Dachau:Wahre Werte

Lisa Wagner liest auf dem SZ-Benefizkonzert den Roman "Gold" von Blaise Cendrars. Vordergründig geht es um den Aufstieg und Fall des Hasardeurs Johann August Suter. Tatsächlich um die Grundfragen des Lebens. Das Duo Unsere Lieblinge übernimmt die Musikdramaturgie

Von Wolfgang Eitler, Dachau

Der Roman "Gold" aus dem Jahr 1925 ist ein Epos. Er ist mehr als nur eine Geschichte vom Aufstieg und Niedergang des Schweizer Hasardeurs Johann August Suter, der 1834 nach Amerika ausreiste, um in Kalifornien sein Glück zu versuchen. Denn Blaise Cendrars erzählte als erster Schriftsteller des 20. Jahrhunderts überhaupt, wie die Fiktion eines Finanzsystems die reale Wirtschaft ins Bodenlose fallen lässt. Wie die Hoffnung auf Gold und die Gier danach einen ganzen Landstrich, das heutige San Francisco, und dessen damals blühende Agrarlandschaften vernichteten.

Für Iris Radisch, Literaturkritikerin der Zeit, wird in diesem Roman "Gold" zum ersten Mal erzählt, "wie Menschen von der realen Wirtschaft ablassen und sich einem rein materiellen Werteversprechen hingeben". Allein die Aussicht darauf lässt die Goldsucher das Ackerland des Auswanderers Johann August Suter, dessen Weinberge, die er sich mit eigens aus Deutschland importierten Reben angelegt hatte, hemmungslos zerstören.

Dieser Roman ist einerseits eine spannende Geschichte über einen Mann, der selbst als Betrüger begann, seine Familie in der Schweiz der Wohlfahrt überließ und in die Vereinigten Staaten floh. Andererseits ist sie auch eine Reflexion über Werte. Und in diesem Sinne passt sie ideal zum Advent, ohne ausdrücklich darauf zu verweisen. Im Wortsinne bedeutet "Advent", die Erwartung des Neuen und die Vorbereitung auf diese Zeit. Der Abend mit Lisa Wagner reflektiert die Dimensionen dieses Begriffs im Gegensatz zwischen materieller Gier und religiösem Versprechen. In diesem Sinne wird auf der Lesung zum SZ-Benefizkonzert am Donnerstag, 18. Dezember, die Zeit innehalten - in großer Nachdenklichkeit, aber auch in atemloser Spannung einschließlich einer eigenen Musikdramaturgie.

Blaise Cendrars

Blaise Cendrars, Schriftsteller aus der französischen Schweiz, Abenteuerer und Weltreisender.

(Foto: Getty Images)

Deshalb hat die Schauspielerin Lisa Wagner den Roman "Gold" von Blaise Cendrars ausgewählt. Ihre ursprüngliche Idee war eine Auswahl von Geschichten zum Thema "Heldinnen", analog zu den starken Frauen in der Bibel. "Aber dieser Roman hat mich nicht mehr losgelassen." Genau so wie Elke Heidenreich: "Was für ein Kunstwerk! Und wie aktuell - ruinieren nicht gerade Hasardeure in ihrer Gier auch wieder die Welt?" Sie betont aber auch die literarische Qualität des Romans in seiner "Mischung aus fein gesponnener Erzählung und Dokumentation."

Blaise Cendrars ist ein herausragender Schriftsteller der literarischen Moderne, der die Techniken des Radiofeatures mit den klassischen des Erzählens verwebt. Die Geschichte des Johann August Suter kennen viele Leser sicherlich aus einer Adaption des Cendrars-Romans durch Luis Trenker. Er hatte 1935 den Film "Der Kaiser von Kalifornien" gedreht und dazu auch einen gleichnamigen Roman geschrieben. Der wurde in den 50er und 60er Jahre dann vom einstigen Bertelsmann-Buchring exklusiv verlegt und damals quasi als verbindliche Pflichtlektüre in die deutschen Haushalte versandt.

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Das Duo Unsere Lieblinge bestreitet das SZ-Benefizkonzert zugunsten des Adventskalenders am Donnerstag, 18. Dezember.

(Foto: Getty Images)

Im Gegensatz dazu ist das Original von enormer Dichte und Rasanz. Also ideal für eine Schauspielerin wie Lisa Wagner. Ihr gelingt es, den Kern einer Geschichte auf eine einzige Geste zu konzentrieren. In einem ihrer letzten Filme im ZDF mit dem Titel "Momentversagen" reicht ein Blick von ihr, um zu erfahren, wie verloren sie und ihr Ehemann bereits sind. Zu dem Zeitpunkt weiß sie noch nicht, dass ihr Ehemann sich nach einem Seitensprung in ein Tötungsdelikt verwickeln ließ. Alles nimmt seinen Anfang mit einem Karrieresprung und einer fatalen Feier.

