Wie passen die Ingredienzen eines vermeintlich typisch bayerischen Lustspiels mit den hehren Zielen von Goethes Faust zusammen? Ganz wunderbar, wie das Theater am Stadtwald in seiner aktuellen Produktion „Faust in Schliersee“ beweist. Diese hintergründige Komödie haben Hannes König, Gründer des Karl Valentin-Musäums im Isartor, und Gudrun Kohl, lange Jahre Leiterin dieser Münchner Institution, geschrieben; aufgeführt wird sie leider viel zu selten, denn dieses Spektakel verlangt Amateurdarstellerinnen und -darstellern einiges ab.
Was für das fabelhaft spielende ASV-Theater-Ensemble unter der Regie von Bernd Leupold aber kein Problem war. Jede und jeder meistert seine Rolle mit Bravour, sei es als selbstbewusste Kellnerin Zenzl und lammfrommes Gretchen in Personalunion (Jenny Schmidberger) oder Ernst Konwitschny, der als Möchtegern-Autorität Bürgermeister und Dorfwirt sowie als „Alter Faust“ glänzt. Bernhard Vieregg sorgt als rabiater Viehhändler und linkischer Verführer Mephisto immer wieder für Lacher im Publikum. Christoph Hollfelder spielt mit Verve den Zimmerer Rammerer, Bernd Leupold ist der Lenzensbauer. Der ziemlich opportunistische Herbert Thurner hängt sein Fähnchen gerne nach dem gerade wehenden Wind. Der Jackl (Korbinian Konwitschny), Vorstand des Burschenvereins und Teilzeit-Lover von Zenzl, geht keiner Rauferei aus dem Weg und ist die wahre „Faust vom Schliersee“. Der Herr Apotheker (David Husarek) – von der eher rustikal orientierten Männerclique mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Arroganz behandelt – macht zur Freude der Frauen stets Bella Figura – auch als „der junge Faust“. Er liegt im ewigen Kampf mit dem großmäuligen Bader Zangerl (Michael Blum), der mit seinem ständigen „Verstehst mi, hoast mi“ jeden zum Schweigen bringt – und sich zwischendurch als ausgefuchster Gstanzl-Sänger erweist.
Regie führen und baggern
Es ist genau diese Mischung aus jungen und langjährigen Darstellern, die das mit etwa zwanzig Personen auf und mindestens ebenso vielen hinter der Bühne besetzte Stück in der bis ins Detail stimmigen Dorfwirtschafts-Kulisse zu einem famosen Spaß machen. Dabei ist eine Person noch gar nicht erwähnt: eine Hofschauspielerin, die regelmäßig zur Erholung nach Schliersee kommt (Stephanie Turner). Die Dame hat ihre besten Jahre zwar schon hinter sich, fühlt sich aber berufen, den in ihren Augen dummen Bauern Kultur zu vermitteln. Und zwar mit einer Faust-Aufführung, bei der sie die Regie übernimmt – und jedes Mannsbild anbaggert. Der Gemeinderat ist zunächst absolut dagegen, ein Stück aufzuführen, „dass keine Sau ned kennt“. Doch der etwas verblühte Charme der Hofschauspielerin und die Überzeugungskunst des Apothekers siegen über Vorschläge wie Schafkopfrennen und Freibier.
Die Rollenverteilung gestaltet sich schwierig. Will doch die Bürgermeister-Tochter Stasi (umwerfend: Selina Lauber im unkleidsamen Outfit die Vereinsfahne schwingend) unbedingt das Gretchen spielen. Unterstützung gibt es vom Cäcilien-Verein durch drei wortgewaltige Frauen: die Pfarrersköchin Burgl (Gabi Betz), das dem Alkohol nicht abgeneigte Postfräulein (Christina Weidlich) und die Haarecker Maria, ihres Zeichens Kramerin (Alexandra Obermeier). Schließlich hat die Stasi schon Bühnenerfahrung. Hat sie doch schon mal die heilige Johanna mit Fahne, Rüstung und Schwert gespielt. Nutzt aber nichts. Kellnerin Zenzl setzt auf nonverbale Kommunikation und geizt nicht mit ihren Reizen – also spielt sie das Gretchen.
Und dann wird es wild und bunt, einfach hinreißend komisch – Karl Valentin lässt grüßen. Unter der Ägide der Hofschauspielerin wird geprobt, was das Zeug hält, sie selbst gibt die schmierige Frau Marthe. „Vom Eise befreit …“, „Schönes Fräulein, darf ich wagen …“, „Habe nun ach Philosophie …“ – diese und viele weitere bekannte Faust-Zitate schwirren durch die Luft, werden im Publikum fröhlich ergänzt und sorgen für so etwas wie Klassenausflug-Stimmung. Auf der Bühne herrscht ein wahres Tohuwabohu. „Zenzl kumm eini, du wirst verführt“, wird nach dem Gretchen gerufen. Frau Marthe schmeißt sich an den Apotheker ran, der aber nur Augen fürs Gretchen hat; dessen bühnen-real existierender Lover Jackl samt männlicher Entourage will dem Schmusedreieck ein Ende bereiten. Der Cäcilien-Verein fährt schweres Geschütz auf, das Ganze treibt unaufhaltsam seinem Höhepunkt zu und endet mit weisen Worten, die sich mühelos auf die aktuelle (gesellschafts-)politische Situation übertragen lassen: „Zum Augenblicke möcht’ ich sagen: Verweile nicht, du bist nicht schön. So wie die Hammel aufeinander schlagen, wird’s in Äonen weitergehen.“
Mit „Faust in Schliersee“ ist dem ASV-Theater ein echter Coup gelungen. Alle Mitwirkenden spielen mit Herzblut und Können, alle Rollen sind ideal besetzt. Regisseur Leupold hat die bekannten Charaktere der sogenannten „Bauernkomödie“ ordentlich aufgepeppt – und aus den Stereotypen individuelle Persönlichkeiten gemacht. So ist ein Abend mit „Faust in Schliersee“ ein famoser Spaß fürs Publikum und eine der Glanzleistungen aller Mitwirkenden in der langen Geschichte des ASV-Theaters.
Nächste Aufführung am Freitag, 8. November, um 20 Uhr. Karten können per Mail (theater@asv-dachau.de) oder per Telefon (08131/568 10) reserviert werden. Ein Tickte kostet 12,50 Euro.