Parteien:Politische Arbeit in der Pandemie

Die Vorsitzenden der Fraktionen im Dachauer Stadtrat ziehen ein Jahr nach der Kommunalwahl Bilanz.

Protokolle von Julia Putzger und Thomas Radlmaier

Christa Keimerl, SPD - Sparen beim 10-Minuten-Takt:

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(Foto: Niels P. Jørgensen)

"Weil sich seit Beginn der Pandemie starke Belastungen für die Stadt durch den Rückgang von Steuereinnahmen zeigten, mussten Projekte aus dem Sport (Eisstadion, Erweiterung Skatepark) und Projektförderungen wie zum Beispiel "Wohnen für Hilfe" zurückgestellt werden. Deshalb stimmten wir im Frühsommer 2020 für die Verschiebung des Zehn-Minuten-Taktes, was den Spielraum der Stadt um circa eine Million Euro pro Jahr vergrößert hätte - und fanden dafür keine Mehrheit. Für uns bündeln sich im Haushalt die wichtigsten Entscheidungen. Der Aufstellung vorausgegangen waren intensive Diskussionen in den Ausschüssen. Die Beschlüsse waren meist einstimmig oder mit großen Mehrheiten. Wir haben Mittel für die Sporthalle der Schulen in Dachau-Ost und den weiteren Ausbau von Kitas bereitgestellt. Als Fraktion sind wir zufrieden, weil sich Verwaltung und Stadtrat den Herausforderungen der Pandemie stellen. Weil wir Chancen für Dachau erkennen, die sich durch die Gestaltung des MD-Geländes, frische Impulse einer neu aufgestellten Wirtschaftsförderung und die Arbeit von OB Hartmann ergeben. Unsere Fraktion fand trotz Kontakteinschränkungen gut zueinander. Die Sitzungen im Stadtrat erleben wir als lebhaft und kontrovers, genau so sollte auch die kommunale Arbeit im Austausch Ideen entwickeln. Insgesamt vermissen wir die persönlichen Kontakte. Corona führt zwar zu neuen Sachzwängen, trotzdem sind in den Entscheidungen politische Strömungen erkennbar."

Florian Schiller, CSU - Die OB-Allianz bröckelt:

Florian Schiller
(Foto: privat)

"Seit März 2020 heißt es für den Stadtrat: handlungsfähig bleiben, aber eben im Notbetrieb. Bedauerlich ist, dass wegen der Pandemie zu den neuen Kollegen so gut wie kein Kontakt entstehen konnte. Was besonders fehlt, ist der persönliche Austausch mit den Bürgern. Die Fraktionsarbeit findet nur digital statt. Es wird Zeit, dass Corona vorbei ist! Die knappe Entscheidung, die Rathaus-Erweiterung zu stoppen, war richtig. Die Größenordnung des Projekts war angesichts der Haushaltslage und einem Investitionsstau im Sport zu gewaltig. Home-Office, Digitalisierung und Shared Space bieten Chancen - die Umsetzung ist Sache des Oberbürgermeisters. Unsere Unterstützung hat er. Macht ein Erweiterungsbau noch Sinn? Ich stelle das infrage. Für mich total überraschend: Die Fraktionen, die Florian Hartmann als OB Kandidaten unterstützt hatten, lassen ihn oft bei wichtigen Sachfragen im Regen stehen. So beispielsweise Grüne und Bündnis beim Zehn-Minuten-Takt oder dem Stopp der Rathaus-Erweiterung. Für uns als CSU-Fraktion bedeutet es, dass wir eigene Positionen auch weiterhin zum Wohle der Stadt durchzusetzen können; am Wahlabend hätte ich das nicht für möglich gehalten. Eine umstrittene Entscheidung war es, die Abstandsflächen per Satzung über das gesamte Stadtgebiet zu regeln. Ob das Bestand haben wird, werden wohl Gerichte entscheiden. Bis dahin muss evaluiert werden, ob Eigentümer nun schlechter dastehen als vorher."

Jasmin Lang, Grüne - Unser Einfluss ist gestiegen:

Jasmin Lang
(Foto: privat)

"Es war eine wegweisende Entscheidung, den Zehn-Minuten Takt im städtischen Busverkehr trotz unklarer Covid-19-Lage wie geplant einzuführen. Gerade beim Gebot des Abstandes erweist sich die Entscheidung, auf mehr ÖPNV zu setzen, als richtig. Gegeben der aktuellen Umstände hat sich der Dachauer Stadtrat unseres Erachtens sehr gut geschlagen und viele wichtige und richtige Entscheidungen für die Zukunft der Stadt getroffen. Insbesondere wir Grüne können durchaus positiv auf das vergangene Jahr zurückblicken. Unser Einfluss hat sich durch das Wahlergebnis deutlich gesteigert und wir freuen uns darüber, noch mehr gestalten zu dürfen. Unsere Fraktionsarbeit fand - mit Ausnahme des Sommers - stets remote statt. Dadurch ist noch mehr Abstimmungsaufwand nötig als zuvor. Insgesamt bin ich aber sehr positiv angetan von dem Feuereifer, mit dem jedes Mitglieder unserer Fraktion nach wie vor für die politische Arbeit brennt. Auch von zuhause aus. Die Zusammenarbeit zwischen den Fraktionen verläuft bereits seit Jahren sehr konsensorientiert. Der Trend ist also nicht neu. Allerdings mag die Dominanz von Covid-19 das noch weiter verstärkt haben. Hier ziehen alle an einem Strang. So ist es zum Beispiel ein stetes Bestreben aller Stadträtinnen und Stadträte, die Sitzungen kurz zu halten und auf ein nötiges Minimum zu reduzieren. Strittigere Themen werden mit dem Ende der Corona-Pandemie auch zurückkehren."

