Es dauert ganze acht Songs, bis Stefan Dettl endlich diese eine Nummer ankündigt: "Da geht's um den Gardasee." Gemeint ist - natürlich - das Lied "Autobahn", mit neun Millionen Aufrufen auf Spotify wohl immer noch einer der größten Hits der Band. Wer nun aber denkt, bis zu diesem Zeitpunkt hätte das Publikum eher verhalten geschunkelt, der irrt: Labrassbanda hat das mit etwa 3800 Besucherinnen und Besuchern voll besetzte große Festzelt auf der Ludwig-Thoma-Wiese zwei Tage vor Volksfestbeginn fest im Griff, die Menge singt, tanzt und lacht vom ersten Trompetenton an. Am Ende wringen mehrere oberkörperfreie Männer ihre T-Shirts aus, viele wanken eher in die Nacht als dass sie gehen, glück- und bierselig gleichermaßen.
Die Vorband, Los Brudalos, tut sich da beim Publikum - eine interessante Mischung aus eingefleischten jungen Brassfans, Vereinsmeiern, Trachtenträgerinnen, Hippies und ergrauten Herrschaften - um einiges schwerer: Die vier Musiker, die von sich selbst sagen, sie machten "boarischen Hip Hop für LKW-Fahrer, Maurer und vorbestrafte Sexualtäter" und die mit Goldkette, kugelsicherer Weste und Schnapsgürtel auf der Bühne stehen, haben nämlich eigentlich nur ein Thema: Alkohol. Als einer der Sänger zu Beginn ruft "Wollt's ihr saufen?", grölen zwar ein paar Burschen, ihren Band-Shirts nach zu urteilen Brudalos-Ultras, "Ja, wir woll'n saufen", aber aufs ganze Zelt will der Funke einfach nicht überspringen - da helfen selbst die Kurzen nichts, die die Band immer wieder aus ihren umgeschnallten Gürtel zückt und in die Menge schmeißt.
Ursprünglich hätte das Konzert schon 2020 in Allach stattfinden sollen
Der Kontrast wird umso größer, als Labrassbanda-Leadsänger Dettl zu Beginn nur "Habe die Ehre, Dachau! Habe die Ehre, Allach" zu sagen braucht, und das komplette Zelt schon ausflippt. Ja, sogar sein Vorschlag, Allach und Dachau könnten doch eine Städtepartnerschaft eingehen, wird mit euphorischem Jubel begrüßt. Wer sich nun fragt, was es damit auf sich hat: 2020 hätte die Band eigentlich auf dem Allacher Volksfest auftreten sollen. Aus bekannten Gründen konnte das Konzert damals jedoch nicht stattfinden, die Verschiebung um ein Jahr war dort aber nicht möglich. Daher entschied man sich für einen Ortswechsel nach Dachau, doch auch 2021 konnte bekanntlich kein Volksfest stattfinden.
Eine Stadt und zwei Jahre später steht Labrassbanda am Donnerstag endlich auf der Bühne im großen Dachauer Festzelt, und wären da nicht die paar wenigen, die konsequent Masken tragen, könnte man an diesem Abend tatsächlich glauben, das Virus sei Geschichte oder man wäre ins Jahr 2019 zurückgereist. Damals trat die Band erstmals in Dachau auf anlässlich der 150-Jahrfeier der Freiwilligen Feuerwehr Dachau, die auch diesen Abend organisiert hat.
"Auf Labrassbanda kann man nicht cool tanzen, man kann bloß eine Gaudi haben"
Aber Corona hin oder her, Berührungsängste haben im Zelt nur die wenigstens: Ab der zweiten Hälfte des Konzerts bildet sich in der Menge ein Moshpit, und man kann beobachten, was Dettl gleich zu Beginn prophezeit hat: "Auf Labrassbanda kann man nicht cool tanzen, man kann bloß eine Gaudi haben." Auch die Wortschöpfung "Discobauer" und den gleichnamigen Song versteht, wer seinen Blick über die vielen feiernden Lederhosen und Dirndl schweifen lässt, plötzlich nur allzu gut. Ringsherum fliegen Pappbecher und schweißtriefende Shirts in die Luft, ein aufblasbarer, roter Wasserball wird immer wieder in die Höhe geschossen. Wer einen Moment die Füße still hält, spürt wie der Holzboden unter ihm bebt. Längst riecht es da, wie es eben in einem Volksfestzelt so riecht nach zwei Stunden Ekstase: nach Bier und Schweiß.
Wer das Radio anschaltet, hat sich längst daran gewöhnt, dass Lieder nur noch maximal eineinhalb Minuten dauern und vor allem aus Refrain bestehen. Für lange Soli ist kaum Zeit, erst recht nicht für ein Tuba-Solo. Denn welche Band hat schon mehr als als einen Bassisten, eine Schlagzeugerin und einen Gitarristen? Stefan Dettl und seine siebenköpfige Crew scheren sich freilich nicht darum, und vielleicht ist dass das Schönste an diesem ohnehin schönen Abend: Man hört nicht nur, dass da mit Labrassbanda wahrlich begnadete Musiker auf der Bühne stehen, man kauft ihnen auch ab, dass sie nicht nur eine Show abziehen, sondern tatsächlich lieben, was sie tun - und das überträgt sich auf das Publikum. Auch Dettl merkt das. "Ihr spürt's auch so, ich liebe es", sagt er irgendwann freudestrahlend mit Blick in die hüpfende Menschenmenge zu seinen Füßen. Kein Wunder also, dass er sich gegen Ende nicht lange bitten lässt, als das Publikum den Zugabe-Rufen mit stampfenden Füßen Nachdruck verleiht.
Bevor die Band aber schließlich den Abend mit Liedern wie "Scheena Dog" und "Cadillac" ausklingen lässt, muss Stefan Dettl noch etwas loswerden: "Die Welt ist nicht schlecht." Zwar gebe es viele Arschlöcher - die lange Liste an Adjektiven, die er vorwegschickt, lässt sich hier nicht wiedergeben. Aber von denen dürfe man sich die "Gaudi nicht kaputt machen lassen". Er appelliert an das Publikum, "Liebe in die Welt" zu schicken. Denn wenn man, wie an diesem Abend, gemeinsam singe, lache und tanze, dann könne man sich ja schon mal nicht hassen - und zumindest für die Länge des allerletzten Songs entscheidet man sich, ihm zu glauben, dass es so einfach ist.