Interview:"Die Empörung hätten wir uns sparen können"

Michael Martin Oberkirchenrat

Oberkirchenrat Michael Martin ist Mitglied des Landeskirchenratsder Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.

(Foto: ELKB/oh)

Oberkirchenrat Michael Martin macht Hoffnung, dass die Diakonenstelle an der Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte künftig aus anderen Geldquellen finanziert wird. Die Protestwelle, sagt er, hätte man sich sparen können.

Von Helmut Zeller, Dachau

Die Evangelische Kirche in Bayern will die Diakonenstelle an der Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau nur noch bis Ende 2023 finanzieren. Der Grund: Die Kirche hat in der Corona-Krise und wegen der steigenden Zahl an Austritten viel Geld verloren. Der Stellenverlust - faktisch eine Halbierung des Personals - würde viele Projekte der Versöhnungskirche in der Erinnerungsarbeit gefährden. Deshalb haben die Sparpläne eine Welle des Protests in Dachau hervorgerufen: Kommunalpolitiker, Historiker, Zeitgeschichtsvereine, KZ-Überlebende und Mitglieder des Kuratoriums der Versöhnungskirche kritisieren das Landeskirchenamt für seine Sparpläne. Die SZ sprach darüber mit Oberkirchenrat Michael Martin, 61, der seit 2004 die Abteilung Ökumene und kirchliches Leben leitet und vorher Dekan in Aschaffenburg war.

Bleibt es trotz aller Proteste bei der Stellenkürzung?

Michael Martin: Es geht an der Versöhnungskirche nicht um eine Stellenkürzung, wie das die Eingabe des ehemaligen Diakons Klaus Schultz an die Synode suggeriert. Es geht darum, dass wir vergangenes Jahr schon gesagt haben, von 2024 an kann die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern (ELKB) nur noch weniger Finanzmittel für die Versöhnungskirche zur Verfügung stellen. Wir müssen jetzt Kooperationspartner suchen, Stiftungen oder andere Geldgeber, die uns unterstützen, damit die Arbeit im bisherigen Umfang weitergeführt werden kann. Die Synode wird das Stellentableau vermutlich so beschließen, wie es jetzt aufgestellt worden ist. Die Versöhnungskirche gehört zum landesweiten, also nicht dekanatsweiten Dienst. Damit sind die Stellen, die von der Synode beschlossen werden, nicht von vornherein mit Geld hinterlegt. Die Synode beschließt jedes Jahr ein Haushaltsbudget und je nach dessen Größe können Stellen im landesweiten Dienst finanziert werden oder nicht. Wir haben 2020, als Diakon Schleicher seinen Dienst antrat, mit ihm eine Vereinbarung getroffen: Sein Dienst geht bis Ende 2023. Aber wir haben ihm gleichzeitig gesagt, dass wir alles tun werden, dass er darüber hinaus in Dachau wirken kann.

Dann besteht doch Hoffnung, dass seine Stelle erhalten bleibt?

Da kommen wir jetzt zu dem Wir: Das ist die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD), der Dekanatsbezirk München Nord und die ELKB. Es gibt aus dem Jahr 1973 eine Verwaltungsvereinbarung, der zufolge für die Versöhnungskirche sowohl bei den Personal- als auch Sachkosten die EKD zuständig ist. Alles was wir als bayerische Landeskirche seit den 1970er Jahren finanziert haben, ist deshalb eine freiwillige Leistung, weil uns die Arbeit in Dachau so wichtig war und ist. Eigentlich ist aber die EKD die Verantwortliche für die Finanzierung der dortigen Arbeit. Die EKD hat ja nur zwei Kirchengemeinden in ganz Deutschland, eine in Wittenberg und eine an der KZ-Gedenkstätte Dachau. Von daher muss man sagen, der Ansprechpartner ist die EKD, doch wir sind in diese Verantwortung eingetreten, und wir werden auch alles tun, damit die Mittel zur Verfügung stehen. Im Moment sind das jährlich 300 000 Euro an Sach- und Personalkosten. Derzeit arbeiten wir intensiv daran, diesen Betrag für die Arbeit der Versöhnungskirche zu halten, obwohl er von der ELKB reduziert werden wird. Bis 2023 sind die 300 000 Euro von der ELKB auf jeden Fall gesichert. Obwohl wir auch in den vergangenen Jahren schon einsparen mussten, haben wir das Budget für die Versöhnungskirche nie reduziert, das mussten dann andere hinnehmen, und sie waren solidarisch. Die Antwort auf Ihre Frage ist also eindeutig, es besteht große Hoffnung, dass die Arbeit über 2023 hinaus finanziert werden kann.

