Dachau:Wegbereiter einer Wende

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Romani Rose rüttelte durch seinen Protest in der Gedenkstätte Dachau die Weltöffentlichkeit auf. (Foto: Peter Steffen/dpa)

Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, spricht am Todesmarsch-Mahnmal in Dachau

Von Helmut Zeller, Dachau

Ein Hungerstreik setzte vor 35 Jahren eine Zäsur: Romani Rose und eine Gruppe Bürgerrechtler rüttelte durch ihren Protest in der KZ-Gedenkstätte Dachau die Weltöffentlichkeit auf. Der Völkermord, den die Nationalsozialisten an den Sinti und Roma verübt hatten, wurde jahrzehntelang in der Bundesrepublik geleugnet. Sinti und Roma, die den Massenmord an ihrem Volk mit mehr als einer halben Million Opfer überlebt hatten, waren in Deutschland, gerade auch in Bayern, fortgesetzter Diskriminierung ausgesetzt. Von Dachau ging das Signal für eine Wende aus - jetzt kommt einer der damaligen Anführer des Protests, Romani Rose, wieder nach Dachau. Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma spricht am Samstag, 2. Mai, neben Abba Naor, einem Vertreter der jüdischen Überlebenden, am Todesmarsch-Mahnmal.

Ostern 1980: Zwölf Sinti und Roma beginnen auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte einen einwöchigen Hungerstreik. Im ehemaligen Konzentrationslager waren ungefähr zweieinhalb Tausend Menschen eingesperrt, die von den Nazis als "Zigeuner" registriert wurden. Tatsächlich dürften es, wie ein Sprecher des Zentralrats sagte, viele mehr gewesen sein. Ende Februar 1943 wurden etwa 23 000 Sinti und Roma aus fast ganz Europa, darunter etwa 13 000 aus Deutschland und Österreich, nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Die SS richtete im Lagerabschnitt B II ein so genanntes "Zigeunerlager" ein. Insgesamt fielen dem Genozid in Auschwitz und anderen Vernichtungslagern sowie bei Massenerschießungen durch Einsatzkommandos in den von der Wehrmacht besetzten Ländern Osteuropas mehr als eine halbe Million Sinti und Roma zum Opfer. Der NS-Staat verfolgte die völlige Auslöschung der Minderheit.

Darauf machten die Bürgerrechtler in Dachau aufmerksam und auch auf die Kontinuitäten, die seit dem Kriegsende in Politik und Gesellschaft weiter wirkten. Sinti und Roma wurden nicht als NS-Opfer anerkannt, den Überlebenden wurde auch eine zumindest materielle Entschädigung verweigert - die Deportationen in die Vernichtungslager wurden sogar von höchsten deutschen Gerichten als "kriminalpräventiv" gerechtfertigt. Die Bürgerrechtler protestierten in Dachau auch über die Methoden rassistischer Sondererfassung durch Justiz und Polizei auf der Grundlage von NS-Akten. Zum Teil saß in den Amtsstuben ehemaliges SS-Personal. So gab es in München damals eine sogenannte Landfahrerzentrale, in der Sinti und Roma verfassungswidrig registriert wurden - mit Fingerabdruck. Leiter war Josef Eichberger, der für das Naziregime bereits in der Münchner "Zigeunerzentrale" gearbeitet hatte.

Der Hungerstreik in Dachau fand ein gewaltiges internationales Presseecho. Darüber war die Kommunalpolitik gar nicht glücklich. Unterstützung fanden die Bürgerrechtler in der Dachauer Zivilgesellschaft, die ihrerseits in ihrem Versuch der Aufklärung über die NS-Geschichte durch das Engagement der Sinti und Roma bestärkt wurde. Die Forderung der Bürgerrechtler nach einem Kulturzentrum für Sinti und Roma in Dachau wurde vom Stadtrat abgeschmettert. Einzelne Dachauer gründeten ein Bürgerkomitee und gaben eine Broschüre heraus. Die Stadtpolitik hätte gerne einen Schlussstrich unter die Geschichte gezogen.

Im Februar 1982 wurde der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg gegründet. Dann kam der Durchbruch: Am 17. März 1982 erkannte der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt die NS-Verbrechen als Völkermord an. Sein Nachfolger Helmut Kohl bestätigte das im Bundestag im November 1985 noch einmal. 2012 wurde in Berlin ein Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma Europas eingeweiht, im April dieses Jahres erkannte - längst überfällig - das Europäische Parlament den NS-Völkermord an Sinti und Roma an.

Dennoch, die NS-Propaganda wirkt noch heute fort: Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat 2014 eine Studie veröffentlicht - mit erschreckenden Ergebnissen. "Sie sind Zeugnis von dramatischer Unwissenheit und Ablehnung der deutschen Bevölkerung gegenüber Sinti und Roma", sagt die Leiterin Christine Lüders. Sie gelten den Deutschen als kriminell, faul und nicht integrierbar. Jeder fünfte Befragte forderte ihre Abschiebung, 14 Prozent eine "gesonderte Unterbringung".

Die feindselige Einstellung wird nicht zuletzt durch populistische Parolen aus der Politik und einer stereotypisierenden Presseberichterstattung genährt.

Auf die Ausgrenzung der Roma in ihrem Land und in Deutschland reagieren tschechische Schüler vom Gymnasium Ostrov mit dem Projekt "Wege der Diskriminierung - Geschichte der Roma und Sinti vor und nach dem Zweiten Weltkrieg". Zusammen mit Schülern des Leonhard-Wagner-Gymnasiums in Schwabmünchen erarbeiten sie eine Wanderausstellung. Die Schüler trafen sich in Ostrov, jetzt kamen sie in Schwabmünchen zusammen. Sie sprachen mit Albert Wolf, stellvertretender Vorsitzender der Sinti und Roma in Bayern, und besuchten die KZ-Gedenkstätte Dachau.

© SZ vom 02.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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