht um mehr: Eine langfristig angelegte Kultur des Weiterbauens.

Jetzt kommen wir auf einen Ihrer zentralen Begriffe: die "Mengendebatte".

Dem Siedlungsdruck in der Region München kann sich zwar niemand entziehen. Aber man sollte ihm nicht kampflos nachgeben. Wir müssen aber aktiv anmelden, dass wir diesen Druck gestalten wollen und nicht nur Baugrund ausweisen, um möglichst viele Wohnungen in kurzer Zeit zu errichten. Gestalten heißt fragen: Wie kriegen wir das qualitätsvoll hin? Anders gesagt. Wenn wir uns dem Wandel nicht entziehen können, dann schaffen wir ihn so, dass wir ihn zu schätzen wissen und zu unseren Gunsten nutzen können.

Diese Vorstellung ist romantisch.

Ich gebe da nicht so schnell auf. Es geht um einen schwierigen Prozess, in dem die öffentlichen Planungsinstitutionen, die Experten und die Bürger wirklich wieder zusammenfinden müssen. Denn sie haben sich in der Vergangenheit weit auseinander gelebt. Wie man an den Beispielen sehen kann, lohnt sich dieser Schritt aber.

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