Dachau:Verständigungsprobleme

Hat ein 30-jähriger Nigerianer einer 17-Jährigen nachgestellt oder wollte er nur freundlich sein? Der Prozess am Amtsgericht Dachau zeigt, dass es Missverständnisse auf beiden Seiten gab

Von Gregor Schiegl, Dachau

Vielleicht wären sie einander besser nie begegnet, der 30-jährige Flüchtling und die 17-jährige Schülerin aus Altomünster. Denn nachdem sie miteinander näher Bekanntschaft gemacht haben, ist es vorbei mit der Unbeschwertheit. Das Mädchen traut sich nicht mehr ohne Begleitung aus dem Haus, und der Nigerianer fürchtet sich nun, fremde Leute anzusprechen, sie könnten ja die Polizei rufen und ihn anzeigen. So war es in diesem Fall. Der 30-Jährige saß wegen Nachstellung, landläufig auch Stalking genannt, auf der Anklagebank des Amtsgerichts Dachau. Das Verfahren legte offen, dass die Verständigung zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen manchmal nicht ganz einfach ist. In diesem Fall verunglückte sie völlig, woran wohl beide Seiten Anteil hatten.

Laut Anklageschrift sprach der Mann im April 2016 die 17-Jährige in der S-Bahn in gebrochenem Deutsch an. Er erzählte, dass er in München arbeite. Zunächst unterhielt sich die junge Frau auch mit dem Asylsuchenden. "Ich wollte ja auch nicht unfreundlich sein." Aber dann erzählte der Mann, er habe sie schon öfter beobachtet, wie sie sich in der S-Bahn schminke. Er begann ihr Komplimente zu machen, sie sei "wunderschön" und habe "tolle Augen". "Mir war das total unangenehm, weil ich das so nicht kenne." Sie teilte ihm mit, dass sie einen Freund habe und versuchte das Gespräch abzuwürgen, indem sie sich Kopfhörer ins Ohr steckte. Die soll ihr der Afrikaner wieder herausgezogen haben, um zu hören, was für Musik sie hört. Als sie aufstand und ging, soll er sie an der Innenseite der Knie berührt und gesagt haben: "Tschüß, meine Freundin!"

Das streitet der Mann vehement ab. "Ich mache so etwas nicht." Beim ersten Zusammentreffen will er auch keinerlei Ablehnung wahrgenommen haben, im Gegenteil: So habe er der 17-Jährigen auch seinen Kopfhörer angeboten, damit sie sich auch mal seine Musik anhört. Das habe sie auch getan - was wiederum das Mädchen bestreitet. Aussage gegen Aussage.

Vier Monate später begegneten die beiden sich wieder, diesmal auf der Straße. Er rief ihr zu: "Hallo, kennst du mich noch?" Als sie ihn ignorierte, soll er sie mit dem Fahrrad verfolgt haben und erst abgedreht sein, als sie zum Handy griff. "Ich hatte das Gefühl, dass er mir aufgelauert hat", sagt das Mädchen aus. "Ich habe jetzt immer ein mulmiges Gefühl und schaue mich um, ob jemand hinter mir ist." Die 17-Jährige fuhr nun statt um halb sieben immer schon um halb sechs mit der S-Bahn in die Schule, um dem Mann nicht zu begegnen.

Als der Afrikaner einer Vorladung zur Polizei erhielt, weil das Mädchen ihn angezeigt hatte, fiel der Angeklagte aus allen Wolken. "Ich habe mit ihr gesprochen, weil ich mein Deutsch verbessern wollte", versicherte er. Eine Frau vom Helferkreis Altomünster bestätigt, dass der Angeklagte, der sie liebevoll "Mama" nennt, sehr kontaktfreudig sei und das keineswegs nur bei jungen Mädchen. "Er ist einer, der wirklich jeden anquatscht." Anzüglich oder gar übergriffig sei er niemals gewesen. Das Vertrauen in ihren Schützling ist so stark, dass sie froh ist, wenn ihre 17 und 19 Jahre alten Töchter, die sich ebenfalls im Helferkreis engagieren, den kräftigen 30-Jährigen als Beschützer an ihrer Seite haben.

Nachstellung ist kein Kavaliersdelikt. Sie gilt als schwere Straftat, die mit Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren geahndet wird. Allerdings sind die juristischen Hürden hoch. "Die meisten Verfahren wegen Nachstellung kommen gar nicht erst zur Anklage", erklärte Richter Lukas Neubeck. Notwendig für eine Verurteilung wäre eine beharrliche Verfolgung mit gravierenden Einschränkungen für das Leben des Opfers. Dass die im vorliegenden Fall gegeben seien, bezweifelt Neubeck.

Die Staatsanwältin fordert eine Geldstrafe: "Er wusste, dass sie sich in der S-Bahn schminkt und dass sie in Laim weiterfährt. Ich finde das schon gruselig", sagt sie und wirft dem Angeklagten vor: "Der erkennbare Wille wurde ignoriert. Ganz bewusst." Dagegen spricht der Verteidiger von einem "verunglückten Gespräch". Die Verfehlungen seines Mandanten lägen unterhalb dessen, was strafrechtlich relevant sei. Er regt eine Einstellung des Verfahrens an. Das aber möchte der Angeklagte nicht. "Ich will, dass das geklärt wird."

In seinem Schlusswort erklärt er: "Ich wollte niemand schaden. Ich will nur freundlich zu anderen Menschen sein." Er entschuldigte sich bei der jungen Frau, falls sie Angst vor ihm gehabt haben sollte und schließt: "Ich kann ihr versichern, dass das nie wieder vorkommen wird." Er verließ das Gericht als freier Mann.

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