Es gibt noch Gespräche mit der EKD?

Ja, es gibt Gespräche. Doch auch die EKD muss einsparen und darum hat die Synode der EKD im Jahr 2020 beschlossen, ihre Sachzuwendungen für die Versöhnungskirche zu reduzieren. Doch bei diesen Kürzungen geht es nur um ein paar zehntausend Euro. Der größte Teil des Budgets für die Versöhnungskirche kommt nach wie vor von uns, trotz der Verwaltungsvereinbarung von 1973.

Dem bisher schon breiten Protest haben sich nun auch Lagergemeinschaft Dachau, Förderverein für Internationale Jugendbegegnung und Runder Tisch gegen Rassismus angeschlossen. Was sagen Sie diesen Leuten?

Ich finde es sehr bedauerlich, dass Menschen, die sich über 40 Jahre und länger für die Erinnerungsarbeit einsetzen, die in Schulen gehen, Zeitzeugengespräche führen, dass diese Menschen, zum Beispiel Herr Walter Joelsen, ein Holocaust-Überlebender, nun das Gefühl haben, die Evangelische Lutherische Kirche in Bayern würde ihren Einsatz gegen Antisemitismus und für die Erinnerungsarbeit nicht wertschätzen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Erinnerungsarbeit und der Kampf gegen Rechtsextremismus bleiben eine Top-Priorität in unserer Landeskirche. Ich sag's ganz offen. Hätte Herr Schultz sich mal an mich gewandt, bevor er die Eingabe an die Synode initiiert hat, dann wäre dieser Eindruck bei den KZ-Überlebenden und deren Nachfahren nicht entstanden. Hätte er vorher das Gespräch mit mir gesucht, dann hätten wir uns diese Empörung sparen können. Mir tut das vor allem für die älteren Herrschaften leid, die sich da natürlich in ihrer Lebensleistung angegriffen fühlen, das verstehe ich völlig. Ich habe allen, die sich an mich persönlich wandten, ein persönliches Gespräch angeboten. Wir negieren ihre Arbeit nicht, noch werden wir uns aus dem Engagement gegen Antisemitismus oder der Erinnerungsarbeit an den Gedenkstätten zurückziehen. Das gehört nämlich zu unserem Auftrag als Kirche. Ich habe auch den politisch Verantwortlichen, die sich in der Öffentlichkeit deutlich positioniert haben, geschrieben und bekräftigt, dass wir nach wie vor zur Arbeit an der Versöhnungskirche in Dachau stehen. Ich habe sie aber auch gefragt, was sie dazu beitragen möchten, dass die unverzichtbare Arbeit fortgesetzt werden kann. Da wurde man dann doch relativ schmallippig auf politischer Seite, was wiederum mich ziemlich enttäuscht hat. An der öffentlichen Empörung hat man gerne teil, aber wenn Taten gefragt sind, zieht man sich zurück.

Dann gibt es keine Gespräche mehr mit Kommunalpolitikern?

Doch, doch, ich bin mit einigen Politikern in regem Mailaustausch. Bei anderen warte ich noch auf eine Reaktion auf mein Schreiben. Wir setzen jetzt aber für die Finanzierung nicht auf die Politik, sondern zum Beispiel auf eine Kooperation mit dem Dekanatsbezirk München Nord und der Evangelischen Jugend in München. Wir haben auch Zuschussanträge an verschiedene Stiftungen oder andere Einrichtungen gestellt. Ich bin ziemlich zuversichtlich, dass wir positive Reaktionen bekommen werden und die Arbeit wie bisher weitergeführt werden kann - auch in dem bisherigen Stellenumfang, in Kooperation mit anderen oder durch zusätzliche Mittel von weiteren Unterstützern.

Kreistagsmitglieder, Stadträte, auch Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann reagierten schmallippig?

Der OB hat mir klar und freundlich geschrieben, dass die Stadt sich zurzeit an freiwilligen Leistungen nicht beteiligen könne. Aber er hat mir andere Wege gezeigt, Anträge für bestimmte Projekte zu stellen, die man auf jeden Fall unterstützen werde.

Wie kam es zu dem enormen Spardruck in der Landeskirche?

