Sie will keine Betroffene mehr sein. Dominique de Marné sagt ganz klar: „Ich mag dieses Wort nicht – und ich erfülle die Diagnosekriterien auch nicht mehr.“ Und doch spricht die studierte Psychologin offen von jener dunklen Zeit in ihrem Leben, in der die heute 39-Jährige unter anderem an einer Borderline-Störung litt. Inzwischen ist de Marné Unternehmerin, Autorin und Vortragsreferentin. Zur bundesweiten „Woche der seelischen Gesundheit“ hat die Caritas sie zu einer Diskussion nach Dachau eingeladen: Dort spricht de Marné am Dienstag, 14. Oktober, über „Wege mentaler Gesundheit“.
Die Idee zu dem Vortrag sei aus einer lokalen Dachauer Selbsthilfegruppe an sie herangetragen worden, erzählt Sozialpädagogin Kristina Kesztyüs von der Beratungsstelle für psychische Gesundheit der Caritas Dachau. Dort sei ein Buch von Dominique de Marné besprochen und gelobt worden. In ihrem Erstlingswerk erklärt sie genau das, was der Buchtitel ankündigt: „Warum normal sein gar nicht so normal ist.“ Dabei geht es de Marné vor allem um die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen. Ruft man bei der Referentin an, klingt ihre Stimme klar und fröhlich, wenn sie sagt: „Es muss nicht immer gleich traurige Klaviermusik, schwarz-weiße Bilder, Tränen und Schwere geben, es darf auch unterhaltsam sein, über das Thema mentale Gesundheit zu reden.“

Heute dreht sich de Marnés Arbeit um Prävention und einen besseren Umgang mit mentaler Gesundheit. „Ich habe zehn Jahre meines Lebens an Krankheiten verloren“, sagt sie. All das, was sie selbst erlebt hat, gibt ihr heute die Motivation, ihr Wissen zu teilen, auch wenn es ein langer Weg aus Krankheit und Sucht war. „Ich weiß, was es in meinem Leben verändert hätte, wenn der Umgang mit mentaler Gesundheit schon damals in der Schule und in meinem Umfeld ein anderer gewesen wäre.“ Mentale Gesundheit sei für sie mehr als „Krise, Stress und Krankheit“, sondern etwas „ganz Menschliches und Alltägliches“.
Auch deshalb hat die Caritas Dachau sie als Referentin ausgewählt: „Seelische Gesundheit betrifft uns alle und gelangt immer mehr in den gesellschaftlichen Fokus“, sagt Beraterin Kesztyüs. „Die Anforderungen der Gesellschaft, in der Arbeitswelt und in persönlichen Beziehungen nehmen immer mehr zu – viele fragen sich da: Wie kann ich Resilienz entwickeln und belastbar bleiben oder Hilfe holen für mich oder andere?“ Der Sozialpsychiatrische Dienst der Caritas Dachau, das betont sie, sei eine Anlaufstelle für Menschen in allen möglichen Situationen, in denen sie sich Unterstützung wünschten, egal ob beim Tod eines Angehörigen, einer Trennung vom Partner oder Jobproblemen. Inzwischen fänden viele Menschen auch schon präventiv den Weg zu Beratungsstellen. Kesztyüs sagt: „Wir erleben, dass es immer mehr Menschen gibt, die unter dem allgemeinen Druck und der Rezession leiden. Auch Einsamkeit ist ein großes Thema, das gerade im gerontopsychiatrischen Dienst hier in Dachau an Bedeutung gewinnt.“

Borderline-Störung:"Die Depression begleitet mich immer"
Zehn Jahre lang hat Dominique de Marné sich geritzt und dachte: Das Problem bin ich. Heute geht es ihr besser. Sie spricht über ihren Heilungsweg und wie sie mit dem Feind im eigenen Kopf umgeht.
