Tiere in Not:An der Belastungsgrenze

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Tierpflegerin Alida Hühne mit Katzenmama Finja und den Jungen Fonsi, Ferenc und Faye. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Im Dachauer Tierheim ist es mal wieder besonders voll: Allein 78 Katzen sind dort gerade untergebracht. Das liegt laut der Vereinsvorsitzenden allerdings nur zum Teil daran, dass die Versorgung von Tieren immer teurer wird. Manche Menschen sind auch einfach dreist.

Von Chiara Lorch, Dachau

Die 24-Stunden-Notfallnummer des Dachauer Tierheims ist ein einzigartiges Angebot in der Region. Wenn jemand dort anruft, sollte es also schon dringend sein. Kürzlich rief dort also ein junger Mann um 1 Uhr nachts an: Er habe eine Katze gefunden und wolle diese abgeben. Eine Mitarbeiterin des Tierheims fuhr daraufhin gleich los, um das Tier einzusammeln. Tage später dann der Schock: Die Katze war gar kein Streuner, stattdessen handelte es sich um das Haustier vom Mitbewohner des Mannes, der nachts die Notrufnummer gewählt hatte. Der wiederum hätte eigentlich nur ein paar Tage auf die Katze aufpassen sollen, hatte aber dann offenbar doch keine Lust auf die Verantwortung und entschloss sich, das Tier loszuwerden. So jedenfalls schilderte das Tierheim Dachau den Fall kürzlich empört auf Facebook.

Denn es ist ja nicht so, als ob das Dachauer Tierheim nicht auch ohne solch dreiste Anrufe nicht schon längst an der Belastungsgrenze wäre: Insgesamt 78 Katzen sind dort aktuell untergebracht, einige davon erwarten Junge. Weitere 30 stehen auf der Warteliste für einen Heimplatz. Dazu kommen mehrere unvermittelbare Hunde, Meerschweinchen, Zwergkaninchen, Vögel und immer wieder auch Wildtiere wie Fledermäusen und Igel. Vor allem bei den Katzen läuft die Vermittlung zwar aktuell recht gut, trotzdem bleibt die Belastung enorm. Ein Besuch.

Entlang der Gänge stapeln sich säckeweise Futter, dazwischen liegen Decken und Spielzeuge für die Tiere. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Silvia Gruber ist die Vorsitzend des Vereins und immer öfter bestürzt über die Dreistigkeit einiger Menschen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Beim Betreten begrüßt einen das kurze Bellen von Bürohund Sunny, der Geruch von Tieren steigt einem in die Nase. Entlang der Gänge stapeln sich säckeweise Futter, dazwischen liegen Decken und Spielzeuge für die Tiere. Am Ende des Gebäudes gehen zwei Gänge ab, die den Katzen gewidmet sind. Rechts und links führen Türen zu den einzelnen Gehegen. Durch die Scheiben lassen sich die Kätzchen beobachten, die einen liegen entspannt auf einem Kratzbaum, die anderen schauen interessiert durch die Scheibe.

Die erste Vorsitzende des Tierheims, Silvia Gruber, berichtet von besonders vielen Neuankömmlingen in der letzter Zeit – und das liegt nur zu einem kleinen Teil an solch dreisten Anrufen wie jenem von Mitte Juli. Häufiger könnten oder wollten die Besitzerinnen und Besitzer anstehende Operationen finanziell nicht stemmen, so Gruber. Auch die Erhöhung der Gebührenordnung in Tierarztpraxen seit Ende 2022 mache sich bemerkbar. Eine einfache Impfung für Hunde oder Katzen kostet jetzt fast doppelt so viel wie davor. Eine Entwicklung, die allerdings nicht nur Halterinnen und Haltern zu schaffen macht, sondern auch dem Tierheim.

Einige Besitzer geben ihre Haustiere als Fundtiere aus

Doch damit nicht genug: Auch Auslandstierschutzorganisationen die Hunde und Katzen nach Deutschland vermitteln, tragen zur Überfüllung bei. Denn wenn neue Besitzerinnen und Besitzer nach kurzer Zeit feststellen würden, dass die doch überfordert sind mit den Tieren, landeten sie häufig in heimischen Tierheimen. Dachau sei da bei Weitem kein Einzelfall. „Wir haben alle dieselben Probleme“, so Gruber.