Die Kirchenaustritte der vergangenen Jahre hinterlassen ihre Spuren. Dann natürlich die Corona-Krise. Wir hängen ja mit unserer Einnahmenseite ganz stark an den staatlichen Steuern. Wenn die Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit ansteigt oder Menschen weniger Steuern für den Staat bezahlen, dann zahlen sie auch weniger Kirchensteuer. Das vergangene Jahr haben wir mit einem Minus von 130 Millionen Euro abgeschlossen. Das muss erst einmal verkraftet werden. Ein Beispiel: Wir haben ein Gesamtbudget in unserer Abteilung für Ökumene und kirchliches Leben, dazu gehören etwa die Personalkosten für die Kirchenmusik, das Engagement für Entwicklungsarbeit, für Katastrophenhilfe in unseren weltweiten Partnerkirchen. Das waren 2020 etwa mehr als zwei Millionen für den Irak. Von diesem Budget müssen wir im Jahr 2021 3,1 Millionen einsparen. Umgerechnet sind das 31 Stellen. Die lassen sich nicht so leicht einsparen. Wir versuchen so zu sparen, dass die wichtige Arbeit weitergehen kann, trotz der geringeren Finanzmittel. Und wir geben die Zeit, um neue Finanzierungen zu finden. Die Reduzierung der Finanzmittel für die Arbeit in Dachau, das ist eine moderate Entscheidung angesichts des Spardrucks.

Aber man kann beim Sparen auch Prioritäten setzen?

Wir wollen nicht bei den Schwächsten bei uns oder weltweit sparen. Sie haben keine Stimme. Ein Beispiel: Wir finanzieren zusammen mit Brot für die Welt auf Karkar, einer Insel vor Papua Neuguinea, einen Arzt für 50 000 Menschen. Würden wir diese Stelle nicht wieder besetzen, dann würden diese Menschen sehr leiden, sie hätten keine ärztliche Versorgung mehr, keine Vorsorge oder Impfungen. Aber es gäbe hier keine großen Proteste. Ich kann nicht dort kürzen, wo der geringste Widerstand zu erwarten ist, sondern wir müssen insgesamt schauen, wie wir die wichtige Arbeit in unserer Kirche mit weniger Ressourcen hinbekommen. Das ist meine Herausforderung. Dachau erfuhr seit fünf Jahren keine Kürzung, weil es eben eine so wichtige Arbeit ist, und wir wollen auch weiter so wenig kürzen wie möglich.

Konnten Sie ihre Position dem Kuratorium der Versöhnungskirche vermitteln?

Ich hatte die Gelegenheit, 45 Minuten lang in aller Offenheit zu berichten, und ich fand großes Verständnis. Auch von den Nachfahren ehemaliger KZ-Häftlinge. Ich habe mich über so viel Verständnis und die Bereitschaft gefreut, gemeinsam die Herausforderungen der nächsten Jahre meistern zu wollen.

Der Kampf gegen Antisemitismus spielt für die Landeskirche eine große Rolle?

Ja. Wir müssen mit allen Kräften in der Gesellschaft in jedem Fall sofort gegen antisemitische Übergriffe vorgehen. Antisemitismus darf in unserer Gesellschaft keinen Nährboden mehr bekommen und wo er einen bekommt, müssen wir gemeinsam dafür sorgen, dass ihm sofort jede Nahrung entzogen wird. Deshalb engagieren wir uns auch finanziell ganz stark im Bündnis für Toleranz, auch in vielen lokalen Bündnissen. Wir haben einen Beauftragten an der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau für den christlich-jüdischen Dialog und in Oberfranken einen Antisemitismusbeauftragten. Als Kirche schaffen wir gerade mit dem Ministerium eine Stelle in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg für die Erinnerungsarbeit. Dort ist die Evangelische Jugend sehr engagiert. Diese Beispiele zeigen deutlich, dass wir nicht nur in Dachau das Engagement gegen Judenfeindschaft und für Erinnerungsarbeit im Blick haben, sondern dass es insgesamt zu unserem Auftrag gehört. Deshalb haben wir auch im Jahr 2012 den Grundartikel der Kirchenverfassung geändert, um auch theologisch klarzustellen, wie Judentum und Christentum zusammenhängen. Das Judentum ist die gemeinsame Wurzel, die uns verbindet, damit auch, theologisch gesprochen, jedem Antisemitismus die Nahrung entzogen wird. Darüber wurde auch im Kuratorium diskutiert. Ich habe betont, dieser Kampf gegen Antisemitismus ist nicht nur eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, er gehört zum Auftrag der Kirche. Wir müssen auf der Seite der Juden stehen, die wieder, Gott sei es gedankt, in unserem Land leben. Wenn wir darüber reden, dass unsere Finanzmittel dort eingesetzt werden müssen, wo auch unser Auftrag ist, dann müssen sie auch dafür verwendet werden.

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