Süddeutsche Zeitung

Ukraine-Kundgebung in Dachau:"Ist das Krieg oder Massenmord?"

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Bei einer Kundgebung auf der Thoma-Wiese in Dachau fordern die Redner ein Ende des russischen Angriffskriegs in der Ukraine.

Von Katja Gerland, Dachau

Als Olga Reif die Bühne betritt, ist die Menge still. Sie stellt sich an das Rednerpult, rückt das Mikro zurecht, und beginnt zu sprechen: "In Zeiten schwerer Kriegsverbrechen, bringe ich meinen Schmerz zum Ausdruck." Schmerz über Schulen und Krankenhäuser, die zerstört wurden. Schmerz über getötete Zivilisten, die ein gewöhnliches Leben führten. "Das, was passiert, ist ein Völkermord am ukrainischen Volk", sagt Reif, die vor drei Wochen aus der Ukraine nach Dachau geflüchtet ist. Sie spricht ukrainisch, Ludwig Gasteiger vom Kreisjugendring liest ihre Rede auf Deutsch vor. Doch die Sprachbarriere hindert nicht daran, ihre Entschlossenheit zu spüren, wenn sie ruft: "Slawa Ukrajini" - Ruhm der Ukraine.

Es ist Tag 39 des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, als Olga Reif am Sonntagnachmittag in das Mikrofon spricht. Vor der Bühne klatscht ihr die Menge auf der Ludwig-Thoma-Wiese entgegen. Was Reif mit ihr eint: Alle wollen ein Zeichen setzen, gegen den Krieg, mitten in Europa. Dazu hatten der Runde Tisch gegen Rassismus und der Kreisjugendring aufgerufen: In den eineinhalb Stunden der Kundgebung reiht sich Sprecher an Sprecher: Politiker, Vereinsmitglieder, und Menschen wie Olga Reif, die der Krieg in der Ukraine ganz persönlich betrifft.

Darunter ist auch Dmytro Shevchenko, Vertreter des ukrainischen Konsulats. Er begrüßt die Menge, und atmet tief ein und aus, bevor er beginnt. "Das, was wir im Laufe der letzten Tage gesehen haben, ist einfach unbegreiflich", sagt er. Im Kiewer Vorort Butscha seien die Straßen mit Leichen bedeckt, Kriegsverbrechen seien zur Normalität geworden. "Ist das der Krieg oder ist es schon ein Massenmord, Völkermord?", fragt Shevchenko. Deshalb fordere er Deutschland zu weitreichenden Sanktionen auf. Es sei klar, dass ein Öl- und Gas-Embargo nicht in ein oder zwei Tagen umsetzbar ist. "Aber ein Plan darüber könnte schon heute vorbereitet werden."

Währenddessen pfeift der Wind und trägt die Kälte über die Ludwig-Thoma-Wiese. Wahrlich kein ideales Wetter, um auszuharren und Schilder in den Himmel zu recken. Das weiß auch Peter Heller, Sprecher des Runden Tischs gegen Rassismus. "Ich gebe normalerweise nicht viel auf Wettervorhersagen, aber dieses Mal habe ich schon nachgeschaut". Mit etwa 150 Leuten habe er gerechnet. Doch die Dachauerinnen und Dachauer stören sich nicht am Kälteeinbruch, etwa 400 sammeln sich vor der Bühne. Sie sind in den ukrainischen Nationalfarben gekleidet, haben sich die ukrainische Flagge umgeworfen und halten ihre Plakate in die Höhe.

Darunter auch Lamita Tanus vom Dachauer Jugendrat. "Solidarität mit der Ukraine", hat sie auf ihr Schild geschrieben, daneben eine Friedenstaube in blau und gelb gezeichnet. Sie sei auf die Ludwig-Thoma-Wiese gekommen, um ein Zeichen für die Ukraine zu setzen. "Wir Jugendlichen können auch laut sein", sagt Tanus.

Alle sind sich einig, der Krieg muss enden

Auf der Bühne sind sich Politikerinnen und Politiker einig: Der Krieg muss enden, die deutsche Politik sich aber auch Fehler eingestehen. So redet Landrat Stefan Löwl (CSU) von Einsichten, die in seiner Partei erfolgen müssen. Um nicht von Russlands Energiereserven abhängig zu sein, "brauchen wir mehr erneuerbare Energien". Auch Bundestagsmitglied Beate Walter-Rosenheimer (Grüne) hält die Abhängigkeit von Energielieferungen aus Russland für "selbst organisiert". Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) richtet sich an das Regime Putins: "Stoppt diesen Krieg. Eure Soldaten haben nicht das Geringste in diesem Land verloren."

Zwischen allem Grauen zeigt sich am Sonntag aber auch die Hilfsbereitschaft der Menschen in Dachau. Am Rande sammeln sich ukrainische Kinder um ein Auto, aus dem Geschenke verteilt werden. Die Aktion hatte der Kreisjugendring mit Dachauer Schulen organisiert. Und zum Ende hat Peter Heller eine frohe Botschaft: Über 2400 Euro an Spenden seien bei der Kundgebung zusammengekommen.

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