Volksfest Dachau:"Das wäre der Untergang unserer Branche"

Volksfest Dachau: In guten Jahren stehen Volksfestbesucher bei Paul Tille Schlange, um Schokobananen oder glasierte Erdbeeren zu ergattern. Im Corona-Jahr 2020 fährt der Sprecher der Dachauer Schausteller Verluste ein - trotz des "Sommers in der Stadt" in München, wo Tille am Wittelsbacherplatz steht.

In guten Jahren stehen Volksfestbesucher bei Paul Tille Schlange, um Schokobananen oder glasierte Erdbeeren zu ergattern. Im Corona-Jahr 2020 fährt der Sprecher der Dachauer Schausteller Verluste ein - trotz des "Sommers in der Stadt" in München, wo Tille am Wittelsbacherplatz steht.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Schausteller leiden schwer unter den Absagen der Volksfeste im Corona-Jahr 2020. Paul Tille, Sprecher der Dachauer Budenbetreiber, über Ersatzveranstaltungen, Soforthilfen und die Frage, wie dramatisch ein Ausfall der Weihnachtsmärkte wäre.

Interview von Thomas Balbierer, München/Dachau

Der Wittelsbacherplatz in München ist leergefegt am vergangenen Mittwochnachmittag. Die Sonne brennt auf den Beton, kaum ein Besucher verirrt sich auf das eingezäunte Gelände, auf dem seit Ende Juli eine kleine Dult der des dezentralen Volksfests "Sommer in der Stadt" steht. Für die Schokofrüchte von Paul Tille interessieren sich an diesem heißen Tag nur ein paar Wespen. Eigentlich sollte Tille, Sprecher der Dachauer Schausteller, mit seiner Verkaufsbude gerade am Dachauer Thoma-Platz stehen und glasierte Erdbeeren unter fröhliche Volksfestbesucher bringen. An diesem Montag wäre das Fest nach zehn Tagen zu Ende gegangen, doch wegen der Corona-Pandemie fand es gar nicht erst statt. Im Interview spricht Tille über die Krise der Schausteller und seine Hoffnung auf Rettung.

SZ: Herr Tille, bei Ihnen gibt es heuer neben Schokofrüchten auch Desinfektionsmittel - wie passt das zusammen?

Paul Tille: Es muss zusammenpassen. Das Desinfizieren und Abstandhalten sind wichtig für den Schutz der Bevölkerung. Wir haben hier alles geregelt und die Leute halten sich an die Vorgaben, wenn sie da sind.

Aber allzu großen Appetit scheinen die Menschen gerade nicht zu haben, wenn man sich so umschaut. Wie läuft das Geschäft bislang?

Leider sehr schleppend. Wir zahlen drauf, um ehrlich zu sein. Die Leute fehlen einfach und kommen auch abends nicht, weil keine Familienattraktionen, zum Beispiel ein Riesenrad, hier stehen. Jetzt haben wir auch noch Pech mit dem Wetter, weil sich der Boden auf dem Wittelsbacherplatz so stark aufheizt, dass es vielen einfach zu heiß ist.

Ihre Familie ist seit fünf Generationen im Schaustellergeschäft, Sie selbst sind eingefleischter Budenbetreiber. Wie sehr schmerzt es Sie auch emotional, dass heuer kein einziges richtiges Volksfest stattfindet?

(schweigt lange und seufzt dann) Sehr, wirklich sehr. Das geht uns nahe. Man sagt ja immer, die Hoffnung stirbt zuletzt. Wir haben unsere ganze Hoffnung in den "Sommer in der Stadt" gelegt und jetzt das. Das fühlt sich an wie ein Peitschenhieb. Leider haben wir Schausteller auf dem Wittelsbacherplatz die Arschkarte gezogen. Gott sei Dank läuft es bei den anderen Schaustellern auf dem Königsplatz und im Olympiapark besser. Die verdienen Geld, da bin ich froh drum.

Wie schlimm sind die finanziellen Verluste in diesem Jahr?

Wir können das gar nicht mehr gutmachen. Meine letzten Ersparnisse gehen gerade drauf, ich habe bald nichts mehr. Die Erwartung war, dass wir hier was mitnehmen. Die Stadt München hat es ja gut gemeint, aber auf diesem Platz ist vieles schiefgelaufen. Unsere Hoffnung ist, dass wir auf den Odeonsplatz umziehen können - dort wären die Leute. Aber das will die Stadt nicht.

Welche Zukunftsperspektive hat Ihr Geschäft momentan?

Wir denken jetzt schon an den Weihnachtsmarkt, das ist die letzte Gelegenheit, Geld zu verdienen. Danach ist die Saison gelaufen. Im Januar, Februar und März verdienen wir gar nichts. Der Weihnachtsmarkt ist unsere letzte Hoffnung.

