Süddeutsche Zeitung

SZ-Adventskalender:Wenn sich das Chaos stapelt

Michael F. hat vor einem Jahr seinen Job verloren, doch die Abwärtsspirale im Leben des 55-Jährigen hat schon viel früher begonnen. Der SZ-Adventskalender will dem Dachauer nun helfen, wieder mehr Ordnung in seinen Alltag zu bringen.

Von Jacqueline Lang, Dachau

Vor 19 Jahren trennt sich Michael F. von seiner damaligen Freundin: Sie wirft ihm plötzlich vor, sie geschlagen zu haben. Seinen Vorschlag, doch gemeinsam zur Polizei zu gehen und die Sache aufzuklären, nimmt sie nicht an und beschuldigt ihn stattdessen, sie zu stalken. Die Anschuldigungen seien damals haltlos gewesen, versichert F. Und dennoch: Freunde wenden sich zunehmend von ihm ab, immer häufiger bleibt er alleine zuhause. Die Wohnung verlässt er nur noch, um in die Arbeit oder einkaufen in Bergkirchen zu gehen. Er will seiner seiner Ex in Dachau nicht zufällig über den Weg laufen. Das Leben von Michael F. wird von einem Tag auf den anderen zum Spießrutenlauf.

Und so zerbricht mit der Trennung Anfang der 2000er Jahre nicht nur die Beziehung des heute 55-Jährigen, auch sein übriges Leben gerät ins Wanken: Er greift immer häufiger zum Alkohol - "eine Flasche Jacky am Tag war kein Problem" - und isst "wie ein Scheunendrescher". Irgendwann hört er auf, seinen Müll zu entsorgen, das ungewaschene Geschirr in der Spüle stapelt sich. Vor circa acht Jahren ist es einmal besonders schlimm: Da bleibt ihm zum Schluss nur noch nur noch ein winziger freier Fleck auf seiner Couch, auf den er sich setzen kann.

Obwohl die vergangenen zwei Jahrzehnte voller Tiefen sind, rappelt sich F. aus eigener Kraft immer wieder auf: Er mistet zusammen mit seiner jüngeren Schwestern die Wohnung aus. Als er 2006 betrunken am Steuer erwischt wird und zehn Monate seinen Führerschein abgeben muss, hört er für zwölf Jahre ganz auf, zu trinken. Heute genehmigt er sich gelegentlich mal ein Radler. Er raucht weniger, isst weniger. Die Kilos purzeln - langsam, aber immerhin. Und auch wenn er das mit dem Aufräumen immer mal wieder schleifen lässt, "weil mich ja eh niemand besucht", versucht er doch, das Chaos in seiner Wohnung in den Griff zu bekommen. Damit sich die Wäscheberge in Zukunft gar nicht erst wieder stapeln, und er sie nicht mehr zu seinen Eltern zum Waschen fahren muss, will ihm der Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung eine neue Waschmaschine schenken. Außerdem wünscht sich F. einen neuen Ofen, der alte ist seit Jahren kaputt, und er backt doch so gerne Rohrnudeln. Vielleicht gibt es ja irgendwann einmal wieder jemanden, mit dem er sie teilen kann.

Seit er nicht mehr arbeitet, sind die körperlichen Schmerzen kaum noch zu ertragen

Selbst leisten kann F. sich Anschaffungen wie jene zwei Haushaltsgeräte aktuell nicht: Vor gut einem Jahr hat er seinen Job als Sellerieschneider verloren. Das Schwabhausener Unternehmen, für das er im Akkord Suppengrün geschnibbelt hat, ist insolvent gegangen. Seitdem ist er arbeitslos, lebt von Hartz IV. Für F. ist das doppelt schlimm: Seinen Beruf hat er geliebt. Es war etwas, in dem er wirklich gut war. In eineinhalb Stunden konnte er 3000 Scheiben Sellerie schneiden, 21 000 Scheiben an einem Tag sind sein persönlicher Rekord. Wie stolz er darauf ist, ist ihm deutlich anzuhören. Denn den Respekt, dem ihm oftmals nicht einmal seine eigene Familie entgegen bringt, den hat er sich in der Arbeit mit seiner perfekten Schneidetechnik verdient.

Doch sein Job fehlt ihm nicht nur deshalb: Seit Michael F. nicht mehr arbeitet, sind die körperlichen Schmerzen kaum noch zu ertragen. Die Arthrose, an der der Dachauer schon seit Jahren leidet, hat er beim Schnibbeln kaum gespürt. Wenn er jetzt bei der Dachauer Tafel für Essen ansteht, kann er sich kaum noch länger als 20 Minuten auf den Beinen halten. Die Treppen im Dachauer Caritas-Zentrum, wo er sich nun Hilfe gesucht hat, schafft er nur mit großer Mühe in einem Mal hoch. Mit seiner Betreuerin von der Caritas hat er deshalb nun einen Antrag auf Erwerbsunfähigkeit eingereicht.

Neben den körperlichen Schmerzen belasten F. zudem seit Jahren psychische Probleme: Das Verhältnis zu seinen Eltern und besonders zu seiner älteren Schwester und deren Ehemann ist angespannt. Verletzende Kommentare zu seinem Gewicht sind an der Tagesordnung, ständig wird ihm der Mund verboten, werden ihm seine Gefühle abgesprochen. Vor wenigen Monaten ist seine Tante gestorben, "die wusste mehr über mich, als meine Mutter", sagt F. Am 24. Dezember wäre ihr Geburtstag gewesen. Immer wieder erhält er seit Jahren anonyme Anrufe, hinter denen er seine Ex-Freundin vermutet. Mit der Vergangenheit ganz abzuschließen, wird so praktisch unmöglich für den 55-Jährigen.

Zuflucht sucht Michael F. im Internet, doch auch dort gerät er an Menschen, die seine Gutgläubigkeit ausnutzen. F. wird Opfer eines sogenannten Love Scams: Ihm wird Liebe vorgegaukelt, um ihn dazu zu bringen, Geld zu überweisen. Mittlerweile hat er knapp 22 000 Euro Schulden, die Privatinsolvenz ist unausweichlich geworden. Die große Liebe gefunden hat er nicht.

Michael F. konkret dabei helfen, sein Leben in Ordnung zu bringen, das kann der SZ-Adventskalender nicht. Eine neue Waschmaschine zu kaufen, um zumindest das Chaos in der Wohnung zu beseitigen und F. ein Stück unabhängiger von seiner Familie zu machen, könnte aber ein Schritt in die richtige Richtung sein.

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