Dachau:Streit um Hitlers "Mein Kampf"

Die symbolträchtige Nazi-Bibel im Schulunterricht: Für Überlebende des Konzentrationslagers Dachau sind die Pläne des Freistaats eine Zumutung. Kultusminister Spaenle weist deren Kritik jedoch zurück.

Helmut Zeller

Für die Überlebenden der Shoah und ihre Nachkommen ist es "bitter und schmerzhaft": Das räumt Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) ohne Umschweife ein. Aber, wie er im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung sagte, es gibt bald keinen Weg mehr, dem Nazischund auszuweichen. Ende 2015 läuft das Urheberrecht an Hitlers "Mein Kampf" aus, das die Alliierten nach Kriegsende dem Land Bayern übertragen hatten. Gerade deshalb plane der Freistaat unter anderem eine kommentierte Schulausgabe des antisemitischen Hetzwerks. Spaenle reagierte jetzt auf die Kritik von Max Mannheimer, Vizepräsident des Internationalen Dachau-Komitees. Auf der Gedenkfeier zum 67. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau hatte der 92-jährige Auschwitz-Überlebende zu den Plänen für eine Schulausgabe erklärt: "Hitlers 'Mein Kampf' kehrt an die deutschen Schulen zurück."

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Ende 2015 läuft das Urheberrecht an Hitlers "Mein Kampf" aus, das die Alliierten nach Kriegsende dem Land Bayern übertragen hatten.

(Foto: AFP)

Davon, sagte nun der Kultusminister, könne aber doch keine Rede sein. Nach 2015 könne jeder "Mein Kampf" auf den freien Markt bringen. "Das werden wir nicht verhindern können." Gerade deshalb müsse Bayern dafür Sorge tragen, dass den Lehrern eine pädagogische und geschichtsdidaktische Handreichung gegeben werde. Man müsse darauf vorbereitet sein, die Schüler über das "Unwerk" aufzuklären, das so viel Unglück über die Menschheit gebracht habe. Der Zugang zu Hitlers Hetzschrift - wie auch zu anderer NS-Propaganda - stehe nach Ablauf der Urheberechte jedermann offen.

Die Wahrnehmung der NS-Zeit werde durch völlig andere Rahmenbedingungen mitbestimmt werden. Er, so Spaenle, verstehe die Sorge Mannheimers, für den er großen Respekt empfinde. Aber: "Man kann den Quellen nicht ausweichen." Deshalb wolle der Freistaat Lehrer und Schulen mit einer kommentierten Schulausgabe wappnen. Der Kritik, dass einzelne Lehrer damit überfordert sein könnten, entgegnete der Staatsminister mit der Bemerkung: "Gerade deshalb geben wir ihnen ja eine Handreichung."

Einzelheiten des Projekts stehen noch nicht fest. Zurzeit wird unter der Federführung der Landeszentrale für politische Bildung ein Konzept erarbeitet. Noch ist ungeklärt, wie viel Originaltext des 700 Seiten starken Buches in die Schulausgabe aufgenommen wird. Spaenle sagte, dass ja bereits heute Ausrisse im Unterricht analysiert würden. Auch ist noch nicht klar, ob künftig "Mein Kampf" - oder Teile davon - in der kommentierten Fassung zur Pflichtlektüre im Unterricht an bayerischen Schulen gemacht wird. Das ist eine grundsätzliche Entscheidung, die erst noch getroffen werden muss, wie Spaenle sagte. Der Staatsminister verwies darauf, dass der Philologenverband zugestimmt; ebenso habe Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, eine Schulausgabe begrüßt.

Spaenle verweist auf die wissenschaftlich-kritische Edition von "Mein Kampf", die vom Institut für Zeitgeschichte in München, erarbeitet wird. Die habe der Freistaat eben auch deshalb in Auftrag gegeben, um der kommerziellen Verbreitung des Buches etwas entgegen zu setzen. Dagegen haben die Kritiker auch nichts einzuwenden. Max Mannheimer und andere Shoah-Überlebende sehen aber die geplante Schulausgabe skeptisch an: Für eine Aufklärung über den Nationalsozialismus und seine Verbrechen muss nicht die symbolträchtige Nazi-Bibel in die Schulen getragen werden, wie sie meinen. Es gibt genug Quellenmaterial, an dem der verbrecherisches Charakter des Hitler-Regimes studiert und erklärt werden kann.

Außerdem geht es den Kritikern um die Gefühle ehemaliger Opfer und deren Nachkommen, die generell durch die Freigabe von NS-Hetzschriften verletzt werden. Unbeantwortet bleibt auch die Frage, ob Hitlers Schrift nicht den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt - und deshalb Neueditionen verboten werden müssten. Minister Spaenle sieht das seinen Worten zufolge auch so. Aber, sagt er, das Buch werde immer noch über das Internet verbreitet.

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