Ab und an liest Lisa Wagner im Münchner Literaturhaus. Dabei erzählt sie nicht nur, sondern vergegenwärtigt den Erzähler. Er wird regelrecht präsent. Wie die Gräfin Fanny zu Reventlow in ihren Memoiren über die Zeit der Schwabinger Bohemiens. Die Lesung war eine stimmliche Inszenierung der Persönlichkeit der Gräfin bis hinein in den manchmal nasal-ironischen Ton der Distanzierung vor allem von Männern. Und diese Fähigkeit zur Theatralik wird das frühere Ensemblemitglied des Residenztheaters auf dem SZ-Benefizkonzert mit Sicherheit einsetzen. Der Roman verlangt geradezu danach.

Dachau: Lisa Wagner gelingt es, den Kern einer Geschichte auf eine einzige Geste zu konzentrieren.

Lisa Wagner gelingt es, den Kern einer Geschichte auf eine einzige Geste zu konzentrieren.

(Foto: imago stock&people)

Außerdem hat Lisa Wagner für die Lesung das Duo Unsere Lieblinge ausgewählt. Stefan Noelle und Alex Haas sind sozusagen Experten der musikalischen Untermalung literarischer Texte. Dafür haben sie bereits einen Kultur-Stern der Münchner Abendzeitung erhalten. Dazu reichen ihnen ein Kontrabass und ein Schlagzeug. Und schon gelingt es ihnen, die Atmosphäre zu verdichten.

Die Verbindung von Musik und Literatur als musikalische Lesung ist in Stadt und Landkreis sehr beliebt. Auf den SZ-Benefizkonzerten der vergangenen Jahre ergänzten Bands wie Non Sordino, die Dellnhaun Musi oder das Julia-Miller-Quartett den Vortrag beispielsweise von Wolf Euba oder von SZ-Chefredakteur Kurt Kister. Diesmal aber wird wahrscheinlich eine regelrechte Musikdramaturgie aus Bass, Percussion und Gesang entstehen, welche die Lesung nicht nur begleitet, sondern wie in einem Film oder einem Theaterstück eine eigenständige Rolle übernimmt. Darin liegt die Besonderheit oder auch die hohe Kunst des Duos. Auf diese Weise haben sie am Münchner Metropoltheater beispielsweise an der Bühnenfassung des Films "I hired a contract killer" von Aki Kaurismäki mitgewirkt oder auch bei "Broadway Danny Rose".

Gerade hat Lisa Wagner die vierte Folge der eigens für sie geschriebenen ZDF-Krimireihe der Kommissarin Winnie Heller beendet. Die FAZ fragte in einem Porträt der Schauspielerin rhetorisch, wie viele Beiträge dieses Genres das Fernsehen noch verträgt: "Noch ein Krimi, muss das sein? Im Fall von Winnie Heller sagen wir: ja!" Außerdem ist der dritte Teil der Weissensee-Saga in Berlin fertig geworden, die das Leben in der ehemaligen DDR und den großen historischen Umbruch anhand einer Familie erzählt. Lisa Wagner spielt eine Journalistin, die vom Fall der Mauer 1989 berichtet.

Trotz des enormen Zeitdrucks der vergangenen Monate hat sie der SZ sofort für das Benefizkonzert zugesagt und verzichtet sogar auf die übliche Aufwandsentschädigung, damit der gesamte Erlös dem SZ-Adventskalender gespendet werden kann. Lisa Wagner und Unsere Lieblinge können erst jetzt mit den eigentlichen Proben beginnen. Sie sind zuversichtlich. Lisa Wagner sagt zuversichtlich: "Ich kann mir vorstellen, dass das ein toller Abend wird." Und fügt hinzu: Auch wegen der "Wahnsinnsgeschichte".

Wie jedes Jahr beginnt das SZ-Benefizkonzert um 18.30 Uhr mit einem Sektempfang für alle Besucher am Donnerstag, 18. Dezember, im Ludwig-Thoma-Haus in Dachau. Die Veranstaltung wird von der Volksbank Raiffeisenbank Dachau finanziell unterstützt. Die Zusammenarbeit zwischen Süddeutscher Zeitung und VR Bank hat bereits Tradition. Karten gibt es im Vorverkauf bei der VR Bank Dachau in der Hauptgeschäftsstelle in der Altstadt in der Augsburger Straße 33-35 und bei der Lotto-Zeitschriften-Siems-GmbH (08131/80 746) in der Bahnhofsstraße 9. Weitere Informationen befinden sich im Internet unter www.sz-veranstaltungen.de.

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