SZ-Benefizkonzert:Thomas Manns Auferstehung

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Hans Pleschinski, Kai Wessel und Ulrich Wedemeier machen das Benefizkonzert zugunsten des Adventskalenders für gute Werke zu einem außergewöhnlichen Ereignis.

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Ein Erfolgsautor, ein Countertenor und ein Lautenist. Das ist eine nicht alltägliche Besetzung für ein Trio. Hans Pleschinski, Kai Wessel und Ulrich Wedemeier zeigen am Dienstagabend im Thoma-Haus, wie gut so eine Konstellation zusammenpasst. Sie machen das alljährliche Benefizkonzert der SZ Dachau zugunsten des Adventskalenders für gute Werke zu einem außergewöhnlichen Ereignis für Literaturfreunde, für Fans alter und neuer Musik. Pleschinski liest, nein spielt zwei Kapitel aus seinem Bestseller "Königsallee" sowie eine Geschichte aus seinem Erzählband "Verbot der Nüchternheit". Wedemaiers Finger tänzeln auf der Theorbe, einem Lauteninstrument. Countertenor Wessel jongliert mit seinen Tönen bis in unglaubliche Höhen.

Und das Publikum? War überrascht, gebannt und schüttelte manchmal ungläubig den Kopf ob der phänomenalen Leistung der drei Männer. Dass sie sich schon lange kennen, durch Literatur und Musik eng miteinander verbunden sind, war vom ersten Wort, vom ersten Ton an zu hören und zu spüren. So klang ein Liebeslied von John Dowland aus dem elisabethanischen Zeitalter fast wie eine Liebeserklärung an Thomas Mann - und zeigte, wie wunderbar Musik und Literatur über Zeiten und Genres hinweg harmonieren.

Hintergründiger Humor

Pleschinski sitzt dabei so entspannt am Tisch, als wollte er gleich mit guten Freunden das Verbot der Nüchternheit umgehen und über seine Schriftstellerkollegen ratschen. Tut er aber nicht. Er zeichnet vielmehr ein akribisch recherchiertes, in oft nüchterne Sprache gegossenes, von Respekt, aber auch von hintergründigem Humor getragenes Bild von Thomas Mann, seiner Frau Katia und der Tochter Erika - und dem Jahr 1954, als schon eine Ahnung von Wirtschaftswunder erfolgreich die Erinnerung an den Naziterror verdrängte.

Hohe Kunst: Sänger Kai Wessel. (Foto: Toni Heigl)

Der fast achtzigjährige Dichter kommt zur Lesung seines jüngsten Romans "Felix Krull" nach Düsseldorf ins Nobelhotel Breidenbacher Hof. Dessen Mitarbeiter fühlen sich dem großen Namen ebenso verpflichtet wie die versammelten Düsseldorfer Honorationen. Es ist hinreißend, wie Pleschinski die einzelnen Charaktere zeichnet, ihnen mit seiner Stimme Leben und Sprache gibt. Dem servilen Hoteldirektor, dem souveränen Empfangschef, dem Hotelpagen, dem (noch) in Ehrfurcht erstarrten Oberbürgermeister, dem Magistrat nebst salbaderndem Kulturdezernenten, emotional überforderter Baurätin und natürlich der Familie Mann. Köstlich, welche Gedankenfetzen den ehrpusseligen Stadtoberen angesichts Erika Manns Outfit durch den Kopf schießen: "Sie trug einen Ho - sen - an - zug" betont Pleschinski jede einzelne Silbe. Ein Skandal im Jahr 1954 - fast so groß wie das unkonventionelle Leben Erikas, die bekanntlich unter anderem kurzzeitig mit Düsseldorfs "Primadonna assoluta", Gustav Gründgens, verheiratet war und auch das weibliche Geschlecht nicht verschmähte.

Blick hinter die Fassade

Doch das alles spielt vordergründig keine Rolle, weil ja er da ist, "Galionsfigur des Guten, Wahren und Schönen . . . förderlicher Beunruhiger, Wohlseinsstundenschenker . . ." Der so in überirdische Gefilde Erhobene hat allerdings einen Makel: Thomas Mann hat eine Erkältung erwischt, kann nicht sprechen. Und schon kippt die Stimmung. Der gottgleiche Besucher, der an die Stadt am Rhein privateste Erinnerungen hat, mutiert in den Augen der Stadtoberen sogleich zum eitlen Fatzke, zum dahergelaufenen Gernegroß, ja zum Feigling, weil er das Exil dem Untergang vorgezogen hat.

Nicht nur optisch eindrucksvoll: Ulrich Wedemeier an der Theorbe. (Foto: Toni Heigl)

Pleschinski macht diese Schwingungen spürbar, erlebbar. Und blickt hinter die Fassade. Katias fest geknotete Perlenkette, Thomas Manns nachdenklich-entrückter Blick haben plötzlich ein Leben jenseits des Selbstmarketings. Dass Thomas Mann doch noch seine Stimme, das Wohlwollen der Düsseldorfer - und seine große Liebe Klaus Heuser wiederfindet - und wie sich alles entwickelt, sollte man "Königsallee" lesend genießen und Pleschinskis Stimme im Ohr haben.

Röstbrot Havanna

Oder die Theorbenklänge von Lautenist Wedemeier. Der erweist sich nicht nur als kongenialer Begleiter von Sänger Wessel, sondern als hervorragender Solist. So bleibt sein Präludium in c-moll von Johann Sebastian Bach ebenso im Ohr wie Wessels Stimme. Lieder von John Dowland und Henry Purcell singt der Countertenor mit inniger Süße. Mauricio Kagels 2003 entstandenes Werk "Der Turmbau zu Babel" erklingt mit geradezu alttestamentarischer Wucht und Strenge. Adventliches nebst jubelndem "Hallelujah" schlägt den Bogen zu Pleschinskis herzerfrischender Geschichte vom alljährlichen Paketversand an die lieben Verwandten in der längst verschwundenen DDR, dem logistischen Aufwand, der mit dieser Prozedur verbunden war und der Erkenntnis, dass der in den Siebzigern unverzichtbare westdeutsche Toast Hawaii sein sozialistisches Pendant im Röstbrot Havanna hatte.

© SZ vom 24.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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