Süddeutsche Zeitung

Dachau:Terror und Profit

Das nationalsozialistische Lagersystem diente der Vernichtung und der wirtschaftlichen Ausbeutung der Häftlinge

Von Renate Zauscher, Dachau

"Arbeit macht frei": Die Inschrift am Lagertor des Konzentrationslagers Dachau hätte zynischer nicht sein können. Sie macht aber auch deutlich, dass die wirtschaftliche Ausbeutung der Häftlinge schon früh ein integraler Bestandteil des NS-Lagersystems war, für das Dachau, bereits 1933 errichtet, Vorbild war. Ob zur Versorgung des Lagers selbst oder zur Stärkung der NS-Wirtschaft insgesamt: Arbeit war Folter und Vernichtung - und sollte auch wirtschaftlichen Profit bringen.

Bei einem Themenrundgang informierte die KZ-Gedenkstätte Dachau über "Terror und Profit - Das Lager und die NS-Wirtschaft". Welche Dimensionen das System der Zwangsarbeitswirtschaft und der Häftlingsausbeutung während der zwölfjährigen Naziherrschaft angenommen hatte, machte Referent Michael Hass mit Zahlen klar. So gab es zwischen 1939 und 1945 über 13 Millionen ausländische Männer, Frauen und Kinder im "Großdeutschen Reich", außerdem mindestens sieben Millionen Zwangsarbeiter in den von den Deutschen besetzten oder kontrollierten Gebieten. 8,4 Millionen zivile "Fremdarbeiter" mussten in Deutschland arbeiten, außerdem rund 4,5 Millionen Kriegsgefangene, 1,7 Millionen KZ-Häftlinge und 200 000 Strafgefangene. Ab 1938 wurde die jüdische Bevölkerung innerhalb des deutschen Machtbereichs, ab 1944 auch sogenannte "Halbjuden" zur Zwangsarbeit herangezogen. Eine besondere Rolle im System der SS-Wirtschaft spielte Oswald Pohl, ein Protegé Heinrich Himmlers. Nach steiler NS-Karriere, darunter ab 1942 als Leiter des Wirtschafts-Verwaltungshauptamts, wurde Pohl schließlich 1947 zum Tode verurteilt und 1951 hingerichtet. Im Lager Dachau, das als Modell für alle deutschen Konzentrationslager diente, hat die wirtschaftlich lukrative Ausbeutung der Häftlinge schon früh begonnen. So berichtete Fritz Egger bereits 1934 in seinem Buch "Die Hölle von Dachau" von einer Vielzahl von Produkten aus den Handwerksbetrieben des Lagers: Sie reichten von Lederhosen und "Knabenanzügen" bis hin zu Wohnungseinrichtungen.

Entscheidend ausgeweitet werden die Wirtschaftsaktivitäten des Lagers 1938 mit der Gründung des "Kräutergartens". Das Projekt muss man vor dem Hintergrund der Autarkiepolitik Deutschlands gesehen werden: Hier sollten, wissenschaftlich begleitet, unter anderem Tee, Gewürze oder Vitamin C für die Wehrmacht gewonnen werden. Das scheinbar harmlose Gärtnerkommando auf der Plantage war eines der härtesten, viele Häftlinge, vor allem Juden und auch Priester überlebten nicht. Das Prestigeobjekt der SS, die Porzellanmanufaktur Allach, war dagegen nur wenig profitabel.

Eine wesentliche Rolle im System spielte die "Verleihung" von Häftlingen: Sie wurden an Unternehmen der Zivil- wie der Kriegswirtschaft als Arbeitssklaven "vermietet". So zahlte etwa BMW vier Reichsmark für einen "Hilfsarbeiter", sechs für einen "Facharbeiter". Vor allem in den Anfangszeiten und in Lagern wie Buchenwald war das Ziel die Vernichtung der Häftlinge durch Arbeit. Das änderte sich ab 1943: Die Häftlinge sollten länger überleben und damit länger profitabel bleiben. Am Alltag der Häftlinge änderte das aber nichts: Gewaltausübung und Vernichtungsabsicht waren innerhalb der Lagerstrukturen zu sehr verinnerlicht gewesen.

Die Stadt Dachau hatte sich laut Michael Haas zunächst große wirtschaftliche Hoffnungen durch den Bau des Konzentrationslagers gemacht, die sich aber nur teilweise, etwa für eine Wurstfabrik an der Schleißheimer Straße, erfüllten. Teilnehmer der Führung fragten, wie die Unternehmen später mit ihrer Verstrickung in das NS-System der Zwangs- und Häftlingsarbeit umgegangen seien? Haas konnte hier auf das Beispiel BMW verweisen, wo das Thema heute auch im firmeneigenen Museum angesprochen wird: Die Globalisierung bringe es mit sich, dass auch im Ausland kritische Fragen an deutsche Firmen gestellt würden.

Für die Menschen, die KZ-Haft und Zwangsarbeit überlebt haben, war das Leiden nach 1945 nicht vorüber. In der Sowjetunion etwa wurden sie als Kollaborateure der Nazis verfolgt. Entschädigungszahlungen erhielten die meisten von ihnen entweder erst spät oder gar nicht, oft erst nach mühevollem Kampf mit den Behörden - auch in Deutschland.

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SZ vom 15.02.2017
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