Dachau:Strampeln für die Versöhnung

Vor 70 Jahren ermordeten die Nationalsozialisten 650 Bewohner des Dorfes Oradour. Jetzt wollen Dachauer 1200 Kilometer weit zu dem französischen Ort radeln und an den Gedenkfeiern für die Opfer teilnehmen.

Von Helmut Zeller

70 Jahre nach dem SS-Massaker an den Einwohnern von Oradour planen der Radsportverein Soli und die Stadt Dachau eine "Freundschafts- und Versöhnungsfahrt" zu dem Dorf im französischen Departement Haute-Vienne. In sieben Etappen radeln am 2. Juni 40 Teilnehmer von Dachau aus die 1200 Kilometer lange Strecke nach Oradour-sur-Glane und nehmen dort an den Gedenkfeiern für die Opfer teil. Am 10. Juni 1944 ermordeten SS-Leute etwa 650 Menschen, darunter mehr als die Hälfte Frauen und Kinder. 70 Jahre lang verschleppten die Behörden in der Bundesrepublik die Strafverfolgung der SS-Leute. Jetzt klagt die Staatsanwaltschaft Dortmund einen der mutmaßlichen noch lebenden Täter an, den 89-jährigen Werner Christukat. "Dieses Verbrechen muss im Gedächtnis bleiben", sagte der Dachauer Zeitgeschichtsreferent Günter Heinritz (SPD) auf einer Pressekonferenz am Dienstag. Und Dachau will seine freundschaftlichen Beziehungen zu Oradour mit dieser Aktion vertiefen.

In der französischen Presse hat die geplante Radtour ein großes Echo gefunden - auch vor dem Hintergrund des aktuellen staatsanwaltlichen Verfahrens. Der Name des heute 2365 Einwohner zählenden Dorfes Oradour steht in der kollektiven Erinnerung Frankreichs an die Nazigräuel an zentraler Stelle. Bis vor kurzem wurden auch keine politischen Repräsentanten Deutschlands zu den alljährlichen Gedenkfeiern eingeladen - mit einer Ausnahme. Peter Bürgel (CSU) nahm als Dachauer Oberbürgermeister seit 2009 an den Gedenkfeierlichkeiten offiziell teil. In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu gegenseitigen Besuchen. Delegationen aus Oradour reisten nach Dachau zum Volksfest und den Gedenktagen zur Befreiung des ehemaligen Konzentrationslagers am 29. April 1945. Der frühere Bürgermeister Raymond Frugier wurde im August 2013 im Dachauer Rathaus mit dem Montgelas-Preis geehrt. Im September besuchte erstmals ein Bundespräsident, Joachim Gauck, die Ruinen des vernichteten Dorfes. Mit dabei war OB Bürgel. Er habe sofort die Idee des Radsportvereins Soli Dachau unterstützt und angeschoben, sagte der Vorsitzende und CSU-Stadtrat Wolfgang Moll am Dienstag. Geboren wurde das Vorhaben an den Tagen des "Dachauer Bergkriteriums" 2013, an dem eine Delegation aus Oradour teilnahm, darunter die Radsportlegende Raymond Poulidor, der sich mit seinen 78 Jahren ernsthaft überlegt, bei einigen Etappen der Radtour im Juni mitzumachen. Die Sportfunktionäre beider Regionen waren sich schnell einig, wie Wolfgang Moll sagte. Im Januar reisten OB Bürgel und Moll nach Frankreich und besprachen mit den französischen Partnern, darunter auch Mitarbeiter eines Organisationsbüros der Tour de France, das Projekt, das insgesamt um die 70 000 Euro kosten wird. Ein Viertel bis ein Drittel dieser Summe übernimmt die Stadt Dachau. Lepopulaire titelte im April: "Das Rad verbindet Dachau und Oradour-sur-Glane". Moll sprach von einem einzigartigen Projekt, auf das sein Verein und er sehr stolz seien: "Dachau symbolisiert mit dem Konzentrationslager den Anfang des Terrors des Nationalsozialismus. In Oradour wurde der Gipfel der Grausamkeit. . . auf abartigste Weise verdeutlicht." Man habe, so Moll, das Projekt bewusst nicht vor den Kommunalwahlen in die Öffentlichkeit bringen wollen.

In der Stichwahl am 30. März erlitt OB Bürgel eine Niederlage. Aber sein Nachfolger Florian Hartmann (SPD) erklärte sich sofort bereit, das Projekt ebenfalls zu unterstützen und wird zu den Gedenkfeiern am 10. Juni nach Oradour reisen. Er und sein französischer, auch gerade gewählter Kollege Philippe Lacroix wollen die freundschaftlichen Beziehungen fortsetzen und, wie Moll sagt, in die Bürgerschaft beider Orte hineintragen. Oradour und Dachau bemühen sich darum, dass Frankreichs Staatschef Francois Hollande die Schirmherrschaft übernimmt. Eine entsprechende Anfrage wurde gestellt, aber bisher noch nicht beantwortet.

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