Michael Eisenmann, Bündnis für Dachau/Die Linke - Die Partei - Wichtige Projekte gestrichen:

Themenabend Wachstum
(Foto: Niels P. Jørgensen)

"Wachstum ist wohl das prägendste Thema der nächsten Jahre. Daher war die wichtigste Entscheidung im vergangenen Jahr die stätischen Abstandsflächensatzung zur Novelle der Bayerischen Bauordnung. Angesichts der Folgekosten aus der weiter zunehmenden Nachverdichtung werden allerdings noch weitere Maßnahmen notwendig werden. In dieser Hinsicht hilft uns sicherlich auch die neue Stelle eines Klimaschutzbeauftragten. Mit der bisherigen Entwicklung kann man angesichts der Kürzungen im Haushalt nicht zufrieden sein. Mit der Sanierung des Vereinsheims der Knabenkapelle, dem Neubau der Georg-Scherer-Halle und der Rad- und Gehwegüberführung über die Schleißheimer Straße wurden für uns wichtige Projekte gestrichen. Die Corona-Krise hat gegensätzliche Auswirkungen auf die Fraktionsarbeit. Einerseits vermissen wir den persönlichen Kontakt untereinander, andererseits wird die Fraktionsarbeit durch den Einsatz der jetzt notwendigen Kommunikationsmittel wesentlich effektiver. In jedem Fall freuen wir uns wieder auf mehr Normalität. Für die Zusammenarbeit mit unseren politischen Mitbewerbern ist die Corona-Krise sicherlich eine Belastung, da der politische Diskurs von der persönlichen Begegnung lebt. Zudem wirken für uns immer noch die unfairen Wahlkampfattacken nach. Wir konzentrieren uns daher auf den Austausch mit den Fraktionen, die an einer konstruktiven Stadtratsarbeit interessiert sind."

Peter Gampenrieder, Überparteiliche Bürgergemeinschaft/FDP - Eishalle blockiert Entwicklung:

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(Foto: Toni Heigl)

"Der neue Stadtrat hat gut daran getan, die kostspielige Einführung des Zehn-Minuten-Takts nicht zu kippen. Wir werden den besser ausgebauten ÖPNV nach Corona noch sehr schätzen. ÜB und FDP bedauern, dass trotz leerer Kassen die mittelfristig unrealistische Vision einer Eishalle noch immer nicht aufgegeben wurde. Das offene Thema blockiert die Entwicklung des übrigen Vereins- und Breitensports erheblich. Bisher war es corona-bedingt kaum möglich, sich mit den neuen KollegInnen im Stadtrat persönlich auszutauschen. Gerade in Krisenzeiten sind breit getragene, manchmal auch unpopuläre Entscheidungen nötig, um die vollumfängliche Handlungsfähigkeit der Stadt zu erhalten. Da sind frische und auch parteiübergreifende Ideen gefragt. Die Fraktionsarbeit läuft fast nur noch virtuell. Ingrid Sedlbauer, Jürgen Seidl und ich haben den Vorteil, dass wir uns schon lange persönlich kennen und bereits seit 2014 Mitglieder des Stadtrats sind. Da läuft die Zusammenarbeit auch rund, wenn man sich nicht regelmäßig gegenübersitzen kann. Am Beispiel des Haushalts für 2021 kann gut beobachtet werden, dass Corona kurzfristig als politischer Gleichmacher wirken kann. Man sollte sich jedoch nicht täuschen: Nur weil die finanziellen Spielräume eng sind und auch keine echte Aussprache zum Haushalt stattfand, sind die zum Teil fundamentalen Meinungsunterschiede (noch) nicht beseitigt. Die Diskussionen zur dringend notwendigen Sanierung des Verwaltungshaushalts werden herausfordernd."

