Süddeutsche Zeitung

Dachau: Theater im Regen:Verbeugung vor dem Publikum

Lesezeit: 3 min

Es regnet wie aus Kübeln - und doch amüsieren sich die Zuschauer beim Theater-Open-Air vor dem Dachauer Rathaus prächtig. Doch dann endet die Aufführung des "Zerbrochenen Krugs" abrupt.

W. Eitler

Der Höhepunkt der Premiere des "Zerbrochenen Krugs" der Dachauer Theatergruppen ist schon erreicht, bevor ein Satz gesprochen oder eine Szene begonnen ist. Bevor Ingrid Zellner in selbstmitleidig hinterlistiger Schwergewichtigkeit als Richter Adam die Treppe vor dem Dachauer Rathaus auf die Freilichtbühne eilt. Bevor Schreiber List (René Rastelli) als körperlicher Gegensatz schlangenhaft geschmeidig und hinterhältig unterwürfig am Stuhl des Vorgesetzten zu sägen versucht. Oder Henny Lock-Ostermann als Marthe dem Gericht ihren resolut dramatisierten Vortrag über die eminente Bedeutung des zerbrochenen Krugs aufdrängt.

Der Höhepunkt der Premiere am Samstagabend ist erreicht, als das Ensemble um Regisseurin Karen Breece dem dringlich geäußerten Wunsch von 200 Zuschauern nachgibt, mit der Aufführung unbedingt und sofort zu beginnen. Dabei hat Kulturamtsleiter Tobias Schneider noch um Geduld gebeten, weil die eine dunkle Wolke bestimmt noch über den Rathausplatz hinweg zieht, es unter Umständen noch einen kleinen Guss von oben geben könnte und danach das Theaterspiel, ganz bestimmt, nicht mehr unterbrochen werden müsste. "Nein", hieß es im Publikum. "Fangt einfach an."

Schneiders Mitarbeiter verteilen eingeschränkt wasserdichte Regen-Ponchos, die sich die Zuschauer sorgfältig überstülpen. Und dann amüsieren sie sich über einen Richter Adam, dessen Drittbesetzung wegen zweier krankheitsbedingter Ausfälle sich als der große Glücksfall der gesamten Inszenierung erweist. Sie lachen über das leibhaftige Echo (Claus Weber) des Gerichtsrats (mit sonorer Stimme: Ernst Konwitschny) oder den stummen Stift (Stefan Krühler). Schreiber List braucht jemandem zum Treten, wenn er schon ständig unterjocht wird.

Der Vater des Angeklagten Bauernbuben (Eduard Hörl) schläft schon mal ein, während Sohn Ruprecht (Markus Kurbanoglu spielt ihn aufrecht tollpatschig) im Prozess um Ehre und Liebe kämpft. Eine verhuschte Eve (Marthes Tochter, Angelika Mauersich) sucht sich aus ihrem nächtlichen Dilemma wegen des Krugs naiv hilflos zu retten. Dazu singen und spielen Aron Altmann, Stephan Auer und Menning Liebthal rockig verzerrte Schnadahüpfel über Adam und Eva, den Verlust des Paradieses und stimmen den bösartigen Unterton des Lustspiels an.

Währenddessen regnet es ohne Unterlass, aber die Zuschauer halten aus, applaudieren und ziehen sich zur Pause in den benachbarten Zieglerbäu zurück. "Wunderbar", heißt es dort. Niemand stöhnt wegen des Wetters. Einige trinken ein Glas Glühwein mitten im Juli. Keiner will nach Hause, alle wollen den zweiten Teil mit der Selbstentlarvung des Richters als Täter erleben. Plötzlich tritt der "Bediente" Hans Kron auf und teilt lautstark mit, dass die Aufführung beendet ist. Denn die Lichtanlage hält dem Dauerregen nicht mehr stand. Die Toningenieure sorgen sich um ihre empfindliche Anlage für Headsets der Schauspieler. "Schade" heißt es. "Da ist es wochenlang schön, und immer am Wochenende wird's schlecht."

Derweilen wissen Schauspieler, Regisseure und Produktionsleitung (Nicole Campe) nicht so recht, wie sie sich fühlen sollen. Enttäuscht? Eigentlich nicht, bei dem "super Publikum" (Tobias Schneider). "Wir haben alles gegeben", sagt Karen Breece. Die erfahrene Schauspielerin Henny Lock-Ostermann findet den richtigen Ton: "Wie ich in die regennassen Gesichter gesehen habe, wie sich die Zuschauer das Wasser abgewischt haben und trotzdem gelacht haben, da kann man als Schauspieler nur weitermachen."

Eine größere Bestätigung für die Schauspieler von der Theatergruppe am Stadtwald, der Ludwig-Thoma-Gemeinde und den Etzahausa Theatara kann es nicht geben. Dachau hat anscheinend ein Stammpublikum - nimmt man die Kartenverkäufe für die beiden weiteren geplanten Aufführungen hinzu - von etwa 800 bis 1000 Theaterbegeisterten, die sich für solche Inszenierungen erwärmen. Deshalb verstärkt sich bei Regisseurin Karen Breece das Gefühl, man kann schon sagen, die Zuversicht, dass in dieser Stadt noch sehr viel mehr möglich ist. Vor allem mit dem Kern dieser Schauspielergruppe um Ingrid Zellner, Henny Lock-Ostermann, René Rastelli oder Markus Kurbanoglu. Und, wie Breece hinzufügt, "noch vielen anderen".

Außerdem geht es, literarisch gesehen, nicht anspruchsvoller, als Kleist mit seiner Sprache und dem eigentümlichen Rhythmus zu inszenieren. Auf einer kargen Bühne konzentriert sich Kareen Breece auf die Figuren, die sie mittels mit einer klugen Lichtregie dezent hervorhebt. Sie erzählt die Geschichte des zerbrochenen Krugs in klar umrissenen lebenden Bildern, so wie sie zur Kleists Zeit die höfische Gesellschaft gerne zur Unterhaltung bildete. Goethe, der übrigens die Uraufführung des Lustspiels in seinem Reformtehater gehörig in den Sand setzte, war ein großer Freund dieser Spielart. Unvermittelt drehen sich die Figuren auf der Bühne in eine Richtung, verrenken regelrecht ihre Körper, als wäre von dort ein bedeutendes Ereignis zu erwarten.

Am heutigen Sonntag soll das Stück in voller Länge aufgeführt werden - wenn das Wetter mitspielt, wovon in Dachau alle ausgehen. Kulturamtsleiter Schneider meldet: "Die Aufführungen am Freitag, 23., und Samstag, 24. Juli, aufgrund von Starkregen abgesagt und am Samstag in der Pause abgebrochen, werden Freitag, 30. und Samstag, 31. Juli nachgeholt. Sollte es wieder regnen, werden die Aufführungen in das Ludwig-Thoma-Haus verlegt." Weitere Karten in der Tourist Information (08131/75287).

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Quelle:
SZ vom 26.07.2010
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