Mordversuch beim Indersdorfer Volksfest:Ohne jede Logik

Landgericht I und II in München

Ein 67-Jähriger steht vor dem Münchner Landgericht II, weil er bei acht Männern Kastrationen und andere operative Eingriffe im Genital- und Analbereich vorgenommen haben soll.

(Foto: dpa)

Ein 42-jähriger Münchner hat auf dem Indersdorfer Volksfest 2019 einen Mann brutal gewürgt. Versuchter Mord, befindet das Landgericht. Bleibt die Frage: Ist der Mann auch danach noch eine Gefahr für die Gesellschaft?

Von Joshua Beer, Dachau/München

"Ich habe ein realistisches Weltbild und eine Utopie", erklärt der 42-jährige Angeklagte dem Gericht am Dienstag. In der Utopie wolle er andere, "Schwächere", schützen, "der große Bruder von allen" sein, wie er es formuliert. Durch Alkohol verfalle er in diese "pervertierte" Utopie und dadurch in Gewalt.

Schwächere schützen? Sein Vorstrafenregister, das der Vorsitzende Richter Thomas Lenz des Landgerichts München II zu Beginn der Verhandlung verliest, umfasst zehn Punkte, darunter mehrfach gefährliche Körperverletzung. Aktuell wird der 42-jährige gelernte Lagerist wegen versuchten Mordes belangt, da er im Mai 2019 auf dem Volksfest in Markt Indersdorf einen Mann von hinten anfiel und brutal würgte. "Sie scheinen ein absolut unrealistisches Weltbild zu haben", stellt Lenz fest. Die gewaltsame Laufbahn des in München geborenen Lageristen klinge nicht danach, als ginge es ihm um den Schutz von Schwächeren, sondern um "Rache und Strafe".

Im jüngsten Fall dreht es sich um einen Angriff auf dem Festplatz am Wehr beim Indersdorfer Volksfest vor zwei Jahren. Der Münchner schnappte im Bierzelt Fetzen eines Gesprächs zwischen einer Freundin und dem späteren Opfer, einem ehemaligen Mitschüler der Bekannten, auf, darunter das Wort "Mobbing". Tatsächlich war die Bekannte des Angeklagten Opfer von Mobbing in der Schule. Der Lagerist reimte sich daraufhin zusammen, dass der ehemalige Mitschüler seine Bekannte als Kind schikaniert habe. Er fragte sie, ob er das "klären" solle, doch sie lehnte ab.

Später - mit drei Mass Bier intus - wollte der Angeklagte heim, als er vor dem Zelt den besagten ehemaligen Mitschüler zusammen mit dem Freund seiner Bekannten beim Rauchen sah. Zornig darüber, dass der Freund mit dem vermeintlichen Mobber sprach, fiel der Münchner Letzteren von hinten an und würgte ihn mit dem linken Unterarm. Den rechten Arm nahm er zur Verstärkung hinzu. "Dies ist für das Mobbing", soll er dabei gesagt haben. Das Opfer konnte sich nicht wehren, und beide gingen zu Boden. Der Gewürgte verlor das Bewusstsein. Zeugen redeten auf den Lageristen ein, doch dieser ließ nicht los. Erst ein beherzter Mann vermochte es, ihn wegzuzerren und festzuhalten. Während sie auf die Polizei warteten, soll der Angeklagte gesagt haben: "Ich hätte ihn umgebracht" und: "Niemand anderes hätte es gekonnt." Heute sagt der 42-Jährige: "Das war schwachsinnig, ein totaler Fehler." Sein Opfer hatte Glück und lediglich eine Woche lang Hals- und Schluckschmerzen.

"Das Tatgeschehen steht fest", sagt der Richter. Es gibt auch bereits ein Urteil der ersten Strafkammer des Landesgerichts vom vergangenen Jahr: "schuldig des versuchten Mordes", acht Jahre Freiheitsstrafe. Die Tat sei "heimtückisch" und aus "niederen Beweggründen" begangen worden. Dieses Urteil ist bereits rechtskräftig.

Die Verhandlung am Dienstag befasst sich nur noch mit der Frage: "Wie geht es danach weiter?" Der Bundesgerichtshof nämlich wies den Fall an das Landesgericht zurück: Es sei auch nach Verbüßung der Freiheitsstrafe mit weiteren Taten des Lageristen zu rechnen. Eine nachfolgende Sicherheitsverwahrung könnte angebracht sein. Richter Lenz und die anwesenden Sachverständigen klopfen daher nun ab, welche Pläne der Münchner für die Zukunft hat und wie es um seine Drogenabhängigkeit bestellt ist. Mit neun Jahren trank der Angeklagte zum ersten Mal Alkohol, vor dem elften Lebensjahr hat er bereits Opiate von seiner Mutter gestohlen und eingenommen. Mit gelegentlichen Pausen konsumierte er immer wieder, spritzte sich sogar einmal sechs Monate lang Heroin. "Sie reden mit einem Süchtigen", entgegnet der 42-Jährige auf die Frage, warum er ausgerechnet in der Haft wieder über illegal beschaffte Drogen rückfällig wurde. "Das folgt keiner Logik."

Der Angeklagte floh mit 14 Jahren von zu Hause, lebte zeitweise auf der Straße, gehörte der Punk- und später der Skinhead-Szene an. Immer wieder geriet er in Schlägereien, einmal stach er jemanden mit dem Messer nieder, ein zweiter Messerangriff misslang. Schon länger hat er keinen festen Wohnsitz, zurzeit ist er in der JVA Straubing inhaftiert. Dort macht er eine Drogentherapie, nimmt legal ein Substitutionsmittel. "Ich will sauber werden", beteuert er. Um eine Gewalttherapie bemühe er sich allerdings nicht, weil er so viel "Schlechtes" darüber gehört habe. Dabei wolle er "ein normales Leben", Familie und Arbeit: "Ich bin fleißig. Ich kann richtig stark sein." Gleichzeitig bleibt er vage, was seine Zukunft betrifft, legt sich auf nichts fest und springt in seinen Antworten umher. Ob dies das Gericht überzeugt, bleibt abzuwarten. Das Urteil soll am 20. Oktober verkündet werden.

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