Haben Sie Angst vor der Insolvenz?

Diese Angst hat man als Schausteller immer im Nacken. Wenn die Banken nicht mitspielen und wir keine weiteren Hilfen bekommen, geht's bergab. Das Schaustellergewerbe ist sehr gefährdet.

Sind die Corona-Hilfen vom Staat bei Ihnen angekommen?

Die erste Corona-Hilfe ist bei uns angekommen, Gott sei Dank. Aber das Geld deckt nicht unsere ganzen Kosten. Wir sind mit den 9000 Euro über den April und Mai gekommen, aber jetzt haben wir schon August und stehen wieder hilflos da. Wir brauchen unbedingt neue Zuschüsse. Ich habe 4000 Euro Kosten im Monat und irgendwann sagt die Bank: "Stopp, jetzt gibt's nichts mehr." Zum Glück habe ich eine gute Bank, aber wie lang soll das noch so weitergehen?

In Dachau gab es im Frühsommer die Diskussion über ein Ersatzvolksfest. Sie haben zum Beispiel eine abgezäunte Dult auf dem Ernst-Reuter-Platz vorgeschlagen, auch ein Volksfest "to go" war im Gespräch. Am Ende scheiterten die Ideen. Sind Sie noch frustriert?

Wir fühlen uns im Stich gelassen. Der Oberbürgermeister hat zwar jetzt sein Möglichstes getan und den Schaustellern zwei Standplätze auf den Wochenmärkten in der Münchner Straße und am Ernst-Reuter-Platz ermöglicht, die bringen aber auch nicht sehr viel. Die Kollegen, die dort aufgebaut haben, sind schon froh über 50 Euro Einnahmen am Tag, müssen aber zehn Euro Standgebühr am Tag bezahlen. Da bleibt nicht viel übrig. Die Plätze hätten umsonst sein müssen. Meine Idee war, eine kleine Dult mit Biergarten und Fahrgeschäften zu veranstalten, so wie jetzt beim "Sommer in der Stadt". Das hätte doch möglich sein müssen.

Glauben Sie, das hätte besser funktioniert als hier am Wittelsbacherplatz?

Am Dachauer Volksfestplatz hätte das mit Hygienekonzept gut funktionieren können und man hätte den Schaustellern einen großen Gefallen getan.

Verstehen Sie, dass in einer Krisensituation wie dieser Pandemie reine Spaßveranstaltungen bei Politikern und Bürgern nicht ganz oben stehen?

Ich verstehe alle, die sagen, das muss ich jetzt nicht haben in dieser schwierigen Zeit. Ich verstehe aber auch die Familien, die mit ihren Kindern etwas unternehmen wollen. Und was ich absolut nicht verstehe: Wenn man mit zweierlei Maß misst. Jedes Bundesland, jede Stadt macht etwas anderes. Corona macht bestimmt nicht vor Nordrhein-Westfalen halt, wenn dort ein großes Konzert stattfinden soll (am 4. September ist in Düsseldorf ein Konzert mit 13000 Zuschauern geplant, Anm. d. Red.).

Viele Budenbetreiber sind mit ihren Gedanken schon beim Winter. Wie werden die Christkindl- und Weihnachtsmärkte im Corona-Jahr aussehen?

Was ich so höre, könnten viele Städte versuchen, so eine Art "Winter in der Stadt" zu machen. Also die Veranstaltungen auf verschiedene Plätze zu verlagern, um die Besucherströme zu entzerren. Ich glaube, dass auch München gewillt ist, das durchzuführen. Die Stadt kennt unsere Situation.

Was, wenn die Infektionszahlen bis zum Advent wieder stark steigen und Weihnachtsmärkte nicht stattfinden können?

Das wäre für uns fatal. Das wäre der Untergang unserer Branche. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir das ohne massive Hilfen überleben könnten.

Welche Perspektive hat aus Ihrer Sicht das Dachauer Volksfest im kommenden Jahr, sollte es bis dahin noch keinen Impfstoff geben?

Da muss man sich im Frühjahr zusammensetzen und ein Konzept ausarbeiten - mit allen Hygienemaßnahmen, die dann nötig sein werden. Wir Schausteller garantieren, dass wir "clean" sind. Natürlich kann es sein, dass wir kein großes Bierzelt haben werden, aber ein Biergarten würde es zur Not auch tun.

Gerade haben wir über Weihnachten gesprochen, was ist Ihr größter Wunsch für das kommende Jahr?

Ein Impfstoff, der hilft, dass es weitergeht.

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