Freilich kann auch ein Tierheim wie das in Dachau, wenn die Aufnahmekapazitäten erreicht sind sogenannte Abgabetiere vorübergehend ablehnen. Fundtiere hingegen müssen immer aufgenommen werden. Womit man dann wieder bei der Dreistigkeit der Menschen wäre: Gruber erzählt von gleich mehreren Fällen in welchen sie angelogen wurde, indem ihr das eigene Tier als „Fundtier“ verkauft wurde. „Ist es verboten euch anzulügen? Nein! Also müsst ihr das Tier nehmen“, gibt sie die Worte eines besonders dreisten Tierbesitzers wieder. Gruber macht diese Unverfrorenheit fassungslos, selbst wenn sie nur davon erzählt: „Irgendwann platzt mir der Kragen.“

Und mittlerweile bekommt sie auch politische Unterstützung: In einer Pressemitteilung forderte jüngst Alexander Heisler, Kreisvorsitzender der Grünen, die Fundtierpauschale auf zwei Euro je Einwohner zu erhöhen, um die Kosten der Fundtiere besser abzudecken. Außerdem müssten die Gemeinde stärker dafür sensibilisieren, dass Katzen sterilisiert gehören. Zudem fordern die Grünen zur Entlastung der Tierheime mehr Aufklärungsprogramme rund um den verantwortungsbewussten Umgang mit Haustieren.

Rottweiler Charly zählt aktuell zu den Problemhunden des Tierheims. Hundetrainerin Steffi Preissler kann sich ihm nur mit einem Schutzanzug nähern. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Auch die englische Bulldogge Rambo wartet noch auf ein Zuhause. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Zurück ins Dachauer Tierheim: Dort ist beim Betreten des Außenbereichs das Gebelle groß. Schnell steht Charly hinter dem Gitter des Geheges und macht sich bemerkbar. Der zweijährige Rottweiler zählt zu den „Problemhunden“ des Tierheims. Groß und freundlich sieht er auf den ersten Blick aus, das Problem ist nur: Charly ist auf seinen Besitzer geprägt worden, bei allen anderen zeigt er stark aggressives Verhalten. Als Charlys Herrchen starb, musste der junge Rottweiler mit einem Großaufgebot aus der Wohnung geholt werden, erst dann konnte das Bestattungsunternehmen die Wohnung betreten. Im Tierheim nimmt sich nun Hundetrainerin Steffi Preissler dem Hund an. Das geht allerdings nur in voller Schutzmontur und selbst mit der trägt sie regelmäßig blaue Flecken vom Training mit Charly davon.

Fälle wie der des Rottweilers zeigen: Sich einfach ein Tier aussuchen, weil man es süß findet, damit ist es nicht getan. Die Mitarbeitenden des Tierheims haben schließlich eine Verantwortung ihren Schützlingen gegenüber und müssen eine gute Unterbringung und am besten ein dauerhaftes neues Zuhause gewährleisten, so schreiben es auch das Veterinäramt und die Tierheim-Betriebserlaubnis vor. Oft klappt es deshalb selbst dann mit der Vermittlung nicht, wenn es potenzielle Interessenten gibt.

Auch sonst ist die Arbeit im Tierheim nichts für schwache Nerven: Immer wieder muss das Team – sechs Mitarbeitenden in Vollzeit, einigen in Teilzeit und neuerdings zwei professionellen Hundetrainern – in die Wohnung von Verstorbenen, um zurückgebliebene Tiere zu retten. Wenn das Notruftelefon nachts klingelt, bedeutet das auch mal nur drei Stunden Schlaf. Dazu kommt der Alltag im Tierheim und der lässt wenig Zeit fürs Schmusen mit Babykatzen: Stattdessen muss eine Ladung Wäsche nach der anderen angeschmissen werden, immerhin gelten im Tierheim höchste Hygienestandards. Auch eine Arztpraxis inklusive Quarantänestation gibt es im sogenannten Multifunktionsbau, dort werden die Sorgenkinder versorgt. Eigentlich hätte der Anbau größer werden sollen, pandemiebedingt haben dazu die Gelder gefehlt.

All das sind Probleme, von denen Katzenmama Celia nichts mitbekommt. Stattdessen ist sie voll und ganz mit ihrem Nachwuchs beschäftigt. Bevor sie ins Tierheim kam, verteidigte sie ihre beiden Kleinen bis zum Zusammenbruch gegen einen Kater. Im Dachauer Tierheim darf sie nun Durchschnaufen. Immerhin können Tiere wie sie ja am allerwenigsten dafür, dass die Einrichtung regelmäßig aus allen Nähten platzt.

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