Dominique de Marné will in ihrem Vortrag deshalb auch ganz konkrete Werkzeuge für einen leichteren Alltag erklären. Ein „schönes kleines Tool“, das sie dem Publikum gern mitgibt, wie sie sagt, ist die Frage: „Wie voll ist mein Akku eigentlich gerade?“ Wer sich diese Frage öfter selbst stelle, könne besser bei sich selbst einchecken. Lachend erzählt de Marné: „Wir passen alle immer so gut auf die Akkus unserer Handys auf, aber auf unsere eigenen Akkus nicht. Und das kann schon wahnsinnig viel verändern, wenn man sich ab und zu mal fragt: Ja, wie viel Energie habe ich denn eigentlich gerade noch?“
Ihr eigenes Erleben mache de Marné zur „Expertin aus Erfahrung“, wie sie sich selbst bezeichnet. Sie will Mut machen und das Stigma loswerden, das jede Diagnose noch immer mit sich bringe. Hinter solchen Abwertungen stecke oft eine Unsicherheit von Menschen, die sich mit mentaler Gesundheit nicht so gut auskennen. De Marné sagt: „Ich gehe sehr offen mit meinen einstigen Themen um, egal ob das jetzt die Depression, die Alkoholabhängigkeit, die Selbstverletzungen oder die Suizidalität ist. Heute erfülle ich die Diagnosekriterien nicht mehr, lade aber alle ein, dazu Fragen zu stellen.“
Wenn im Unternehmen die mentale Gesundheit nicht zählt, hilft alles Atmen nicht
Manchmal bemerke sie zwar noch „ganz leichte Züge“ ihrer früheren Krankheitsbilder; zu Borderline gehöre schließlich auch eine große Emotionalität – und ein emotionaler Mensch werde sie immer bleiben. Doch früher hätten sie die Auswirkungen ihrer Erkrankungen im Griff gehabt, sie war ihnen ausgeliefert. Inzwischen habe sie jedoch so viele Methoden erlernt, dass die Krankheiten kein aktiver Teil ihres Alltags mehr seien und sie sich nicht mehr mit Symptomen beschäftigen müsse. „Ich tue halt auch jeden Tag was für meine mentale Gesundheit“, sagt de Marné. Eine feste Morgenroutine hilft ihr etwa, dass ihr Tag als Mutter von zwei Kindern und Unternehmerin immer gleich startet. „Ich stehe immer sehr früh auf, ich mache Sport, ich mache Achtsamkeit, ich meditiere, ich führe ein Dankbarkeitsjournal. Und auch Schlaf gehört bei mir ganz klar zu meiner Mental Health Maintenance. Es sind alles kleine Beispiele, die aber wirklich einen Unterschied machen – auch darin, wie ich mit Home-Office, Feierabend und Handynutzung umgehe.“
In ihrer Beratungsarbeit für Unternehmen hat de Marné im vergangenen Jahrzehnt gemerkt, dass das Interesse wächst. Doch gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten werde schnell an Maßnahmen für die mentale Gesundheit gespart. „Dabei kann ich den Unternehmen vorrechnen, dass es das Teuerste ist, was sie machen können, wenn sie gar nichts machen.“ Denn dann kosten höhere Fehlzeiten, mehr Kündigungen und viele Krankheitsausfälle eine Firma viel mehr, rechnet sie vor. Zugleich warnt sie vor Etikettenschwindel. „Ich kann den Arbeitnehmenden in den Kursen so viel über Achtsamkeit und mentale Gesundheit erzählen, wie ich will – wenn sie in einem Umfeld sind, wo ihre mentale Gesundheit permanent mit Füßen getreten wird, dann bringt halt auch Atmen, Yoga, Dankbarkeit und alle Mental Health Literacy nichts mehr. Und da muss man einfach sehr ehrlich kommunizieren.“
Der Vortrag mit anschließender Diskussion „Wege mentaler Gesundheit“ von Dominique de Marné wird am Dienstag, 14. Oktober, ab 19 Uhr im Adolf-Hölzl-Haus am Ernst-Reuter-Platz 1 in Dachau vom Sozialpsychiatrischen Dienst der Caritas Dachau veranstaltet. Einlass ist ab 18 Uhr, Karten gibt es für fünf Euro an der Abendkasse, eine Anmeldung ist nicht nötig.

