Süddeutsche Zeitung

Landkreis Dachau:"Die Hilfe wird nicht so schnell ankommen, wie es sein müsste"

Lesezeit: 3 min

Wegen der Energiekrise und steigender Preise erkundigen sich immer mehr Menschen bei den Dachauer Sozialverbänden nach finanziellen Hilfen. Beim Landratsamt rechnet man mit einer Flut von Anträgen und will deshalb Personal aufstocken.

Von Alexandra Vettori, Dachau

Noch kann keiner sagen, wie groß die soziale Not wirklich wird, wenn sich die hohen Energiepreise weiter auf die Geldbeutel auswirken. Spätestens im ersten Quartal nächsten Jahres werden Heizkostennachzahlungen kommen. Wen es besonders trifft, weiß man aber schon: Einkommensschwache Menschen, Rentner und Arbeitende im Niedriglohnsektor. Wer von Arbeitslosengeld oder Hartz IV lebt - im Landkreis Dachau sind das derzeit 1600 Menschen zwischen 15 und 65 Jahren und 660 Kinder unter 15 Jahren - leidet zwar auch unter gestiegenen Preisen, bekommt aber wenigstens die Heizung bezahlt. Die Angst geht um, das spüren auch die Sozialverbände in Dachau, dort nimmt die Zahl der Anfragen und Ratsuchenden zu.

Beim Sozialverband VdK im Landkreis Dachau mit seinen über 7700 Mitgliedern geht es in den Beratungsstunden längst nicht mehr nur um Fragen zu Rente und Pflege, wie VdK-Kreisvorsitzender Walter Wüst berichtet: "Wir haben 70 bis 80 Beratungen pro Woche. Früher spielten bei ungefähr 20 Prozent finanzielle Probleme eine Rolle, jetzt ist es die Hälfte." Viele Menschen hätten Angst vor den drohenden Heiz- und Stromkosten, die mit den nächsten Abschlagszahlungen auf sie zukommen. Zum Beispiel diejenigen, die eine Erwerbsminderungsrente erhalten. Auch Sandra Steinhardt von der Allgemeinen Sozialen Beratung der Caritas beobachtet, dass immer mehr Menschen mit den steigenden Preisen kämpfen. Bis jetzt gehe es meist um die Lebensmittelpreise, die hohen Energiekosten würden wohl im ersten Quartal 2023 durchschlagen.

620 einkommensschwache Haushalte im Landkreis beziehen derzeit Wohngeld

Das neue Entlastungspaket soll die Lage entschärfen - um dessen Finanzierung und genaue Ausgestaltung streiten derzeit Bund und Länder: In dem Paket sind neben Energiepreispauschalen im Dezember von 200 Euro für Studenten und Azubis und 300 Euro für Rentner auch langfristige Reformen von Kinder- und vor allem Wohngeld zum 1. Januar 2023 geplant. Mehr Leute sollen mehr Geld bekommen, die monatliche Einkommensgrenze wird deutlich erhöht. Deutschlandweit beziehen derzeit 600 000 Haushalte Wohngeld, nach der Ausweitung des Berechtigtenkreises rechnet man mit zwei Millionen. Im Landkreis Dachau sind es laut Landratsamt aktuell 598 Fälle, wozu noch 22 Lastenzuschussfälle kommen. Letztere sind Eigentümer einer Immobilie, die wegen ihres geringen Einkommens einen Zuschuss zum Hausunterhalt bekommen. Von Fällen ist deshalb die Rede, weil Wohngeld-Berechtigte als solche erfasst werden, dahinter kann eine Familie, eine Einzelperson oder ein Paar stehen.

Ob und inwiefern diese Fälle im Landkreis nach der geplanten Reform zunehmen, könne man erst nächstes Jahr sagen, so Landratsamt-Sprecherin Sina Török. "Jedoch bemerken wir schon jetzt die Antragszunahme, da viele den zweiten Heizkostenzuschuss noch erhalten möchten, beziehungsweise es zumindest versuchen." Dieser zweite Heizkostenzuschuss ist ebenfalls Teil des dritten Entlastungspakets und sieht noch heuer für Wohngeldbezieher Einmalzahlungen in Höhe von 415 Euro für Singles, 540 Euro für Paare und 100 Euro für jede weitere Person im Haushalt vor. Sandra Steinhardt von der Dachauer Caritas befürchtet, "das Geld wird ausgegeben sein, wenn die Nachzahlungen kommen".

Probleme könnte es mit der rechtzeitigen Auszahlung des neuen Wohngeldes geben

Beim Wohngeld anzusetzen hält Steinhardt langfristig für absolut richtig: "Weil Menschen, die in Wohngeld-Bezug sind, auch andere Leistungen bekommen", zum Beispiel einen Kindergeldzuschlag und sie fügt hinzu: "Wenn mehr Menschen Wohngeld bekommen, bekommen mehr Menschen Hilfe." Auch Walter Wüst vom Dachauer VdK sieht die Neuerungen beim Wohngeld als "einen Schritt in die richtige Richtung". Ob das ausreiche, könne man aber noch nicht sagen.

Auf jeden Fall befürchtet Wüst ein Problem, was die rechtzeitige Auszahlung des neuen Wohngelds anbelangt, also rechtzeitig für die Abschlagszahlungen im ersten Quartal 2023. "Die Hilfe wird nicht so schnell ankommen, wie es sein müsste. Das ist absolut kein Vorwurf an das Landratsamt, die tun, was sie können. Aber die Bearbeitung der Anträge dauert schon jetzt einige Zeit. Wenn es dann noch viel mehr werden, wird es noch länger dauern."

Dieses Umstands ist man sich auch im Landratsamt bewusst: "Wir haben neue Stellen beantragt, da der erwartete Antragseingang mit dem derzeitigen Personal nicht zu bewältigen ist", sagt Amtssprecherin Sina Török. Die Berechnung von Wohngeld sei komplex und vergleichbar mit dem Aufwand einer Grundsicherungsbewilligung. So müssen nicht nur die Einkünfte ermittelt und geprüft werden, sondern man müsse auch im Auge behalten, welche Leistungen zusätzlich beantragt werden könnten und ob der Klient oder die Klientin nicht doch zum Jobcenter müsse, um ALG II, also Grundsicherung, zu beantragen.

Eine weitere Herausforderung für das Sozialamt komme hinzu: Durch die Erhöhung der Einkommensgrenzen und des Wohngeldes wird auch für Bezieher aus anderen Rechtskreisen der Antrag auf Wohngeld wieder vorrangig, etwa Beziehern von Grundsicherung, die dann Bürgergeld bekommen sollen. Vorarbeiten könne die Behörde aber noch nicht, bedauert Török, denn "die Einführung des Bürgergeldes fällt mit der Wohngeldreform zusammen und bei beiden ist noch nicht klar, wann sie endgültig verabschiedet werden".

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