Süddeutsche Zeitung

Dachau:Wie in der Zahnarztpraxis

Lesezeit: 3 min

Drei Jahre lang fotografierte Ramón Grote die Ateliers von 26 Mitgliedern der Kunstvereinigung Dachau. Der Ansatz der Jahresausstellung ist spannend, das Ergebnis aber enttäuscht durch seine Beliebigkeit und geringe Aussagekraft

Von Bärbel Schäfer, Dachau

Ein letzter lebendiger Beleg des einstmals blühenden und fantasievollen Künstlerlebens in Dachau hängt im Landratsamt. In einem Gemälde von Paula Wimmer aus dem Jahr 1925 sitzen Künstler in der Moosschwaige eng gedrängt an der gedeckten, blumengeschmückten Tafel. Sie eroberten sich die ehemals landwirtschaftlichen Anwesen in Augustenfeld, machten sie zum Zentrum der kulturellen Begegnung und gaben Dachau die Bedeutung als internationale Künstlerkolonie.

Die Zeiten, in denen sich der Status eines Künstlers am Atelier ablesen ließ, sind längst vorbei. Heute ist das Atelier in erster Linie zweckdienliche Arbeitsstätte, wegen der hohen Kosten in den Großstädten nicht selten auch Wohnraum. Viele Künstler können sich ein separates Atelier gar nicht mehr leisten. Im 19. Jahrhundert war das anders. Das Künstlerhaus mit einem großzügigen Atelier war ein Muss. Als Ausweis von Erfolg und gesellschaftlichem Status diente es nicht nur als Arbeitsstätte, sondern auch als Repräsentationsraum. Die prächtigen Villen der Münchner Malerfürsten Franz von Lenbach und Franz von Stuck dokumentieren es bis heute. In der Künstlerkolonie Dachau war es um 1900 nicht viel anders. Eine Reihe schöner Künstlerhäuser in der Hermann-Stockmann-Straße und der ganzen Unteren Stadt zeigten, dass die Künstler entweder erfolgreich waren wie Professor Hermann Stockmann, von zu Hause aus vermögend wie Erich von Engel, oder aber einen Mäzen hatten wie Adolf Hölzel.

Wo aber arbeitet ein Künstler von heute? Wie muss ein Ort sein, an dem heutzutage schöpferisches, kreatives Tun herrscht? Spiegelt die Umgebung automatisch die Persönlichkeit eines Künstlers wider? Die Jahresausstellung der KVD geht diesen Fragen nach. Drei Jahre lang fotografierte Ramón Grote, Vorstandsmitglied der KVD, die Ateliers von 26 KVD-Mitgliedern. Vom Dachzimmer im Reihenhaus mit Ikea-Möbeln über Kammern, die so klein sind, dass die Staffelei neben Bett und Schreibtisch steht, bis hin zur großen Werkstatt, die gleichzeitig auch als Ausstellungsraum dient, ist alles dabei.

Der Fotograf hat sich bemüht, durch lichtoptimierte Totalansichten eine gewisse Objektivität walten zu lassen. Aber aus den nur Din A4 großen Fotos lässt sich ein Rückschluss auf die künstlerische Ausdruckskraft ihrer Bewohner nicht herleiten. Auch, weil der Fotograf den Blick auf persönliche Besonderheiten des Künstlers meidet. Neben dem Foto hängt oder steht ein Werk des jeweiligen Künstlers: Malerei, Druckgrafik, Objektkunst, Bildhauerei. Scheinbar willkürlich ausgewählt soll es die Arbeitsweise und Charakteristik der Künstlerpersönlichkeit widerspiegeln.

Schade, dass sich die Arbeiten in den Atelierfotos nicht wiederfinden. Vor allem aber die Atelierfotos sind beliebig und austauschbar. Auch weil sie so klein sind. Eine Vergrößerung wäre zu teuer gewesen, teilte eine Künstlerin mit. Die Aufnahmen vermitteln nicht die Aura des schwitzenden Bildhauers, sie decken das Ringen des Malers um Form und Farbe nicht auf, sie teilen uns nichts mit über die Ängste des Grafikers um das makellose Gelingen eines Farbholzschnittes. Und die Werke können umgekehrt keinen Bezug zu ihren Ursprungsorten heraufbeschwören, eben weil man ihren Entstehungsprozess nicht nachvollziehen kann. Die Kunsthistorikerin Gisela Goblirsch konnte als Laudatorin zu diesem eigentlich interessanten Thema ebenfalls nicht viel beitragen. Sie vermittelte ihre Vorstellung eines Künstlerateliers in Spitzwegscher Manier als Tohuwabohu und unterstellte, dass die dargestellten Ateliers speziell für den Fototermin aufgeräumt worden seien. Dieses Klischee der Bohème findet sich allerdings in der realen Welt der Dachauer Künstlerateliers nicht wieder. Künstler sind keine Fabelwesen, sondern seriös arbeitende Menschen.

Selbstkritisch sagte die Laudatorin: "Die Blicke in den Raum bringen mich keinen Millimeter an den Künstler weiter heran", womit sie gleichzeitig auch die Defizite der Ausstellung unterstrich. Die Zeiten als Velázques oder Courbet sich selbst als Bestandteil ihres Ateliers fühlten, sind längst vorbei. Mit dem Ende des Fin de Siècle wurde das Künstleratelier zur nüchternen Werkstatt. "Werk und Werkstatt" eines Künstlers vermag man heute in erster Linie aus den Werken selbst und aus dem Porträt seines Schöpfers in eine schlüssige Verbindung zu bringen. Wer heute noch das Atelier als Altarraum der Kunstwerdung betrachtet, hat die großen Auseinandersetzungen der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts nicht zur Kenntnis genommen. Das Werk findet im Kopf statt und nicht in seiner zufälligen Umgebung. Genauso gut könnte man Zahnarztpraxen oder Anwaltskanzleien fotografieren.

Bis 28.12. in der Galerie der KVD, Kulturschranne.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2245799
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 01.12.2014
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.