Horst Ullmann, Bürger für Dachau/Freie Wähler Dachau - Sorge um Sportvereine:

Kommunalwahl 2020
(Foto: Niels P. Jørgensen)

"Derzeit ist der Dachauer Stadtrat in dieser schwierigen Phase der Corona-Pandemie durch Bildung eines Ferienausschusses trotzdem handlungsfähig. Bedauerlicherweise hat man bei der Entscheidung für ein neues Hallenbad nicht auf unsgehört. Wirhatten eineRenovierung des bestehenden Bades vorgeschlagen. Mit den verbleibenden Mitteln hätte man dringend notwendige und zukunftsorientierte Investitionen für Dachau realisieren können.Gerade im Sportbereich sieht unsere Fraktion mit großer Sorge, wie vieles imArgen beiunseren beiden großen Vereine liegt. Wir glauben, dass diese Versäumnisse zeitnah nicht gutzumachen und aufholbar sind. Die neue umstrittene Abstandsflächensatzung für die ganze StadtDachau wirdwohl in der Zukunft auch die Gerichte beschäftigen. Besonders froh sind wir, dass mit unseren Stimmen eine Rathauserweiterung verhindert werden konnte. Diese Investition wäre bei derzeitiger Haushaltslage nicht möglich gewesen. Unsere Fraktionsarbeit funktioniert während der Corona- Pandemie unter Einbeziehung vonE-Mails, Whatsapp undTelefon trotz Kontaktbeschränkung bestens. Was uns wirklich fehlt, sind die persönlichen Gesprächemit den Dachauer Bürgern. Darumseien Sie, liebe Bürger, aktivundteilen Sie uns Ihre Anliegen und Anregungen über E-Mail, Facebook oder Telefon mit."

Markus Kellerer, AfD - Wir sind angekommen:

Neue Stadträte in Dachau
(Foto: oh)

"Die beste Entscheidung des Stadtrates war bisher, die geplante Rathauserweiterung zu streichen, die Millionen gekostet hätte. Durch die Digitalisierung und neue kluge Bürokonzepte muss nicht mehr jeder Rathausbeschäftigte über einen festen Arbeitsplatz verfügen. Die größte Fehlentscheidung war, den vom alten Stadtrat noch beschlossenen Zehn-Minuten-Takt nicht zu kippen. Dieser kostet die Stadt Millionen. Nur in Großstädten sind die Busse mit hohen Passagierzahlen ausgelastet, erst dann rentiert sich eine dichtere Bus-Taktung. Dachau hat dafür zu wenig Einwohner und ist auch flächenmäßig zu klein. Durch unsere Stadtratsmandate ist die AfD endlich in der Dachauer Lokalpolitik angekommen. Durch Presseberichte haben wir mehr Bürgeranfragen. Im Stadtrat und in den Ausschüssen hat das bürgerlich-konservative Lager leider keine Mehrheit, deswegen sind wir mit vielen Beschlüssen nicht einverstanden (zum Beispiel zusätzliche Radwege/Fahrradstraßen auf Kosten von Autospuren). Als neue Stadtratsmitglieder haben wir es in der Corona-Pandemie noch schwerer, eine persönliche Arbeitsatmosphäre zu den anderen Parteien aufzubauen. Auch politische Debatten werden auch durch die Ersetzung der fünf Fachausschüsse und des Stadtrats mit dem Ferienausschuss weniger. Immerhin behandelt uns die Stadtverwaltung fair und gleichberechtigt. Wir sind leider nur zwei AfD-Stadträte, deswegen haben wir mit den Corona-Kontaktbeschränkungen weniger Probleme, uns auszutauschen. Wir stimmen uns per E-Mail, Telefon oder Telegram ab."

Wolfgang Moll, WIR, fraktionslos - Eklatante Versäumnisse:

Wolfgang Moll
(Foto: Marina Scholze, oh)

"Das erste Jahr nach der Kommunalwahl 2020 ist, auch mit Blick auf die mitte-linksgeprägte Mehrheit im Dachauer Stadtrat, aus meiner Sicht erwartungsgemäß verlaufen. Leider haben sich nahezu alle von WIR vorgebrachten Befürchtungen zur allgemeinen Finanzlage als richtig erwiesen. Die bislang gewohnte Leistungsfähigkeit der Stadt Dachau ist dahin. Die Gründe dafür sind leider auch hausgemacht. Dass die uns begleitende Corona-Pandemie die Gesamtsituation unverschuldet verschärft hat und auch weiterhin seine Spuren hinterlassen wird, steht außer Frage. Genauso unstrittig ist, dass gerade dieser Katastrophenzustand mitunter eklatante Versäumnisse der Stadtverwaltung und der politischen Entscheider gnadenlos aufgedeckt hat. Die jetzt fehlende Möglichkeit, Jahre vor sich hergeschobene und versprochene Projekte nicht umsetzen zu können, sind beste Beispiele dafür und spiegeln auch ein gewisses Maß an Überforderung wider. Den Rathausneubau zu verwerfen, war richtig. An den wegen der Kostspieligkeit im Grunde nicht zu verantwortenden Maßnahmen (Zehn- Minuten-Takt, Wohnersatzbauten Dachau-Ost) wie auch am zu hohen Qualitätsanspruch, wie die Bauprojekte und die verkehrliche Infrastruktur umzusetzen sind, festzuhalten, fällt uns auf die Füße. WIR wird auch in Zukunft einen kooperativen Beitrag leisten. Wir hoffen, dass unsere Anliegen dann auch gehört werden. Dafür muss sich auch die rot-grün-dunkelgrüne Mehrheit im Stadtrat bewegen. Wir werden die Probleme nur gemeinsam lösen können."

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